Christliche Rockmusik

Rock’n’Religion

Die letzten Minuten des One Rock 2020
20. Apr. 2020

Wie passen Rock und Religion zusammen? Denn eigentlich ist Rock’n’Roll ja die Teufelsmusik. Das "One Rock" Festival vereint beides.

Aus dem Radio schreit Bon Scott einen der bekanntesten AC/DC Songs und genauso laut singen wir mit. “No stop signs, speed limit, nobody’s gonna slow me down.” Wie absurd es ist, dass wir Highway To Hell auf dem Weg zu einem christlichen Rock Festival singen, wird uns erst bewusst, als das Lied fast vorbei ist. Wie passen Rock und Religion zusammen? Denn eigentlich ist Rock’n’Roll ja die Teufelsmusik. 

Das One Rock Festival in Rutesheim findet 2020 zum 15. und letzten Mal statt. One Rock bezieht sich dabei nicht nur auf die Musikrichtung, sondern ist auch eine Anspielung auf den ‘einen Fels’, auf den der Glauben baut. Denn bei diesem Festival geht es vor allem um den Zusammenhalt, den Glauben und die Vermittlung der richtigen Werte. 

Der Altersdurchschnitt ist sehr niedrig, die meisten sind unter 18. Man sieht kleine Kinder und auch Kleinkinder, die in der Halle fangen spielen, die Mickey Maus Kopfhörer fast so groß wie der Kopf, um ihre kleinen Ohren vor Lärm zu schützen. Denn obwohl es ein christliches Festival ist, heißt das nicht, dass der Bass nicht in den Ohren wummert. Unter den Händen vibriert das Geländer. Und nicht nur das. Die rund 700 Besucher sind ein dankbares Publikum. Die erste Band heißt Andi Knister macht Magister und hat besonders viele Mitmachelemente, wie den Jesus Walk, den das junge Publikum begeistert mitmacht. Aber auch klassischere Elemente des Rock sind vertreten: Circle Pits sind auf Metalkonzerten und -festivals üblich. Es geht darum, seinen eigenen Emotionen Luft zu machen und die Musik zu leben. Doch es gibt einen Unterschied. Blaue Flecken und ein paar Schrammen sind eigentlich an der Tagesordnung und gehören dazu. Denn normalerweise wird hier bestmöglich ineinander gesprungen, um sich selbst auszuleben. Doch in Rutesheim bleibt das Ganze sehr sanft und erinnert eher an das Warmlaufen beim Sportunterricht. Vielleicht liegt das auch am Alter der Konzertgänger. Für viele sind das hier vermutlich die ersten Erfahrungen in einem großen Publikum dieser Art. Viele der Besucher sind Konfirmanden und junge Familien, kein Wunder, dass die Mosh- und Circlepits da etwas sanfter ausfallen.

Das Publikum lässt sich von der Musik treiben.

Zwischen den Auftritten der insgesamt fünf Bands gibt es jeweils eine kurze Pause. Die Menge vor der Bühne zerstreut sich komplett, einzig ein junges Pärchen tanzt Discofox, den es vermutlich gerade in der Tanzschule gelernt hat. Für den Rest sind Klogänge und Nahrungssuche angesagt, bevor sich nach ungefähr 15 Minuten alle wieder versammeln, um mit neuer Power das nächste Pit zu starten. Alkohol gibt es dabei nicht. Da die Besucher so jung sind, dürfte sowieso fast niemand trinken. Deshalb wird bewusst auf den Alkoholausschank verzichtet. Stattdessen sieht man hinten am Getränkestand, der vor einer Sprossenwand aufgebaut ist, vor allem Fanta, Cola, Sprite und Apfelschorle. An den Stangen ranken sich Lichterketten und Girlanden, die große Turnhalle ist gut ausgeleuchtet. Im hinteren Teil der Halle befinden sich verschiedene Infostände. Hier kann man sich nach Aktivitäten, Gruppen und Aktionen jeglicher Art umschauen, vom Tanzkurs zur Selbsthilfegruppe zur Bastelrunde ist alles vertreten. Daneben gibt es selbstverständlich gratis Sticker, Kulis und Leuchtarmbänder, an denen besonders die Kinder interessiert sind. Dazwischen haben sich zwei Kinder aus vielen dieser Armbänder Lichtschwerter gebastelt und bekämpfen sich damit gegenseitig. Für sie ist diese ganze Veranstaltung vor allem ein einziger großer Spielplatz. 

Im leicht getönten Licht sehen die Gesichter, die sich der Bühne entgegenrecken alle gleich aus, die Hände in die Höhe gestreckt. Vereinzelt ragt jemand aus dem Publikum hinaus, der auf den Schultern eines anderen sitzt. Das Vertrauen der Menschen ineinander ist fast schon greifbar, als der Sänger Micha der Band L!ichtfabrik sich eine neongrüne Leiter schnappt, zum Publikum springt und sich auf die Leiter stellt, die die Jugendlichen bereitwillig halten. Lassen sie los, wird er fallen. Ein symbolisches Bild für den Zusammenhalt in der Halle.  

Denn die Texte der Bands sind so unterschiedlich wie das Verständnis der Religion. Manche singen Lieder mit expliziten religiösen Texten, wieder andere sehen das Ganze etwas lockerer. Ihre Texte können sowohl mit als auch ohne religiösen Kontext verstanden werden. Das spiegelt auch die Szene des christlichen Rock wider, die aus Amerika stammt. Von Bands, deren Mission es ist, “das Licht Jesu weiterzugeben”, wie L!chtfabrik von sich sagen, zu Bands wie U2, deren Songs spirituelle Inhalte behandeln, aber nicht explizit als christlich wahrgenommen werden.  

Bibel und Lederjacke

Das Verhältnis von Rock’n’Roll und Religion war stets umstritten. Bereits im Jahr 1957 wurde Martin Luther King von einem Jugendlichen um Rat gefragt, denn für ihn waren Gospel und Rock’n’Roll wichtig. Die Kluft zwischen einer Bibel und einer Lederjacke schien auch King zu groß, sein Rat war eindeutig: Während Gospel die Menschen näher zu Gott brächte, sei Rock’n’Roll unmoralisch und nicht mit der Kirche vereinbar. Dass diese Ansicht sich vielerorts geändert hat, zeigt die Erfolgsgeschichte des One Rock.  Doch auch in Rutesheim hat man zu kämpfen: In den letzten Jahren sind die Besucherzahlen zurück gegangen. In diesem Jahr sind 777 Gäste registriert worden, erwartet wurden allerdings 900. Wenn man sich die Zahlen der letzten Jahre anschaut, bei denen teilweise um die 1500 Gäste unterhalten wurden, ist ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. „Die Veranstaltung war immer auf Null ausgelegt“, zuckt Lars Körner mit den Schultern. In den letzten Jahren wurde es jedoch immer schwieriger diese Null zu erreichen. Das Festival baut auf das Ehrenamt von über 100 Freiwilligen. Doch diese Helfer sind auch älter geworden und im Berufsleben angekommen, da ist die Zeit knapp. Das Kernteam, welches sich um die Organisation kümmert, fängt bereits ein Jahr vor der Veranstaltung mit der Planung an. 

Nicht nur die Zeit wird knapper für die Helfer, auch die Ressourcen sind begrenzt, denn One Rock wird von Sponsoren getragen. Doch die Suche nach diesen gestaltet sich immer schwieriger. Trotzdem hängt an der Tribüne ein Banner der Sparkasse in leuchtendem Rot. Fast wie Warnsignal. Denn neben den geringeren Sponsorengeldern kommen auch höhere Ausgaben auf die Veranstalter zu. Es gibt immer weniger christliche Rockbands. Und die, die es gibt, werden erfolgreicher, haben Kooperationen mit YouTubern und verlangen Gagen, die sich ein evangelisches Jugendwerk nicht mehr einfach so leisten kann. Deswegen wird das letzte One Rock noch einmal gebührend gefeiert. Keiner weiß, was danach kommt und so wird die Stimmung immer wehmütiger, je mehr der Abend voranschreitet. Aber dass etwas Neues kommen wird, ist klar, befindet der freiwillige Helfer Achim Blanarsch, denn schließlich geht es immer irgendwie weiter.  
Das Problem liegt unter anderem auch an der Musik, denn für Rock lassen sich die Jugendlichen nicht mehr so sehr begeistern wie für Pop und Rap. Das zeigt sich auch an der typischen HipHop Bewegung mit der flachen Hand, die an diesem Abend zu sehen ist. Die gute alte Pommesgabel, wie das Rocksymbol im Volksmund heißt, ist nicht in Sicht. Flache Hand statt kleiner Finger und Zeigefinger. Eine klare Botschaft, die den Veranstaltern zugetragen wird.  

Mit dem One Rock hört auch eine der spielenden Bands auf: L!chtfabrik haben heute ihren letzten Auftritt. Da wird Sänger Micha schon mal sentimental und holt seine Mama auf die Bühne, die das wahre Singtalent der Familie sein soll. Niemand erwartet viel als sich eine Frau mit Lockenkopf, Cardigan und Umhängetasche auf die Bühne begibt. Aber der Sänger sollte recht behalten, die Stimme der Mama verursacht beim Publikum Gänsehaut. Für einen Moment steht weniger der Partyrock, sondern vor allem Jesus im Vordergrund. Doch schnell 
wird wieder das nächste Circle Pit gebildet, eine Jugendliche wirbelt ein kleines Mädchen im Kreis, vermutlich ihre jüngere Schwester. Nichts verdeutlicht besser die Stimmung zwischen Abschied, Wehmut und der Zuversicht, dass das nicht das Ende ist.  

Doch auch wenn das Publikum sehr dankbar ist und jedem Springen, jedem Klatschen und jedem Mitrufen nachkommt, merkt man doch, dass die Luft raus ist, als die letzte Band Dynamic die Bühne betritt. Am Mischpult haben die beiden Soundingenieure bereits die Füße hochgelegt, während Freiwillige backstage schon anfangen, Konfetti zusammenzukehren. Davon wurden an diesem Abend immerhin 20 Kilo verschossen. Da bleibt genug zum Kehren übrig. Von den anderen Bands ist kaum noch jemand zu sehen, der Sportraum, wo das Equipment gelagert wurde, ist fast komplett leer. Einzig allein ein Dieter Bohlen Pappaufsteller ist noch vorhanden. Ohne Kopf ein etwas trauriger und trotzdem erheiternder Anblick.  

Why Should The Devil Have All The Good Music?

Doch was unterscheidet das One Rock von anderen Festivals? Die allgemeine Rock’n’Roll Attitüde, das Anti-Establishment ist hier nicht zu spüren. Denn Rock’n’Roll definiert sich auch durch seine Abgrenzung zu dem, was als ‘normal’ angesehen wird. Und bereits Elvis Presley war in den 1950ern umstritten. Er galt als “zu sexy” und dadurch unangemessen. Diese gedankliche Haltung ist im 21. Jahrhundert viel schwerer durchzuhalten, denn was ist schon noch Anti in einer Welt, in der viel mehr geht und ein Minirock keinen Schock mehr durch die Gesellschaft jagt?  Christliche Rockbands haben jedoch in der Musikwelt zu kämpfen, denn von den nicht religiösen Bands werden sie oft nicht für voll genommen, von einigen Christen jedoch strikt abgelehnt. Eine doppelte Anti-Haltung, wenn man so will. Doch hier auf dem One Rock besteht ein ganz anderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die menschliche Komponente steht im Vordergrund, es sollen gemeinsame Werte vermittelt werden. Und genau dafür wurde der christliche Rock besonders in den 1990er Jahren in Amerika genutzt. Um die seit den 1980ern sinkenden Mitgliederzahlen zu kompensieren, kam der christliche Rock ins Spiel. Von der Musik, die einst strikt von der christlichen Kirche abgelehnt wurde, zu einer der erfolgreichsten und wichtigsten Methoden, um junge Leute an kirchliche Themen heranzuführen.  Denn aus der Teufelsmusik, die sich den Normen der 1960er widersetzte und oft explizite sexuelle Inhalte behandelte, wurde etwas anderes. Larry Norman, der als Vater des christlichen Rocks gilt, hinterfragte genau dieses Konzept mit dem Song „Why Should The Devil Have All The Good Music?“. Einer der Gründe, warum Rockmusik als nicht-christlich und teils sogar satanisch gesehen wurde, lag oftmals auch in der Lebensweise der Künstler. Das Motto „Sex, Drugs, Rock'n'Roll“, was manche Sänger und Bands lebten, widersprach klar den Werten der Kirche. Dass beispielsweise die Rolling Stones Songs wie „Sympathy For The Devil“ veröffentlichten, half dabei nicht unbedingt.   

Von Sex und Drugs ist an diesem Abend nichts zu sehen. Vielmehr wird es gegen Ende der Veranstaltung sentimentaler, aber nicht unbedingt stiller. Viele der Freiwilligen und auch die Besucher sind mit dem One Rock groß geworden, es ist schwer vorzustellen, dass es diesen nun nicht mehr geben wird. Zum Schluss bildet sich eine einzige Menschenkette, alle Arm in Arm, einmal quer durch den Raum, selbst die Security macht mit. Ein Kameramann läuft entlang der Reihe, zeigt jeden einzelnen auf der großen Leinwand. Ein Symbol für die vielen Menschen, die hier nicht nur Besucher waren, sondern auch mitgewirkt haben. 

Doch die wehmütige Stimmung hält nicht ewig, denn um Punkt Mitternacht endet die Veranstaltung. Geschäftig laufen die vielen Helfer durch die Gegend, das letzte Konfetti wird verschossen, die Besucher werden gebeten zu gehen und ein Teil der Bühne wird bereits abgebaut. Doch der große Abbau erfolgt entgegen der Tradition der letzten Jahre nicht in derselben Nacht, sondern am nächsten Morgen. Vor der Bühne, wo vor einer halben Stunde noch ein junges Publikum hüpfte, werden jetzt Tische aufgebaut, Chipsschüsseln und Bierkästen verteilt. Die Helfer und Freiwilligen gönnen sich einen gemütlichen Abschluss und lassen Erinnerungen Revue passieren. Natürlich ist die dicke Schicht aus Konfetti sehr verführerisch und so hebt immer wieder jemand etwas auf und lässt es dem Nächstbesten über den Kopf rieseln. Vermutlich werden alle Teilnehmer in den nächsten Tagen noch Konfetti in der Dusche, der Waschmaschine und dem Bett finden. Selbst die Schüsseln mit den Chips sind mit Plakaten abgedeckt, denn schließlich möchte keiner das bunte Papier in Schmetterlingsform mitessen.

Die Gespräche drehen sich auch um den nächsten Tag. Ab 10 Uhr ist Abbauen und Aufräumen angesagt. Bis in den letzten Winkel muss die Sporthalle am nächsten Abend blitzsauber sein. In den Stofftrennwänden der Halle sammelt sich erfahrungsgemäß das Konfetti und muss mit einem Laubbläser herausgepustet werden, eine undankbare Aufgabe. Dabei findet man wohl teilweise auch Konfetti der letzten Jahre, erkennbar daran, dass jedes Jahr unterschiedliche Formen und Farben ausgesucht werden. Wie die Jahresringe an einem gefällten Baum. Denn irgendwie ist ja auch das One Rock ein gefällter Baum. Und vielleicht wächst daraus ja ein neuer Baum.  

Und wer weiß, möglicherweise gibt es demnächst den One Rap. Aber eins steht nach diesem Abend fest: Rock’n’Roll ist nicht die Teufelsmusik, egal ob Highway To Hell oder Jesus Walk.  
 

Publikum gehüllt im Bühnenlicht.
Die Band NORMAL IST ANDERS gläntzen im Licht der Bühne.
Das Schlagzeug gibt den Rhythmus vor.