Indie-Rap

Juse Ju – Ein Rapper zwischen Tokio und Kirchheim

Auch mit 36 kann sich Juse Ju keiner Heimat zuordnen.
18. Mai 2019

Viele Menschen haben ein Zuhause, eine Heimat. Der Rapper Juse Ju lebte in vielen verschiedenen Kulturen und hat nie eine Heimat für sich gefunden. Ein Portrait.

Die 90er Jahre. Japan. Tokio. Ein kleiner, blonder Junge mit Dragonball-Maske läuft über eine der berühmtesten Straßenkreuzungen der Welt – fasziniert von den japanischen Reklametafeln, die er noch nicht versteht. Auf seiner Schulter liegt der Arm seines großen Bruders. Sie sehen anders aus als die vielen anderen. Die weißen Gesichter und die hellen Haare stechen aus der Masse an Japanern heraus, doch es stört sie nicht. Noch weiß der kleine Junge nicht, dass er später einmal unter dem Namen Juse Ju bekannt sein würde. Noch weiß er nicht, dass er einmal Rapper sein würde und ausverkaufte Konzerte vor Hunderten Leuten spielen wird. Noch ist er ein kleiner Junge, der all die vielen Reize Japans in sich zieht. Später wird er Japan als „ein goldenes, ein sicheres Land“ bezeichnen.

Mit bürgerlichem Namen heißt der Junge Justus Hütter, heute ist er 36 Jahre alt und arbeitet unter anderem bei Radio Fritz in Berlin. Sein größtes Talent – das Texten – zeigt er als einer der bekanntesten deutschen Indie-Rapper. Neben seinen gesellschaftskritischen Raps verarbeitet er innerhalb seiner Lieder oftmals seine bewegte Lebensgeschichte, welche von verschiedenen Kulturen geprägt wurde. Vor allem auf seinem Album Shibuya Crossing (2018), welches er später als „Coming-of-Age“ - Album bezeichnet, spricht er über seine Kindheit in Japan, seine Jugend in Kirchheim, seine Zeit in El Paso, Texas und sein aktuelles Leben.

Kindheit in Japan

Seine ersten expliziten Erinnerungen spielen in Tokio: seine Familie zog 1988 aus der schwäbischen Kleinstadt Kirchheim unter Teck in die japanische Hauptstadt. Da war Juse gerade sechs. Sein Vater arbeitete für Bosch und Tokio galt zu dieser Zeit als „the place to be, um Geschäfte zu machen“.
Erinnerungen an den Shibuya Crossing, eine Straßenkreuzung in Tokio, die heute mit ihren blinkenden Lichtern dem New Yorker Times Square ähnelt. Zusammen mit seinen großen Geschwistern zog er damals durch die Straßen Japans, insbesondere durch das Viertel Otaku, in welchem die Hütters lebten. Schon bald lief er alleine durch die Straßen der Millionenstadt, denn „die Streets sind hier so safe, lass mich laufen, das ist Japan“, rappt Juse in seinem Song „Shibuya Crossing“.

„Ich kam in ein aufregendes Land, in dem es sehr sicher war.“

Juse Ju

Tatsächlich gilt Japan bis heute als eines der sichersten Länder der Welt und es verwundert nicht, warum Juse bereits als kleines Kind oft alleine unterwegs war.
In Tokio besuchte er eine Europaschule, in welcher viele Kinder aus anderen Ländern waren, jedoch habe man sich als Kind nicht wirklich dafür interessiert, wo irgendjemand herkommt, so Juse. Sein Vater habe damals keine Berührungsängste gehabt, er nahm den Job in Japan an und holte seine Familie ein Jahr später dazu. Dass Tokio eine riesige Stadt voller Menschen war, bemerkte er als Kind eigentlich nie: „Als Kind lebst du ja auch in einer kleinen Welt. Du darfst nicht vergessen, wie klein der Horizont von Kindern ist. Als Kind checkst du nicht, ob das 'ne kleine oder große Stadt ist, in der du lebst.“

„Ältere Japaner touchen meine blonden Haare.
Was normal ist in den frühen 90er Jahren.
Bin nicht fremd solange auf meiner Schulter dieser Arm liegt.
aus Shibuya Crossing“

Er erzählt bis heute leicht schwärmerisch von seiner Zeit in Tokio: „Für mich war Japan in den 80ern/90ern voll das Paradies. Ich fand das total cool, ich kam halt aus so einer schwäbischen Kleinstadt und Tokio hatte ziemlich viel zu bieten. Die Popkultur in Japan war damals schon viel cooler als in Deutschland.“ Als er dann mit elf Jahren zurück nach Kirchheim kommt, änderte sich vieles.

Von Tokio in die schwäbische Kleinstadt

Zurück in Kirchheim wurde ihm der kulturelle Unterschied zum ersten Mal so richtig bewusst. Einige seiner Klassenkameraden hielten ihn für arrogant, da er hochdeutsch und nicht schwäbisch sprach. In Tokio hatte er zwar andere Deutsche getroffen, jedoch war deutsch für ihn einfach nur deutsch. Zwischen hochdeutsch und schwäbisch zu differenzieren, das gäbe es dort nicht.

Dieses Phänomen habe damit zu tun, dass die Kultur dort sehr provinziell sei. Für viele wäre es bereits ein großer Schritt, von Kirchheim nach Hamburg zu ziehen, dort herrsche eben eine große Verbundenheit zur Heimat. Kirchheim stellte aber nie eine Heimat dar.

Juse Ju beim Spätzle essen.

Als Teenager fing er dann an zu rappen und fuhr zu Battle-Raps in der Umgebung. Ohne Führerschein und ohne Internet musste er sich in der Rap-Szene etablieren und diese Szene gab es auch nur in den größeren Städten. „Hip Hop war damals sehr analog.“ Man konnte nicht einfach von Zuhause aus Musik im Internet verbreiten, man musste irgendwo auftreten. „Ohne Bühne, kein Rap.“ Dass irgendwann mehrere Hundert Leute zu seinen Konzerten kommen würden, hätte er damals wohl selbst nicht gedacht. Erst vor Kurzem spielte er in seiner alten Heimat ein Konzert, um dorthin zurückzukehren, wo er angefangen hat Musik zu machen. Er wollte dieses „Retro-Feeling“: „Wie viele Rapper spielen mal einen Gig in ihrem Jugendzentrum? Ich mach das wegen Nostalgie.“

„Ich finde es auch nicht verwerflich, sein Herz nicht an eine Stadt verschenkt zu haben“

Juse Ju

Mit 17 Jahren verließ Juse Ju noch einmal Kirchheim für ein Jahr: Sein Vater hatte einen Job in El Paso, Texas angenommen. Für ihn war es sehr interessant, diese von Armut gespaltene Stadt zu erleben: Als reicher Weißer hatte man dort zwar keine Probleme, jedoch bekam man dort viel von der Kriminalität und dem Drogenhandel mit. Er verarbeite seine Erfahrungen in Bordertown:

„Ein Kollege meines Vaters muss Juárez jetzt verlassen.
Weil das Fuentes-Kartell hat wieder Kugeln hageln lassen.
Wobei per Zufall seine Tochter zugesehen hatte (fuck!)
und jetzt gesucht wird von der Mafia.“
aus Bordertown

Seine dritte große Station ist München, wo er Theaterwissenschaften, Soziologie und Japanologie studierte. Später zog er nach Berlin und in dieser Stadt lebt er nun seit acht Jahren.
Als jemand, der in vielen verschiedenen Städten lebte, würde er keine dieser Städte als seine Heimat bezeichnen. Denn je älter er sei, wenn er woanders hinziehe, desto weniger Heimat bedeutet sein neues Zuhause für ihn. Für ihn ginge es mehr darum, was er macht und mit wem. Der Begriff „Heimat“ spiele dabei keine große Rolle, denn „keine Heimat zu haben, heißt im Endeffekt auch flexibel zu sein.“ Deswegen mag er die Stadt Berlin auch, denn dort „sei man, wie in allen Großstädten, keine Besonderheit, egal was man ist“. Juse betont, er sei ja nicht der einzige mit so einer ähnlichen Biografie in dieser Stadt.

„Und nein, Berlin wird niemals meine Heimatstadt.
Doch die beste für 'nen Menschen, der keine Heimat hat.
aus Traumstadt“

Das Einzige, was einer „Heimat“ am nächsten kommt, sind vermutlich seine Eltern, die eine Konstante in seinem Leben darstellen. Jedoch betont er: „Heimat hat was mit Kindheit zu tun. Am Ende bleibt das Herz immer da, wo man Kind war.“

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