Gleichstellung

Care about Care-Arbeit

Frauen müssen oft Kinderbetreuung, Haushalt und Co. gleichzeitig schaukeln.
30. Juni 2022
Unterbezahlt, überlastet, übersehen – Frauen leisten deutlich mehr Care-Arbeit als Männer. Die Politik muss das ernst nehmen und aktiv handeln, um den Gender Care Gap zu verringern. Ein Brief an Familienministerin Lisa Paus.

Sehr geehrte Frau Paus,

noch immer widmet die deutsche Gleichstellungspolitik unbezahlter Care-Arbeit deutlich zu wenig Aufmerksamkeit! Mit dem zweiten Entlastungspaket ab Juni kommen Sie und die Regierung nur erwerbstätigen Steuerzahler*innen entgegen. Menschen, die Sorgearbeit leisten und deshalb nicht arbeiten gehen können, werden von der Energiepauschale ausgeschlossen. 

Betroffen sind zum großen Teil Frauen: Sie wenden Ihrem Ministerium zufolge durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit für Sorgearbeit am Tag auf als Männer. Der Gender Care Gap ist immer noch viel zu groß und beträgt bei den 34-Jährigen sogar 110,6 Prozent. Das muss sich dringend ändern!

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Der Gender Care Gap zeigt Ungleichheiten in der Sorgearbeit auf. | Quelle: Canan Edemir

Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub nach der Geburt und der Lohnausgleich für pflegende Angehörige sind bereits in Ihrem Koalitionsvertrag verankert. Aus der Perspektive von drei jungen Frauen sind die Ansätze der Regierung nicht genug, um den Gender Care Gap zu verringern. Was aktuell getan wird, schützt uns nicht vor Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt und in der Alterssicherung. Deswegen fordern wir folgende Punkte:

Erwerbsarbeit reduzieren

42 Prozent der Männer wünschen sich eine Partnerschaft, in der beide erwerbstätig sind und sich die Sorgearbeit gleichberechtigt aufteilen. Trotzdem arbeiten die meisten Männer in Vollzeit. Dadurch sind Frauen finanziell abhängig von ihren Partnern und wenden mehr Zeit für Haushalt oder Kinderbetreuung auf. Wenn die allgemeine Arbeitszeit zu gleicher Bezahlung verringert wird, können Männer neben der Erwerbsarbeit auch ihrer Sorgepflicht nachgehen und so Frauen entlasten.

Es muss selbstverständlich werden, dass Väter von Beginn an in die Pflege und Erziehung ihres Kindes einbezogen werden. Unserer Meinung nach sollte das Elterngeld nur voll ausgezahlt werden, wenn Väter die Elternzeit zu gleichen Teilen in Anspruch nehmen wie ihre Partnerinnen.

Care-Berufe aufwerten

Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Care-Berufe sind systemrelevant. Ohne Pflegeeinrichtungen, Kitas und Altenheime müssten Angehörige noch mehr Care-Arbeit leisten und könnten selbst kaum arbeiten gehen. Laut Arbeitsagentur waren 2020 die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen zu 77 Prozent weiblich. Ein gut ausgebauter Care-Sektor ist also essenziell für eine Entlastung von Frauen! Der aktuelle Personalmangel muss umgehend behoben werden. Diese wertvolle Arbeit für die Gesellschaft sollte endlich mit einer angemessenen Vergütung und gesicherten Aufstiegschancen gewürdigt werden.

Traditionelle Rollenbilder auflösen

„Man sollte im Kern von den menschlichen Bedürfnissen, von der Sorgearbeit und von den Sorgebeziehungen her denken. Und die Gesellschaft und Ökonomie danach ausrichten”, sagt die Sozialwissenschaftlerin Friederike Beier im Interview. Wir bestehen ebenfalls darauf, die aktuelle Gleichstellungspolitik zur Care-Arbeit zu überdenken und alternative Sorgemodelle zu fördern. Alle Menschen, die sich gerne um Personen kümmern wollen, sollten Care-Arbeiten übernehmen können. Wenn auch der Patenonkel oder die Mitbewohnerin Elterngeld bekommen und Kinderkrankentage übernehmen können, könnte Sorgearbeit auf mehrere Schultern verteilt werden.

Die Politik sollte diese Maßnahmen möglichst bald in die Tat umsetzen. Die Tatsache, dass wir Frauen sind, darf sich nicht negativ auf unsere Lebenslaufperspektive auswirken.

Mit freundlichen Grüßen

Allegra, Lina und Canan