"Man trampelt einfach so in deren Leben und in dieses System rein und denkt, man kann was verändern."
Freiwilligendienste in Entwicklungsländern – noch zeitgemäß?

Franka, du hast dich nach deinem Abitur entschieden, einen Freiwilligendienst in Uganda zu machen. Wie kam das?
Ich bin mit der Idee aufgewachsen. Mein Vater war als junger Erwachsener für ein Jahr in Mali. Und durch Mitschülerinnen bin ich dann auf „weltwärts“ gekommen. Ein Programm, das vom Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit gefördert wird. Meine Organisation hat mir dann ein Projekt an einer Schule in Uganda vorgeschlagen. Also habe ich eigentlich nicht das Land gewählt, sondern das Projekt.
Weltwärts ist ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst. Er richtet sich an junge Menschen, die in einem Entwicklungsland tätig werden möchten. Ziel des Programms ist es, interkulturellen Austausch zu fördern und die entwicklungspolitische Bildung der Freiwilligen zu stärken. Weltwärts arbeitet mit Entsendeorganisationen zusammen, die die Freiwilligen vorbereiten und während des Dienstes betreuen.
Wie hast du die Anfangszeit erlebt?
Die Anfangszeit war richtig unreal. Es hat lange gedauert, bis ich mich eingewöhnt habe, trotz guter Unterstützung durch meine Organisation und die Menschen vor Ort. Ich war oft überfordert, wusste nicht wirklich, wohin mit mir und wie ich mit den Menschen umgehen soll. Alle waren sehr hilfsbereit, aber am Anfang waren es einfach super viele Eindrücke, ein ganz anderes Umfeld und die Schüler*innen waren neugierig und wollten uns kennenlernen.
Hattest du Vorurteile im Bezug auf Uganda?
Ich habe versucht, ohne Vorurteile hinzugehen, aber Vorteile hat man immer. Man wächst damit auf. Mein Lieblingsbeispiel ist, dass ich dachte, dass viele Regionen in Afrika sehr trocken und unfruchtbar sind und man Schwierigkeiten beim Anbauen hat. Viele Menschen haben eine Wüste im Kopf, wenn sie an Afrika denken. Das ist kompletter Quatsch. Uganda ist eines der fruchtbarsten Länder der Welt. Es kann das ganze Jahr über angebaut werden. Also kein Mensch kann sagen: „Da gibt es kein Essen, deswegen sind die Leute arm.“
Wie kann ich mir deinen Alltag vorstellen?
Morgens ging es jeden Tag 15 Minuten mit dem Motorrad, dem „Bodaboda“ in die Schule. Das ist in Uganda ein typisches Fortbewegungsmittel, praktisch ein Motorradtaxi. Zusammen mit einem anderen Freiwilligen aus Deutschland habe ich in einem Vorort von Kampala gewohnt. Wir waren oft bis abends an der Schule und haben dort Mittag gegessen. Da gab es meistens Reis mit Matoke, also gedämpfte Kochbanane und Posho, ein Maisbrei mit Bohnen. In der Schule waren wir für den Deutschunterricht zuständig. Das bedeutet, wir haben den Unterricht vorbereitet, Hefte korrigiert und Tests aufgesetzt. Außerdem haben wir einen freiwilligen Deutschklub organisiert. Da haben wir über die Kultur in Deutschland gesprochen, die Deutschlandhymne eingeübt oder deutsches Brot gebacken. Die Schüler fanden das Brot allerdings nicht so lecker, weil sie gesüßtes Brot gewohnt sind. Wir haben die Schüler*innen bei Ausflügen begleitet, zum Beispiel zu einer Zuckerfabrik, ins Kino oder ins Museum. Mein Mitfreiwilliger und ich haben einen Ausflug zur Social Innovation Academy (SINA) geplant. Das ist ein Ort an, dem junge Menschen gefördert werden, um ihr eigenes Business aufzubauen. Am Wochenende war ich oft mit andern Ugander:innen unterwegs oder habe Freiwillige in Kampala und Jinja besucht. Wir sind ins Kino gegangen oder haben zusammen Fußball gespielt. In den Schulferien war ich mit anderen Freiwilligen reisen. Von Ruanda war ich am meisten überrascht. Die Geschichte des Landes ist sehr interessant. In Kigali, der Hauptstadt, gibt es Fußgängerzonen und ich würde sagen, es ist sauberer als in deutschen Städten. Der Kontrast zu Kampala mit dem hektischen Verkehr war besonders groß.
Heute siehst du Freiwilligendienste kritisch. Wieso?
Es war ja nicht komplett selbstlos, dass ich dahingegangen bin – in erster Linie habe ich von dem Freiwilligendienst profitiert. Ich habe den Leuten vor Ort nicht wirklich geholfen. Ich bin keine ausgebildete Lehrerin und war nicht qualifiziert genug. Vielen Freiwilligen geht es ähnlich: Sie sitzen ihre Zeit ab, statt den Leuten unter die Arme zu greifen, weil die Projekte oft von deutscher Seite aus schlecht organisiert sind. Natürlich kann man argumentieren, dass kultureller Austausch immer wertvoll ist, aber in der Realität verpuffen viele Initiativen. Ein Beispiel: Zusammen mit einem Lehrer hatte ich die Idee, Schüler*innen das Schwimmen beizubringen. Das Problem war, das Geld und Men- und Womenpower gefehlt haben, um das umzusetzen. Allgemein würde ich sagen, fehlen zum einen die Ressourcen und zum anderen liegen die Prioritäten und Interessen der Leute vor Ort anderswo. Generell sind Freiwilligendienste ein total kolonialistisches Denken: Ich als Weiße Europäerin gehe nach Afrika, um dort armen und bedürftigen Menschen zu helfen. Man trampelt einfach so in deren Leben und in dieses System rein und denkt, man kann was verändern. Ein echter Austausch auf Augenhöhe ist so nicht möglich, es besteht immer ein Machtgefälle.
Was genau meinst du mit Machtgefälle?
Na ja, viele Ugander*innen haben nicht einfach so die Möglichkeit, nach Europa zu kommen, während uns die Welt offensteht. Stattdessen habe sie oft Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen oder in manchen Fällen überhaupt die Schule zu beenden.
Wie hat sich dein Denken durch den Dienst verändert?
Ich habe viel gelernt, zum Beispiel, dass wir in Deutschland nicht immer die universelle Lösung für alle Dinge parat haben. Außerdem hinterfrage ich mehr und habe herausgefunden, was mich interessiert. Es war spannend, sich für ein Jahr von dem Leben in Deutschland zu entfernen und andere Perspektiven und Lebensweisen kennenzulernen.
Welche Veränderungen erhoffst du dir für Freiwilligendienste in Entwicklungsländern?
Es müssen weniger Freiwillige geschickt werden, unter denen mehr auf die Sensibilisierung geachtet wird. Am besten wäre es, wenn Ugander*innen im Rahmen des Programms ebenfalls die Möglichkeit hätten, nach Deutschland zu kommen. Also eine 50:50 Verteilung, das ist bisher nicht vorgesehen.
Aber was ich am kritischsten sehe, sind Kurzzeitfreiwilligendienste. Also Programme, bei denen Freiwillige nur zwischen vier Wochen und drei Monaten ins Ausland gehen. Die sollten verboten werden. Vor allem wenn es um die Betreuung von Kindern geht, wie beispielsweise in einem Waisenhaus. Das ist total gefährlich, da die Kinder Vertrauen und eine Bindung zu den Freiwilligen aufbauen und dann geht die Bezugsperson einfach wieder. Für die Gesellschaft wünsche ich mir, dass man sich in der Schule schon viel mehr mit dem Thema Kolonialismus auseinandersetzt. Damit die Menschen dieses veraltete Afrika-Bild aus dem Kopf bekommen und sich nicht mehr als White Saviour sehen.
White Saviourism bezeichnet das Phänomen, bei dem weiße Menschen sich als Retter von nicht-weißen Menschen präsentieren, ohne dabei die Perspektiven und Bedürfnisse der betroffenen Gemeinschaften zu berücksichtigen. Dieser Ansatz kann koloniale Machtverhältnisse verstärken und stellt Hilfe von außen als notwendig dar, während die Eigeninitiative und Ressourcen der lokalen Gemeinschaften ignoriert werden. White Saviourism wird problematisch betrachtet, da er stereotype Darstellungen von Menschen im globalen Süden fördert und die tatsächlichen Bedürfnisse dieser Menschen nicht berücksichtigt.
Quelle: Fachstelle Gender & Diversität NRW
Transparenzhinweis: Die Redakteurin hat die interviewte Person über das Parlamentarische Patenschaftsprogramm (PPP) kennengelernt. Ein Austauschprogramm zwischen Deutschland und den USA, dass vom Deutschen Bundestag gefördert wird. Die Redakteurin hat die Protagonistin während des Freiwilligendienstes in Uganda besucht.