Die Funken sprühen. Einmal, zweimal ziehe ich den Feuerstahl am Messer entlang. Nichts. Das Feuer will nicht brennen. Ich atme tief durch, versuche es erneut – und plötzlich eine kleine Flamme. 

Die Funken sprühen. Einmal, zweimal ziehe ich den Feuerstahl am Messer entlang. Nichts. Das Feuer will nicht brennen. Ich atme tief durch, versuche es erneut – und plötzlich eine kleine Flamme. 

Survival-Training – Der Selbstversuch

Survival-Training – Der Selbstversuch

Survival ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Vorstellung, in der Wildnis zu überleben, fasziniert viele – doch was steckt wirklich dahinter? Und was hat ein traditionelles Männerbild damit zu tun? 
Das will ich herausfinden und mache mich auf den Weg nach Grünheide bei Berlin. Dort nehme ich an einem Basis-Survival-Kurs teil. Bisher habe ich noch keinerlei Erfahrungen in dem Bereich. Ich weiß nur, dass Feuer machen ein zentraler Bestandteil beim Überleben in der Wildnis ist. Aber auf was kommt es sonst noch im Wald an? Angeboten wird der Kurs von Maurice Ressel, dem Gründer der Wildnisschule Lupus. Während der Zugfahrt werfe ich einen Blick auf seine Website: Neben praktischen Survival-Skills verspricht das Training, die Selbstwirksamkeit und Resilienz der Teilnehmer*innen zu stärken – „Eine Erfahrung, die dein Leben verändern wird“, heißt es dort. Ich bin skeptisch. Spätabends komme ich in Eberswalde an. Hier wird mich Maurice morgen abholen. 


Um 6:30 Uhr klingelt mein Wecker. Verschlafen schmeiße ich mich in die Outdoorklamotten. Maurice kommt pünktlich und nach einem kurzen Stopp beim Bäcker geht es für uns Richtung Wald. Der Kurs geht heute von 10 bis 18 Uhr, also werden wir noch im Dunkeln im Wald sein. Eine Stunde Fahrt haben wir jetzt vor uns. Maurice ist bereits hellwach. Er hat die letzten Stunden an seinem Manuskript weitergeschrieben. In dem Buch soll es um Mindset gehen.

Wir kommen kurz vor Kursbeginn an dem Platz an. Eine kleine Freifläche, umgeben von dürren, krummen Bäumen. Es nieselt leicht. 

Wir kommen kurz vor Kursbeginn an dem Platz an. Eine kleine Freifläche, umgeben von dürren, krummen Bäumen. Es nieselt leicht. 

Maurices Auto ist bis unters Dach mit Ausrüstung beladen: Messer, Feuerstähle, Sägen und Seile stapeln sich im Kofferraum. Gemeinsam entladen wir alles und bereiten den Kursort vor. Ich breite die Felle auf dem Waldboden aus – sie werden uns später als Sitzplätze dienen. Währenddessen erzählt Maurice, dass seine Kurse in der Regel von mehr Männern als Frauen besucht werden. Auch heute wird das so sein. Unter den 18 Teilnehmer*innen sind fünf Frauen. „Survival ist eher ein Männerthema, das hängt mit dem Beschützerinstinkt zusammen“, sagt Maurice. Seiner Meinung nach sollte sich jeder Mann, der ein verantwortungsvoller Familienvater ist, mit den Themen Survival und Prepping beschäftigen. „Wie kann ich sonst meine Familie beschützen?“, meint er. Ich bin überrascht von seinem klassischen Männerbild und der Verbindung zur Prepper-Szene und frage mich, ob das ein Phänomen in der Survival-Szene ist.

"In einer Zeit, in der Männlichkeitsbilder hinterfragt werden, bietet diese Rolle Männern die Möglichkeit, sich wieder wirksam zu fühlen und als Beschützer der Familie aufzutreten.“

Mischa Luy

Mischa Luy ist Sozialwissenschaftler und Experte für das Thema Prepping. Seinen Beobachtungen zufolge hat die Survival- und Prepper-Szene in Deutschland in den letzten Jahren erheblichen Zuwachs bekommen – insbesondere nach der Corona-Krise und mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. Laut ihm ist einer der Gründe für das Preppen das Gefühl von Unsicherheit, das bei manchen Prepper*innen auf ein negatives, pessimistisches Menschenbild trifft. „Prepping macht man immer in Erwartung eines Notfalls, einer Krise oder einer Katastrophe“, sagt er. Es beinhaltet neben dem Anlegen von Vorräten auch oft das Erlenen von überlebenswichtigen Skills, mit dem Ziel in Krisensituationen ohne externe Hilfe überleben zu können. Dass in der Szene oft traditionelle Männlichkeitsbilder reproduziert werden, überrascht ihn nicht: „Man kann es auch so interpretieren: In einer Zeit, in der Männlichkeitsbilder hinterfragt werden, bietet diese Rolle Männern die Möglichkeit, sich wieder wirksam zu fühlen und als Beschützer der Familie aufzutreten.“
 

Feuer machen – ein überlebenswichtiger Skill

Nach und nach treffen die Teilnehmer*innen ein und Maurice begrüßt sie mit einer herzlichen Umarmung oder einem kräftigen Handschlag. Es geht direkt los. Die erste Aufgabe: Materialien sammeln, um ein Feuer zu entfachen. Dafür suchen wir nach einem Jungbestand an Fichten, denn die dürren Äste eignen sich hervorragend als Zunder. Zurück auf der Lichtung holt Maurice eine Säge hervor und zeigt uns, wie er den Stamm zu kleinen Holzscheiten verarbeitet. Zuerst große Stücke auf Armlänge zurechtsägen und diese dann spalten. Dafür legt er sein Messer auf den Stamm und schlägt mit einem Holzknüppel darauf.

„Der Knüppel ist nichts wert, wenn er nicht groß genug ist, um einen Bären zu erschlagen“, sagt Maurice.

„Der Knüppel ist nichts wert, wenn er nicht groß genug ist, um einen Bären zu erschlagen“, sagt Maurice.

Dann dürfen wir selbst ran. Das Spalten funktioniert erstaunlich gut, kostet aber viel Energie. Nach ein paar Minuten ist mir heiß. Ich habe unterschätzt, wie anstrengend das Ganze ist. Maurice hat sich währenddessen auf die Suche nach Birkenrinde gemacht, einer der besten natürlichen Anzünder in den Wäldern hier. Mit einem Feuerstahl entfacht Maurice nun das Feuer. Alle schauen gespannt zu. Anders als Streichhölzer oder Feuerzeuge ist der Feuerstahl unempfindlich gegenüber Nässe und Kälte – also ein verlässlicher Begleiter für lange Tage draußen im Wald.


Für eine Vorstellungsrunde setzen wir uns um das brennende Feuer. Für viele Teilnehmer*innen war der Kurs ein Geschenk – ein kleines Abenteuer, ein Ausbruch aus dem Büroalltag. Sie sind zusammen mit ihren Partner*innen oder Freunde*innen da, vereinzelt auch allein oder als Vater-Kind-Duo. Keine*r der Anwesenden hat schon wirkliche Erfahrung mit Survival. Die Show „7 vs. Wild“ wird oft als erster Berührungspunkt genannt. 

Die Barfuß-Bärbel

Bevor wir alle selbst einen Feuerstahl und ein Messer bekommen, gibt Maurice uns eine Sicherheitseinführung. Er macht das spielerisch und erzählt Geschichten von Unfällen, die bereits passiert sind. „Und vor allem nicht das Messer auf dem Boden liegen lassen. Denn im Sommer gibt es immer eine Barfuß-Bärbel“, ruft er. Danach betont er: „Und wehe, einer schneidet sich, niemand hier bekommt ein Pflaster!“ 


Beim Feuer machen ist es wichtig, den Zunder gut zu präparieren, also raue ich, wie Maurice uns gezeigt hat, die Birkenrinde an. Das Messer fixiere ich neben meinem rechten Knie, dann ziehe ich den Feuerstahl an der Rückseite der Messerklinge nach oben. „Wie bei einem Rasenmäher“, sagt Maurice. Je mehr Druck man ausübt, desto mehr Funken fliegen. Es dauert ein paar Versuche. Mache ich etwas falsch? Aber dann habe ich den Dreh raus – mein Zunder brennt. In meinem Kopf bestelle ich den Feuerstahl und das Messer für zuhause. Nach einer Mittagspause verlassen wir das Lager und kommen an ein Sumpfgebiet. Maurice verschwindet im Unterholz. Die anderen schauen genauso bedröppelt drein, wie ich mich fühle. 

Bald stecke ich mit beiden Füßen fest im Schlamm und kaltes Wasser läuft mir in die Schuhe. Ein paar Teilnehmer*innen bleiben zurück. Ihnen ist das schon zu viel Survival. 

Bald stecke ich mit beiden Füßen fest im Schlamm und kaltes Wasser läuft mir in die Schuhe. Ein paar Teilnehmer*innen bleiben zurück. Ihnen ist das schon zu viel Survival. 

Irgendwann kommen wir zu einer Wiese, die vollständig von Wildschweinen umgegraben wurde. Was macht man also, wenn ein Wildschwein auf einen zu gerannt kommt? Maurice erzählt, dass er beim Joggen einer Wildsau und ihren Frischlingen begegnet ist. Damals hat er sich auf einen Baum gerettet. Auf die Frage, was man macht, wenn kein Baum in der Nähe ist, antwortet er: „Ausweichen und sich mit dem Messer wehren. So fest wie du kannst. Das ist deine einzige Chance.“ Ich bin skeptisch, welcher Spaziergänger hat schon ein Messer dabei? Außerdem bezweifle ich, dass ich in der Lage bin, ein Messer zu ziehen, wenn eine 70 Kilo schwere Sau mit 40 Kilometern pro Stunde auf mich zukommt. Auf meine kritische Nachfrage erwidert Maurice: „Es heißt: Entweder du oder ich. Friss oder stirb. Da kannst du dich dann entscheiden.“ Detailreich erzählt er, wie die Wildschweine einem mit ihren Hauern die Oberschenkel und im schlimmsten Fall die Hauptschlagader aufreißen. „Und wenn du dann einmal am Boden liegst, zerfleischen sie dir noch dein Gesicht.“ Lachend fragt er in die Runde: „Das war jetzt ein wenig dramatisch erzählt, oder?“ Für meinen Geschmack, ja. Ich kann den Tipp von Maurice nicht wirklich ernst nehmen.


Um eine andere Expertenmeinung zum Thema Wildschweinbegegnungen einzuholen, frage ich bei dem Jäger Matthias Möst nach: „Wildschweine greifen Menschen normalerweise nur an, wenn sie sich in die Ecke getrieben fühlen oder sie ihre Jungen verteidigen“, sagt er. „Insbesondere im sogenannten Wurfkessel, in dem sich die Frischlinge aufhalten. In der Regel handelt es sich um einen Scheinangriff, bei dem die Wildsau nach etwa 30 bis 40 Metern umdreht. Das bedeutet, wenn ein Wildschwein auf dich zu rennt, solltest du nicht versuchen, es mit einem Messer abzuwehren – du hast keine Chance gegen die Kraft und die Hauer des Tieres.“ Laut ihm ist dann die beste Möglichkeit, die man hat, zu rennen. 


Das Thema Essbares im Wald kommt ziemlich kurz. Was ich mitnehme, ist, dass man die Wurzeln von Disteln essen kann. Maurice findet eine Wurzel: „Schmeckt holzig, deswegen ist es wahrscheinlich die Wurzel einer zwei Jahre alten Distel.“ Damit ist das Thema für ihn abgehakt. Es geht weiter durch den Schlamm, bis wir an einen Bach kommen. Eines der wichtigsten Elemente, um in der Wildnis zu überleben, ist Wasser. Das Problem: Oft gibt es chemische oder biologische Verunreinigung. Durch Abkochen des Wassers werden zumindest Bakterien, Viren und Parasiten abgetötet. 

Maurice taucht seine Flasche in den Fluss und weist uns an, Feuer zu machen. Während seinen Erklärungen steigt er immer wieder mit voller Absicht in den Schlamm, wie um uns zu zeigen, dass ihm die Nässe und Kälte nichts anhaben können. Als wolle er uns zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist. 

Maurice taucht seine Flasche in den Fluss und weist uns an, Feuer zu machen. Während seinen Erklärungen steigt er immer wieder mit voller Absicht in den Schlamm, wie um uns zu zeigen, dass ihm die Nässe und Kälte nichts anhaben können. Als wolle er uns zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist. 

Man merkt, dass die Teilnehmer*innen müde geworden sind und auch ich bin erschöpft. Nur Maurice scheint noch topfit zu sein. Das passt zu dem Gespräch, dass wir am Morgen im Auto geführt haben: „Ich bin eine absolute Kampfmaschine. Ich trainiere mich darauf. Wenn ich meine Familie beschützen muss, dann kann ich das. Ich will selbstständig sein. Wenn alles den Bach untergeht, bin ich derjenige, der standhaft bleibt. Wenn alle Angst haben, bin ich derjenige, der weitermacht.“ Maurice redet schnell und gestikuliert viel. Er wirkt wie jemand, der nie zur Ruhe kommt. Ich frage ihn, ob er wütend auf das Leben ist. „Ständig. Das ist mein Motor.“ Seine Kindheit und Jugend waren nicht leicht, er selbst sagt, er sei abgerutscht. Für ihn ist die Entfremdung von der Natur eines der zentralen Probleme in der Gesellschaft. „Ich habe das selbst erlebt. Viele Menschen, die zu uns kommen, fragen sich, was sie überhaupt noch für eine Rolle spielen, bei dem was sie tun. Mir hat die Entwicklung hin zur Natur geholfen, so habe ich wieder eine Verbindung zu mir und zu meiner Umwelt aufgebaut. Das möchte ich mit anderen teilen.“


Nach dem wir das abgekochte Wasser probiert haben – es schmeckt erdig – kommen wir in einen laubigeren Teil des Waldes. Aus Hölzern und Blättern bauen wir uns eine Art Isomatte. Die Luft zwischen den Blättern speichert Wärme und isoliert so vom Boden. Ich mache den Test und lege mich auf das Blätterbett. Es ist ziemlich bequem. Wenn ich mir aber vorstelle, hier die Nacht zu verbringen, zieht sich alles in mir zusammen. Die nassen Blätter unter mir, ungeschützt mitten im Wald – überall raschelt es. Trotz der Isolierung ist mir kalt.
 

"Viele Menschen, die zu uns kommen, fragen sich, was sie überhaupt noch für eine Rolle spielen, bei dem was sie tun."

Maurice

Zurück im Lager geht es noch um die passende Ausrüstung. Maurice sagt: „Die ersten Suchergebnisse, wenn man Survival bei Google eingibt, sind über Ausrüstung. Dabei ist Ausrüstung nicht so wichtig wie alle denken, zumindest nicht, wenn man erfahren ist. Ein Messer ist ein Messer. Natürlich gibt es feine Unterschiede, aber du musst dir als Anfänger auf keinen Fall das teuerste kaufen.“ Es wird langsam Nacht, deswegen schnallen wir uns unsere Stirnlampen um. Knotenkunde im Dunkeln. Maurice zeigt uns drei Knotenarten. Ich bezweifle, dass ich sie allein nochmal hinbekommen werde. Trotzdem nett.


Zum Abschluss stellen wir uns alle um das Lagerfeuer herum auf und es geht noch einmal um das richtige Mindset. Was macht man, wenn man allein im Dunkeln Panik bekommt? „Denkt daran, es ist alles nur in eurem Kopf“, sagt Maurice. „Das ist nur euer Kopfkino, wenn ihr denkt, die Sau kommt, um euch zu zerfleischen.“ Dann umarmt er alle und bedankt sich. 


Ich bin erledigt und müde, möchte nur noch unter die Dusche und raus aus den rauchigen Klamotten. Im Wald braucht man für alles länger und viel mehr Energie, aber mit meinen Händen zu arbeiten und den Wald zu erleben hat sich gut angefühlt. Trotzdem muss ich den Tag erstmal auf mich wirken lassen. Viele Themen wurden nur angeschnitten und einen Großteil der Zeit haben wir mit Feuermachen verbracht. Maurice ist das bewusst. Er hofft, dass die Leute für einen vertiefenden Kurs wiederkommen. 

 

Mein Leben hat der Kurs nicht verändert, aber er hat mir die Augen geöffnet: Wie wenig ich wirklich über den Wald und das Überleben weiß. Ich kann mir gut vorstellen, noch tiefer in die Welt des Survival einzutauchen. Draußen im Wald warten keine E-Mails oder Deadlines auf mich. Stattdessen geht es um die Erfüllung der Grundbedürfnisse – einfache Probleme im Vergleich zur komplexen Welt da draußen. Was ich mitgenommen habe? Das Mindset ist unglaublich wichtig. Vom traditionellen Männlichkeitsbild in der Szene bin ich enttäuscht. Für Maurice bedeutet Survival nämlich vor allem: Fit zu sein, um seine Familie beschützen zu können. Für mich bedeutet Survival neue Skills zu bekommen, Zeit in der Natur zu verbringen und mal den Kopf abschalten zu können.