Tod und Trauer

Leben in zwei Welten

Johanna Klug spricht offen über den Tod und gibt sterbenden Menschen eine Stimme.
28. Nov. 2022
Statt Partys zu feiern, fängt Johanna Klug mit 20 an, jeden Freitagnachmittag ehrenamtlich als Trauer- und Sterbebegleiterin zu arbeiten. Im Interview erzählt sie, wie sie sich dort in eine andere Welt begibt und warum wir den Tod mehr in unser Leben lassen sollten.

Johanna Klug hat viele Jahre als ehrenamtliche Trauer- und Sterbebegleiterin in Deutschland und Südafrika gearbeitet. Sie studierte Medienmanagement (BA), Digitale Kommunikation (MA) und promoviert nun zum Thema Patient*innenautonomie todkranker Kinder. Weiterhin begleitet sie in Hospizen und auf Palliativstationen schwerkranke und sterbende Menschen. Außerdem hat Johanna den Studiengang „Perimortale Wissenschaften“ an der Uni Regensburg mit aufgebaut, der sich mit Sterben, Tod und Trauer auseinandersetzt. Vor kurzem ist sie von Berlin nach Eckernförde gezogen. Johanna ist Autorin von zwei Büchern und bietet Lesungen, Coachings und Workshops an.

Wie bist du so jung dazu gekommen, ehrenamtlich als Trauer- und Sterbebegleiterin zu arbeiten?

Ich mag die Reduzierung auf das Alter gar nicht. Wir müssten uns alle eigentlich schon in jungen Jahren intensiv damit auseinandersetzen. Ich hatte einfach diesen Impuls, ich möchte sterbende Menschen begleiten. Obwohl niemand bei mir im Umfeld gestorben ist oder ich irgendwie in einen Todes- oder Trauerfall verwickelt war. Das große Glück war für mich, dass unsere Nachbarin Seelsorgerin auf der Palli war. Meine Mutter meinte dann, frag sie doch, ob du dich da engagieren könntest. Die war total begeistert und hat mich mitgenommen. Ich musste erst mal herausfinden: Was ist eine Palliativstation überhaupt? Das wusste ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Ab da bin ich jeden Freitagnachmittag auf die Palli gegangen und hab' Blumen mitgebracht. Wir haben Kekse gebacken oder Obstsalat gemacht. Mir war es immer wichtig, diese schönen Momente zu schaffen.

Warum sagst du „Palli“ und nicht Palliativstation?

Ich finde, Palliativstation ist immer so ein langer sperriger Begriff. Wobei ich den Begriff „palliativ“ schön finde, „mit einem Mantel umhüllen“. Es klingt leicht. Ich mag das einfach.

Du hast „irgendwas mit Medien“ studiert und beschäftigst dich jetzt mit den Themen Sterben, Trauer und Tod.

Ich darf den Menschen eine Stimme geben. Jeder Mensch hat eine Geschichte. Die möchte ich erzählen und meine Erfahrungen weitergeben.

„Trauer kommt in Wellen und ist bunt. Deswegen trauert jeder Mensch ganz individuell.“

Johanna Klug

Wie gehst du mit den Gefühlen um, die aufkommen, wenn die Menschen, die du begleitest, dann sterben?

Also für mich ist ganz wichtig, dass ich die Gefühle auch da sein lasse. Auch wenn das Wut, vielleicht Schuldgefühle oder tiefe Trauer, Schmerz sind. Es ist wichtig, dass man sich das von niemandem absprechen lässt. Es gibt immer noch zu viele Leute, die sagen „Ach komm, jetzt ist es doch schon ein halbes Jahr her“ oder „Zeit heilt alle Wunden“ und „Jetzt ist doch mal gut“. Aber wie es dir geht, darf nicht dein Außen bestimmen. Trauer kommt in Wellen und ist bunt. Deswegen trauert jeder Mensch ganz individuell.

Als ich an meinem zweiten Buch geschrieben habe, bin ich das bei dem Kapitel von Alexander auch noch mal durchgegangen. Er war ein fremder Mensch für mich und trotzdem bin ich so krass in ein Trauerloch gefallen. Er hat sich verabschiedet und ich wurde so ausgespuckt in die Realität. Da habe ich mich einfach betäubt und stumpf gefühlt. Als ich dann erkannt hab, warum und wieso, dann war das auch ok und ich habe alles einfach da sein lassen.

Brauchst du dann manchmal eine Pause?

Ja und nein. Also bei Alexander habe ich eine Pause gebraucht, um zu realisieren, was da grad passiert ist. Aber für mich ist das keine Pause, weil es ja irgendwie in mir weiterarbeitet. Letztendlich habe ich mich, bevor solche Fragen kamen, nicht selbst gefragt, wie komme ich jetzt wieder zu Kräften. Es ist viel öfter so, dass ich erschöpft und sehr müde und ausgelaugt bin von unserer eigentlichen Realität in dieser Gesellschaft. Von dieser gesellschaftlichen Konditionierung, von diesem Leistungsdruck, auch von der Erwartungshaltung und diesen Schubladen, in die wir kategorisiert werden. Diese Oberflächlichkeiten. Das macht mich oft wirklich super, super müde.

Würdest du sagen, das sind zwei Welten – die Hospiz- oder Palli-Welt und die Welt da draußen?

Ich habe bisher noch keine bessere Umschreibung gefunden. Aber für mich sind das schon zwei ganz unterschiedliche Welten. Um ein Bild davon zu bekommen, für Leute, die das noch nicht kennen, ist das vielleicht ganz hilfreich. Es wird dort einfach ganz intensiv gelebt. Auch sehr viel gelacht. Ich habe das Gefühl, die Lebensdichte ist dort sehr konzentriert. Weil der Tod das Leben rahmt. Und wenn wir nicht sterben würden, hätte ja gar nichts eine Bedeutung. Und wir leben oft so, als hätte gar nichts eine Bedeutung.

Was kannst du den Menschen im Prozess des Sterbens mitgeben?

Ich glaube, dass jeder etwas anderes für sich mitnimmt. Dadurch, dass jeder Mensch individuell ist, und ich jedem Menschen anders begegne. Mir ist ganz wichtig, dass ich wirklich im Moment bin. Und dass ich zuhöre, mich leer mache und mit den Menschen in Resonanz trete. Aber dass ich mich selbst nicht zum Mittelpunkt des Geschehens mache. Nicht schon im Kopf daran denke, „Welche Termine habe ich später? Was muss ich noch erledigen?“ Das muss ich dann erst mal vor der Tür parken. Ich kann es dann wieder einsammeln, wenn ich rausgehe.

„Mich hat jeder Mensch, den ich beim Sterben begleiten durfte, auf seine Art und Weise ganz tief berührt.“

Johanna Klug

Und was nimmst du mit?

Diese Tiefe in Gesprächen und Begegnungen. Und dieses Lösen von Oberflächlichkeiten, von Konsum und von Leistung. Sich ständig selbst und seine Bedürfnisse hintenanzustellen, nur um die Bedürfnisse anderer zu erfüllen. Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich mit mir selbst viel verbundener bin. Und ich priorisiere meine Zeit anders. Ich verbringe meine Zeit nicht mehr mit Menschen, die mir nicht guttun. Mich hat jeder Mensch, den ich beim Sterben begleiten durfte, auf seine Art und Weise ganz tief berührt. Wenn ich so gefragt werde, was ist denn die Begleitung, die dir am meisten im Kopf geblieben ist, dann geht das ja fast in so eine Wertung. Und da kann ich nicht werten. Jede Begegnung ist auf ihre Art und Weise einfach zu besonders.

Warum glaubst du, dass viele Menschen Angst vor dem Tod haben und nicht gerne darüber sprechen?

Ich glaube in erster Linie ist es eine unserer Ur-Ängste, diese Todesfurcht. Daraus entstehen auch unsere anderen Ängste. Aber natürlich wird uns, wenn wir uns mit dem Sterben und unserer Endlichkeit konfrontieren, ein Spiegel vorgehalten. Das ist schwer auszuhalten, wenn sich Menschen ihr ganzes Leben nicht damit beschäftigt haben. Wir reproduzieren dieses Tabu häufig. Ich finde es deshalb wichtig, bei den Kindern schon anzusetzen und ihnen ihre Neugier und Interesse an Sterben und Tod nicht abzusprechen.

Wie kann so eine Auseinandersetzung mit Tod und Sterben aussehen?

Ich glaube, es braucht eine Person, die mutig genug ist, sich verletzlich zu zeigen, weil man dann merkt, mit diesen ganzen Ängsten bin ich nicht allein. Eigentlich habe ich in all meinen Gesprächen gemerkt, dass schon jeder mal Berührungspunkte damit hatte.

Du warst eine Zeit lang in Südafrika und hast dort im Hospiz gearbeitet. Würdest du sagen, dass die Menschen dort einen anderen Umgang mit Tod und Trauern haben?

Ich war in Mandeni, das ist in der Nähe von Durban und da liegt die HIV-Rate bei 75 Prozent. Das heißt, in Südafrika ist der Tod sehr viel näher. Und ich glaube, das andere Ding ist, dass es dort nicht so viel Geld gibt. Das heißt, die können sich nicht „glücklich konsumieren“. Das geht sowieso nicht. Aber wir kaufen uns hier die neuste Technik, einen Fernseher und ein geiles Auto und noch ein bisschen Kosmetikzeug. Wir gönnen uns Produkte, in dem Glauben, dass wir glücklich werden. Aber letztendlich ist es auch nur ein Versuch, dem Tod zu entkommen. Und eine Trauerfeier wird in Südafrika richtig als ein Fest gefeiert. Tagelang. Da wird ganz viel gegessen, getrunken, getanzt, gelacht, geklagt und letztendlich ist es größer als jede Hochzeit.

Hast du Angst vor dem Tod?

Nein … Und ich glaube bei vielen Menschen ist es auch gar nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst vor dem Sterben, und vor den Schmerzen, die da auftreten können. Worauf ich auch immer angesprochen werde, ist: „Johanna, was kommt danach?“ Das Stichwort: die Kontrolle haben zu wollen. Und vielleicht selbst in diesen Prozess eingreifen zu können. Aber wir wissen es alle nicht. Auch die Leute mit einer Nahtoderfahrung, können oft nur von einem ganz heilsamen warmen Licht erzählen. Aber letztendlich sind die auch wieder zurückgekommen. Wir können uns entscheiden: Machen wir uns total verrückt oder sagen wir einfach: „Ja dann lass ich mich halt überraschen und sehe es als Abenteuer.“ Letztendlich ist das Leben auch nichts anderes.