Freundschaft

Vergangenheitsweh

Sehnen wir uns zu oft nach den "guten alten Zeiten"? (Symbolbild)
09. Aug. 2020

Wer hat sie nicht bereits in irgendeiner Form erlebt, diese gewissen Erzählungen und Situationen „Unter Freund*innen“? Die Kolumne beschäftigt sich mit den alltäglichen Gesprächen zwischen eben jenen sowie ihren kleinen und großen Folgen.

Alle reden plötzlich von den guten alten Zeiten und wie viel besser vorher alles war: Als wir die Äpplerflaschen in der Hand und den Zigarettengeruch in den Klamotten von den gemeinsamen Abenden in der Gartenlaube davontrugen oder noch darüber diskutierten, wer die erste Runde Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt ausgeben muss. Hatten wir nicht endlose Male in der Schlange um den ersten Burger vom Grill gedrängelt und über den sehenswertesten Film im Kino debattiert, um dann schließlich doch wieder in die Bowlingbahn zu gehen? Allesamt schöne, gemeinsame Erinnerungen, das ist unbestritten. Nur leider lassen sich diese Momente aktuell nicht ohne Weiteres so frei umsetzen, wie wir es gewohnt waren. Statt sich nach den Kontaktsperren über die wiedergewonnene, gemeinsame Zeit unter Freunden zu freuen, schlägt die Stimmung durch Corona oft in Vergangenheitsweh um.

Natürlich vermisse ich diese Zeiten, als noch alles einfacher war, aber wir machen uns dadurch wahrscheinlich auch viel zu selten bewusst, wie wertvoll unsere Momente miteinander sind. Dazu braucht es erst einen Virus, der uns alle einsperrt. Denn oft sind wir viel zu sehr mit unserer Umgebung oder uns selbst beschäftigt, um wirklich intensiv Zeit für andere zu haben. Diese reicht maximal für den belanglosen Smalltalk beim Essen, Trinken oder Beisammensitzen. Wann haben wir das letzte Mal wirklich zugehört? Wann das letzte Mal ein gutes Gespräch geführt? Sollten wir uns also nach den „guten alten Zeiten“ sehnen, bedeutet das zwar, dass wir die gemeinsamen Augenblicke genießen und schätzen, aber diese auch schneller an uns vorbei ziehen, als uns vielleicht lieb ist.

Zwar mag Corona als Pandemie viele negative Folgen mit sich bringen, dennoch hat das Ausharren auch etwas Gutes: Ich bin vielen wichtigen Menschen in meinem Leben wieder näher gekommen. Aktuell wohne ich übergangsweise zuhause und habe so mehr Kontakt zu meiner Mutter, mehr Zeit für meinen Freund und auch mehr Ruhe, um mit meinen Freund*innen zu skypen. Durch die intensiven Gespräche, die wir in den vergangenen Wochen wie noch nie geführt haben, ist eine alte Schulfreundin nun zu meiner besten Freundin geworden. Ich habe meinen Freund oft beim Angeln begleitet und so einiges dazugelernt. Und die wenigen Gespräche, die ich mit meiner im Altenheim lebenden Oma führen konnte, sind mir unglaublich wichtig geworden. 

Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden sind wir im Schnitt täglich fast 1,5 Stunden unterwegs, was vielen von uns aktuell durch das Homeoffice, die Onlinekurse und den (Zwangs)Urlaub daheim erspart bleibt. Nehmen wir uns gemeinsam nur 30 Minuten dieser Zeit oder zumindest zwei Stunden wöchentlich und investieren sie in gute Gespräche. Lernen voneinander, reden und lachen miteinander oder hören auch einfach mal nur zu. Denn wenn wir uns wieder in der Gartenlaube treffen, den Weihnachtsmarkt besuchen, ohne Beschränkungen ins Kino gehen oder auch einfach nur gemeinsam grillen können, haben wir immer noch die Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. Bis dahin sind wir uns ganz einfach ein Stückchen näher gekommen - und das ohne den Sicherheitsabstand zu verlieren.
 

Einen weiteren Teil der Kolumne "Unter Freund*innen" findet ihr hier.