Kolumne

Die Angst vor dem Verpassen

Die Angst vor dem Verpassen
27. Jan. 2022
Manche von uns führen ein geregeltes Leben und schätzen das, was sie gegenwärtig haben. Und manche von uns haben genau vor diesen Dingen Angst... Eine Kolumne über die abendlichen Gedanken auf dem Sofa, die man eigentlich am liebsten für sich behält.

Ich gehöre zu der Art von Menschen, die gerne planen und wissen, was auf sie zukommt. Außerdem habe ich ganz selten das Gefühl, etwas zu verpassen. Wo manche Schnappatmung bekommen, wenn sie nicht jede einzelne Stunde des Wochenendes verplant sind und auf wirklich jeder Party zu Gast waren, lehne ich mich entspannt zurück. Es mag abgedroschen klingen aber ich habe gelernt, Prioritäten zu setzen. Denn meine Mutter meinte schon immer zu mir: „Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen.“ Und Recht hat sie. Ich muss nicht überall gewesen sein, überall den Klassenclown spielen und überall omnipräsent sein. Ich mag meinen kleinen, schnuckligen Kreis, den ich mir über die Jahre aufgebaut habe und pflege. Diese Personen sind es, die an erster Stelle stehen. Ja, auch ich habe in meinen schwachen Momenten manchmal Angst etwas zu verpassen: Der Besuch der Insta-Insel Bali, einen Surfkurs zu machen und anschließend an einer Bar am Meer mit einem Margarita zu sitzen. Aber wisst ihr was? Das kann man sogar, nur eben nicht immer und auf Dauer. Denn so läuft das Leben nicht. Ich bin Realistin.

Kurz gesagt: FOMO

Und neben den Realisten, gibt es eben noch die Kategorie von Menschen, die Angst haben, all das zu verpassen. Die sich in Windeseile eingeengt fühlen, deren liebstes Wort „Connecten“ ist, die viel mehr Hobbys haben als sie umsetzen können und dann oft enttäuscht sind, wenn all das zusammen eben nicht in ein ‚normales‘ Leben passt. Zu neudeutsch: FOMO – the Fear Of Missing Out. Für mich sind sie weder Realist*innen noch Optimist*innen noch Pessimist*innen – sie sind Träumer*innen.

Drei Viertel der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland haben laut einer Studie von Parship schon einmal darunter gelitten, vermeintlich etwas zu verpassen. Besonders betroffen sind dabei Männer. Ein Bekannter, nennen wir ihn Mr. X, hat genau dieses Problem. Er ist Mitte 20, studiert, hat einen tollen Freundeskreis, eine liebevolle Familie. Er hat alles. Und trotzdem ist er unglücklich. Warum, kann er selbst nicht so genau sagen. Seine Antwort auf diese Frage ist lediglich „Ich habe Angst, etwas zu verpassen“. Fragt man daraufhin was genau, bleibt er stumm. Der größte Fluch? Sein Handy, das wirklich immer und überall präsent ist. Für ihn scheint der mediale Druck enorm hoch zu sein, immerhin sieht man in den Instagram-Storys und Co. ständig, was die anderen machen und wo sie gerade unterwegs sind. Dann kommt in ihm schnell der Gedanke hoch, mit dem Sofa die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Likes und Shares der eigenen Beiträge verstärken das Gefühl nur noch mehr. Ich glaube, es ist dann nur eine Frage der Zeit, wann die Diskrepanz zwischen dem aufgebauschtem Soll und dem tatsächlichen Ist-Zustand des eigenen Lebens zu groß wird – dann gibt es eine emotionale Explosion, die alles niederreißt, was im Umfeld war. 

Mr. X macht sich jetzt übrigens auf ins Ausland für ein paar Monate – immerhin könnte einem ja sonst etwas entgehen. Und ich? Tja, ich bleibe hier. Ohne Angst, etwas zu verpassen, und damit scheine ich viel glücklicher zu sein als Mr. X auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.

 

Eine weitere Episode der Kolumne "Couchgeflüster" gibt es hier.