Verkehr 6 Minuten

Mythen auf dem Prüfstand

Warndreieck
Bei Unfällen essenziell: das Warndreieck. Aber wann, wo und bei wem kommt es am häufigsten zum Einsatz? | Quelle: Max Bruns
15. Febr. 2022
„Frau am Steuer, Ungeheuer“ oder der klassische „Sonntagsfahrer“: Vorurteile gibt es im Straßenverkehr wie Sand am Meer. Aber was sagen die Zahlen? Wo und wann passieren tatsächlich die meisten Unfälle? Und wer ist am häufigsten schuld? Sieben Straßenverkehrs-Mythen im Check.

1. „Es gibt insgesamt immer mehr Unfälle.“


Zugegeben, zu diesem Thema hört man häufig zwei unterschiedliche Annahmen. Die einen meinen, weil es immer mehr und schnellere Autos gibt, muss es auch mehr Unfälle geben. Die anderen argumentieren, weil Autos immer „intelligenter“ und sicherer werden, muss es weniger Unfälle geben. Was davon stimmt nun aber? Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass es wirklich umfassende und zuverlässige Unfallzahlen in Deutschland erst ab 1991 gibt. Tatsache ist, dass auf den Straßen in Deutschland immer mehr los ist. Der Bestand an PKW ist seit 1991 um etwa 15 Millionen auf insgesamt knapp 47 Millionen gestiegen.

Das muss aber nicht bedeuten, dass es auch mehr Unfälle gibt. Im Gegenteil – während 1991 circa 2,31 Millionen Unfälle erfasst wurden, waren es 2020 nur noch circa 2,25 Millionen. Dieser Wert ist durchaus interessant, da die Unfallzahl seit 1991 bis 2019 eigentlich recht durchgängig gestiegen ist und 2019 mit knapp 2,69 Millionen sogar den Höchstwert erreicht hat. Ist der niedrige Wert 2020 bedingt durch das während Corona niedrigere Verkehrsaufkommen oder zeichnet sich ein neuer, langfristiger Trend ab? Die Zahlen der nächsten Jahre werden das zeigen. Was man sicher sagen kann: Insgesamt sind die Unfälle häufig weniger „schlimm“. Die Zahl der Verkehrstoten war 2020 nur noch knapp ein Viertel mal so groß wie 1991, auch Verletzte gibt es immer weniger. Laut statistischem Bundesamt liegt das neben rechtlichen Regelungen wie beispielsweise der Kindersitzpflicht vor allem daran, dass Fahrzeugtechnik und Straßen besser geworden sind.

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Obwohl immer mehr Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen fahren, gibt es immer weniger Verkehrstote. | Quelle: Jakob Hertl

2. „Fahranfänger bauen die meisten Unfälle.“


Oft zieren Autos von Fahranfängern Aufkleber, die den Verkehr auf die fehlende Erfahrung hinweisen soll. Wie nötig ist dieser Hinweis? Fahrer der Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren waren 2020 an über 44.000 Unfällen beteiligt, ungefähr 66 Prozent davon waren selbst verschuldet. Im Vergleich dazu war die deutlich größere Altersgruppe von 25 bis 65 Jahren für mehr als 189.000 Unfälle verantwortlich, knapp 53 Prozent davon selbst verursacht. In der jüngeren Altersgruppe ist nicht jeder ein Fahranfänger, doch die Häufigkeit der selbst verursachten Unfälle war höher als beim Großteil der Autofahrer. In totalen Zahlen bauen Fahranfänger also nicht mehr Unfälle, trotzdem ist an der Aussage etwas dran.


3. „Frau am Steuer – Ungeheuer.“


Ob nun „Frau am Steuer, Ungeheuer“ oder „Frau am Steuer, das wird teuer“ – gefühlt ist dieser Spruch genauso alt, wie die Erfindung des Autos selbst. Trotzdem hört man ihn immer noch vereinzelt. Das Vorurteil, dass Frauen schlechter Auto fahren und vor allem einparken können, hat sich bis ins 21. Jahrhundert gehalten. Aber stimmt es auch? Spoiler: Nein. Im Jahr 2020 waren leicht über 107.000 Frauen an Autounfällen beteiligt, bei denen Personen zu Schaden gekommen sind. Im selben Zeitraum waren knapp 169.000 Männer in Unfälle verwickelt. Auch bei der Statistik für die Hauptverursacher sind Frauen deutlich weniger vertreten: knapp 58.000  Frauen haben den Unfall selbst verursacht. Männer hingegen sind in knapp 100.000 Fällen selbst für den Unfall verantwortlich. Dieses Vorurteil ist also das Einzige, was wirklich ungeheuerlich ist.


4. „Auf der Autobahn gibt es die meisten und schlimmsten Unfälle.“


Auf Autobahnen herrschen die höchsten Geschwindigkeiten – besonders in Deutschland. Wie wir in der Fahrschule alle gelernt haben, sind Reaktions- und Bremsweg länger, je höher die Geschwindigkeit. Und je schneller ein Fahrzeug beim Aufprall ist, desto größer ist meist auch der Schaden. Dementsprechend würde die Vermutung naheliegen, dass auf der Autobahn die meisten und schlimmsten Unfälle passieren. Aber falsch gedacht. Von 2020 insgesamt knapp 265.000 akuten Unfällen mit Personenschaden waren nur knapp 6 Prozent auf der Autobahn. Rund 69 Prozent sind hingegen innerorts passiert. Logischerweise sind innerorts auch die meisten Personen zu Schaden gekommen, sprich gestorben, schwer- oder leichtverletzt worden. Wie die Verteilung in diesen drei Kategorien zeigt, sind Unfälle innerorts trotzdem am seltensten schwerwiegend. Über vier Fünftel der Betroffenen wurden nur leicht verletzt, circa 0,4 Prozent sind beim Unfall ums Leben gekommen. Währenddessen sind auf Autobahnen knapp 1,4 Prozent der Verunglückten gestorben. Am folgenschwersten waren Unfälle aber tatsächlich nicht auf Autobahnen, sondern außerorts (ohne Autobahn). Dort gab es verhältnismäßig die meisten Toten und Schwerverletzten und die wenigsten Leichtverletzten.

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Die meisten gefährlichen Verkehrsunfälle finden weder auf der Autobahn, noch innerorts statt. | Quelle: Jakob Hertl

5. „Die schlechtesten Autofahrer leben in…“


Wo leben eigentlich die schlechtesten Autofahrer in Deutschland? Dazu haben wir wohl alle so unsere Vorurteile, meist dadurch bedingt, woher wir kommen. Besonders Personen aus dem Nachbarort können der eigenen Auffassung nach meist überhaupt nicht vernünftig Auto fahren. So einfach lässt sich die Frage nach den schlimmsten Verkehrsteilnehmern jedoch nicht beantworten, schließlich spielen viele Faktoren eine Rolle. Man kann allerdings einen Blick auf die Bundesländer und Städte mit den meisten Unfällen werfen:

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Berlin überholt einwohnerreichere Bundesländer. Auch Städte wie Stuttgart, Hannover und Dresden überraschen bei der Gegenüberstellung. | Quelle: Jakob Hertl

Bei den Bundesländern sind kaum große Unterschiede in den Tabellen zu sehen, was die Relation von Unfällen und Einwohnerzahl angeht. Einzig Berlin fällt auf, vor allem, weil es sich hauptsächlich um Stadtgebiet handelt und wenige Bundesstraßen hat, die Pendler nutzen. Einen krassen Ausreißer gibt es aber nicht. Ähnliches gilt für die Städte, in den fünf Einwohnermäßig größten Städten gibt es auch die meisten Unfälle. Etwas überraschend: in der „Autostadt Nummer eins“ Stuttgart, scheint es tatsächlich verhältnismäßig nicht so viele Unfälle zu geben. Auch Dortmund und Leipzig schneiden recht gut ab, in Hannover und Dresden gibt es hingegen etwas mehr Unfälle, als man mit Blick auf die Einwohnerzahlen vermuten würde.


6. „An immer mehr Unfällen sind Fahrradfahrer schuld.“


Vorbild Kopenhagen: auch in Deutschland bauen immer mehr Städte Radwege aus und beschränken den Autoverkehr. Die Zahl der Fahrradfahrer nimmt zu. Laut Verkehrsministerium nutzen immer mehr Menschen das Fahrrad für Strecken unter 15 Kilometern. Mehr als die Hälfte der Deutschen könne nicht mehr auf das Fahrrad verzichten. Kommen damit auch mehr Unfälle mit Fahrradbeteiligung zustande? Rund 100.000 Fahrradfahrer waren 2020 in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt. Fast die Hälfte davon waren selbst Hauptverursacher des Unfalls. Dieser Wert ist im Vergleich zu 2019 um knapp 15 Prozent gestiegen. Die Tendenz der Unfallzahlen nimmt bei den Fahrradfahrern also sogar zu, im Gegensatz zu den Unfällen mit motorisierten Fahrzeugen. Insgesamt gibt es natürlich nach wie vor deutlich mehr Autounfälle im Straßenverkehr. Trotzdem zeigt der Trend: auch diese Aussage ist nicht komplett an den Haaren herbeigezogen.


7. „Sonntagsfahrer sind die Schlimmsten.“


„So ein Sonntagsfahrer!“ Das hat wohl jeder im Zorn schon mal ins eigene Lenkrad gebrüllt. Nicht komplett zu Unrecht – Fahrer*innen, die sich nicht an die bestehenden Verkehrsregeln halten und den Verkehr behindern sind schließlich nervig. Was aber, wenn man diese Aussage wörtlich nimmt? An welchen Wochentagen passieren die meisten Unfälle und wie sicher fahren die „Sonntagsfahrer*innen“, die nur selten ihr Auto für Ausflüge nutzen?

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Insgesamt fallen mehr Unfälle an Donnerstag und Freitag an, das Wochenende ist deutlich ruhiger. | Quelle: Jakob Hertl

Tatsächlich sind die Unfallzahlen am Sonntag am geringsten. Die meisten Unfälle wurden 2020 donnerstags und freitags gemessen. Logisch, da die meisten Menschen eine reguläre Arbeitswoche haben, die montags beginnt und am Freitag endet. Außerdem kann die hohe Unfallzahl an Freitagen auch auf Pendler zurückgeführt werden, die übers Wochenende zurück zur Familie fahren. Ob „Sonntagsfahrer“, wie wir sie verstehen wirklich mehr Unfälle bauen, lässt sich natürlich schwer messen. Mit reinem Blick auf die Statistiken der Wochentage sollten wir uns aber vielleicht überlegen, den Ausdruck für die besonders schlechten Verkehrsteilnehmer unter uns in „Freitagsfahrer“ umzutaufen.

Wo die meisten Unfälle in eurer Nähe stattfinden, könnt ihr beim interaktiven Unfallatlas des statistischen Bundesamts selbst nachschauen.