Trainereffekt 8 Minuten

Tapetenwechsel für den Erfolg?

Ein Klemmbrett hängt an einem Gitterzaun, daneben hängen Fußballschuhe und dahinter sieht man einen verschneiten Fußballplatz.
Viele Fußballvereine erhoffen sich durch immer neue Trainer mehr Erfolge. Dieser Plan geht nicht immer auf. | Quelle: Marylou Gaißert
13. Febr. 2024

Der Trainereffekt ist im Fußball ein umstrittener Faktor. Bekannte Namen wie Carlo Ancelotti oder José Mourinho machen ihn durch ihre häufigen Vereinswechsel in der letzten Dekade immer wieder zu einem Thema. Doch gibt es dieses Phänomen wirklich und bringt es die Vereine zum erhofften Erfolg?

Fußballtrainer haben schon lange keine Jobsicherheit. Wenn die Leistung nicht stimmt, wackelt der Trainerstuhl und es folgt die Entlassung. In der aktuellen Bundesliga-Saison 2023/24 mussten das bereits Enrico Maaßen (FC Augsburg), Bo Svensson (1. FSV Mainz 05) und Urs Fischer (Union Berlin) am eigenen Leib erfahren. Seit der Einführung der deutschen Bundesliga gab es durchschnittlich 13 Trainerentlassungen pro Saison. Mit der Entlassung erhoffen sich die Vereine einen positiven Trainereffekt, also einen sportlichen Erfolg für die Mannschaft durch den Wechsel des Coaches. Doch kehren neue Besen wirklich besser als alte?

In der Bundesliga ist deutlich zu erkennen, dass der Trainereffekt vermehrt positiv ausfällt. In den vergangenen zehn Jahren wurde in der deutschen Top-Liga insgesamt 315 Mal der Trainer gewechselt. Zudem waren zwölf Trainer auch in den anderen vier europäischen Topligen, wie der spanischen La Liga, der französischen Ligue 1, der italienischen Serie A und der englischen Premier League tätig.

Last Man Standing

Eine Besonderheit in der Bundesliga stellt der SC Freiburg dar. Bereits seit Januar 2012 wird der Verein von Christian Streich trainiert. Mit seinen 58 Jahren ist er der älteste Coach der Bundesliga. Nachdem der Verein in der Saison 2014/15 für ein Jahr in die zweite Liga abrutscht war, hat sich der Sportclub durchgehend mit demselben Trainer in der Bundesliga halten können und dabei Erfolge verzeichnet. Bislang konnten sich die Freiburger bereits drei Mal für die Europa League qualifizieren und standen 2022 auch im DFB-Pokalfinale. Im Fußball-Podcast des Westdeutschen Rundfunks „Ball you need is love“ spricht Streich darüber, warum er schon so ungewöhnlich lange Trainer seiner Mannschaft aus dem Breisgau ist. „Es ist wichtig, sich für die Spieler zu interessieren", sagt Streich, „jeder hat seine Eigenheiten, mit denen man umgehen muss. Wenn man ein bisschen was mitkriegt, bisschen was spürt, dann hat man ein ganz anderes Verständnis für sein Gegenüber“, sagt er.

„Es ist wichtig, sich für die Spieler zu interessieren."

Christian Streich, Trainer des SC Freiburg

Auch Sportpsychologe Olaf Kortmann, der selbst als Dozent an der Trainerakademie Köln Bundestrainer im Bereich „Leadership” weiterbildet, kann das bestätigen. „Es ist wichtig immer genau einen Zugang zur Mannschaft und zu den einzelnen Spielern zu finden”, sagt er. Das ist bei Streich durch seine langjährige Amtszeit möglich.

In Stuttgart herrscht reger Wechsel

Ganz anders sieht es beim VfB Stuttgart aus. Allein in der Saison 2022/23 haben die Schwaben vier Mal den Trainer gewechselt. Auf Pellegrino Matarazzo folgte im Oktober interimsweise Michael Wimmer. Im Dezember kam Bruno Labbadia und seit April 2023 trainiert nun Sebastian Hoeneß die Jungs aus Cannstatt. Er hat nicht nur den Klassenerhalt geschafft, sondern kann sich mit seiner Mannschaft in der aktuellen Saison auf den obersten Tabellenplätzen halten. Die Stuttgarter verzeichnen, gemeinsam mit Hertha BSC, die meisten Trainerwechsel der Bundesliga in den vergangenen zehn Saisons.

Der VfB hat in dieser Zeit rund sechsmal um den Klassenerhalt gekämpft. Ähnlich verhält es sich auch bei den Herthanern – in der vergangenen Saison konnten sie sich letztendlich nicht mehr in der Bundesliga halten. Das scheint kein Zufall zu sein, denn bei einigen Vereinen, die oftmals im Tabellenkeller gespielt haben, sind deutlich mehr Trainerwechsel zu erkennen als bei den Top-Vereinen. Unter anderem haben Bruno Labaddia und Tayfun Korkut in den vergangenen zehn Saisons allein vier Mal zum selben Verein zurückgewechselt. Beide waren auch in Stuttgart als Trainer tätig.

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In den vergangenen zwölf Jahren hat der VfB mehr als zwölf Mal den Trainer gewechselt | Quelle: Transfermarkt

Ein internationales Kommen und Gehen

Von der deutschen Liga bewegen wir unseren Blick nun in die internationalen Top-Ligen. Im Vergleich lässt sich feststellen, dass die italienische Liga in den vergangenen zehn Jahren am häufigsten die Trainer wechselt, insgesamt über 400 Mal. International am wenigsten wechselt die französische Liga. Die Franzosen holen sich am häufigsten Trainer aus dem Ausland und wechseln seltener im eigenen Land die Trainer als die anderen Ligen. In der spanischen La Liga spielt besonders ein Mann eine Hauptrolle. Der Spanier Voro González ist wohl der am häufigsten vom gleichen Verein verpflichtete Trainer. In den letzten zehn Jahren wurde er sechsmal zum FC Valencia geholt. „Verschleißmaschine“, so wird der italienische Verein FC Palermo gerne bezeichnet. Der Verein sticht als negatives Beispiel der italienischen Serie A heraus. Grund dafür könnte der Sportpräsident Maurizio Zamparini sein. Er gilt als wechselfreudig, in seiner Amtszeit von 2002 bis 2018 holte er 40 Trainer nach Palermo. Der Verein verpflichtet viele Trainer, aber alle haben einen negativen Effekt auf den Erfolg des Vereins. In Frankreich sind die Wechsel wesentlich erfolgreicher als in Italien. Der französische Profiverein Olympique Marseille verpflichtete elf Trainer. Sieben davon führten den Verein zu kurzfristigen Erfolgen. Der französische Voro heißt Patrick Collot. Dieser Mann hält dem Verein Losc Lille die Treue. Mehrmals wechselte er dorthin und konnte immer wieder Erfolge erzielen.

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In dieser Visualisierung fällt besonders auf, wie die italienische Liga sich über die Jahre stark vernetzt hat. | Quelle: Transfermarkt

Ein Trainer sollte führen können

Eines ist in allen Ländern gleich: Jeder Verein will und braucht einen guten Trainer. Doch worauf kommt es dabei an?  Während die Trainerausbildung früher rein fachlich orientiert war, vermittelt sie heute laut dem Sportpsychologen Olaf Kortmann eine Menschenführung. Dieser findet das extrem wichtig. „Für mich ist ein Trainer eine Führungskraft“, sagt er. Diesem Grundsatz folgt Kortmann auch, wenn er selbst Trainer ausbildet. Denn für ihn muss ein Trainer ein Vorbild sein und den Spielern helfen zu reifen.

 „Für mich ist ein Trainer eine Führungskraft“

Olaf Kortmann

Doch um ein Vorbild sein zu können, sollte ein Trainer auch über eine längere Zeit da sein. Dies sieht jedenfalls Kortmann so: „Wir brauchen eine langfristige Konzeption und Strategie, die ein Trainer leben muss.“ Bei den häufigen Wechseln heutzutage sei das jedoch gar nicht so leicht. So auch beim langjährigen Union Berlin Trainer Urs Fischer. Nachdem er seit Ende August kein Spiel mehr für sich gewinnen konnte, folgte Mitte November der Austritt aus seiner fünfjährigen Amtszeit. Der klare Grund: ein dauerhaft schlechtes Ergebnis. Doch nicht immer seien, laut Kortmann, Trainerwechsel sportlich bedingt. Denn auch wenn ein Trainer gute Ergebnisse bringt, könne es durchaus zur Entlassung kommen. Zum Beispiel, wenn er durch ein Fehlverhalten nicht mehr tragbar in der Öffentlichkeit ist. Doch auch interne Unstimmigkeiten oder Druck durch die Presse können weitere Gründe sein. Gerade dadurch sei es in Medienstädten wie Hamburg oder Berlin oftmals gar nicht so leicht einen Trainer langfristig bei sich zu halten. Kortmann sieht hier einen Mittelweg als Lösung, indem der Verein eine Philosophie vorgibt und „nicht, dass ein Trainer entscheidet heute machen wir das und der nächste sagt morgen wieder was anderes.“

Alles nur Placebo?

Es wird deutlich, dass die Trainerwechsel in allen Top-5-Ligen positive Auswirkungen haben. Neue Trainer haben in der kurzen Zeit eine höhere Erfolgsquote als ihre Vorgänger. Andererseits können häufige Trainerwechsel innerhalb eines Vereins häufiger zu negativen Folgen führen. Es zeigt sich, dass Trainerwechsel komplizierter sind als sie scheinen. Daher spielen für Kortmann verschiedene Faktoren wie Spielerbeziehungen, öffentliche Wahrnehmung und Vereinsphilosophie eine wichtige Rolle. Der Trainereffekt lässt sich also nicht nur vom rein sportlichen Aspekt bemessen, da Trainer wie Claudio Ranieri trotz ihres Erfolges überraschend ihre Koffer packen mussten. Am Ende braucht es wohl immer einen Sündenbock.

Das Thema wird im Wissenschaftskreis stark diskutiert. Bis heute gibt es unterschiedliche Auffassungen des Trainereffekts: Eine Studie aus 2011, die sich ebenfalls mit der Bundesliga beschäftigte, fand heraus, dass die Trainerentlassung keinen großartigen Einfluss auf die Leistung der Mannschaft hat – auch langfristig gesehen nicht. Es scheint, dass die Realität des Fußballs komplexer ist als es auf den ersten Blick scheint. Um die Dynamiken des Trainerwechsels besser zu verstehen und die langfristigen Auswirkungen auf Vereine zu bewerten, ist es wichtig, diese Erkenntnisse in einen breiteren Kontext zu stellen und weitere Forschung in diesem Bereich zu fördern.

Im Rahmen dieses Artikels haben wir eine umfassende Netzwerksanalyse samt Datenerhebung vorgenommen. Der Datensatz ist auf GitHub verfügbar.