Deutscher Hip-Hop

Der Hype ist real!

Auf Spotify gehen Playlists wie „Deutschrap Royal“, „Modus Mio“ oder „Deutschrap Brandneu“ durch die Decke.
17. Mai 2021
Wer heute auf die Charts schaut, kommt an deutschem Hip-Hop nicht vorbei. Deutschrap boomt, wie kaum eine andere Musikrichtung – doch worin liegt der Schlüssel zum Erfolg?

Deutschsprachiger Hip-Hop hat sich zu einem der erfolgreichsten Genres in der deutschen Musikbranche entwickelt. Künstler*innen wie Apache 207, Juju, Capital Bra und Loredana dominieren die Charts. Das Genre ist lange im deutschen Musikbusiness angekommen, massentauglich geworden und prägt eine ganze Jugendkultur. Oder wie es der Rapper Eno sagen würde: „Deutschrap ist fresher denn je!“

Ein Auf und Ab

Die Ursprünge des deutschen Hip-Hops liegen unter anderem in Stuttgart: Ende der 90er etablieren die „Fanta Vier” eine neue Musikrichtung in Deutschland, die jedoch zunächst medial und kommerziell belächelt wird. Dies führt zum Zusammenbruch. Deutschrap entwickelt sich zurück zu einer Untergrundszene. Zehn Jahre später feiert das Genre, rund um das Label Aggro Berlin mit Sido, Bushido und Fler, sein Comeback. Die Songs handeln primär von Feindschaften mit anderen Rapper*innen, Kriminalität, Sex und Drogen. Die teils gewaltverharmlosenden, sexistischen und homophoben Songtexte werden zu dieser Zeit stark kritisiert. Im Deutschrap treten häufig Migrant*innen aus sozialen Brennpunkten in den Vordergrund: die mehrheitlich arabischen und osteuropäischen Einflüsse sind bis heute stilgebend. Von einer harten Straßenszene entwickelte sich deutscher Hip-Hop allerdings nach und nach zu einem konkurrenzfähigen und wirtschaftskräftigen Genre.

An der Spitze

Während für ein*e Deutschrap-Künstler*in Anfang der 10er-Jahre eine hohe Chartplatzierung noch ungewöhnlich war, chartet heutzutage beinahe jede*r Rapper*in in den Top 100. Die Selbstinszenierung in Musikvideos und sozialen Medien trägt dabei maßgeblich zu diesem Hype bei. Thematisch entwickelt sich Deutschrap hin zu einer breiteren Vielfalt: Die Rapper*innen erzählen in ihren Songs von der Straße, Liebe, Rassismus und Chancenlosigkeit. Weiterhin geht es aber auch viel darum, wie sie es von „ganz unten” nach „ganz oben“ geschafft haben. Teure Kleidung und dicke Karren – Doch wie kommt es zu dem Erfolg und wie hängt dieser mit der Vernetzung der Künstler*innen zusammen?

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Durch das Klicken auf die unterschiedlichen Major-Labels lassen sich interessante Konstellationen herausfiltern. | Quelle: Eigene Erhebung

Schaut man sich die aktuellen MTV Top 100 Jahrescharts an, werden diese stark vom deutschen Hip-Hop dominiert. Ganze 33 Künstler*innen platzierten im Jahr 2020 satte 38 Hits in den Top 100. Noch vor zehn Jahren waren es nur sechs Charterfolge von fünf unterschiedlichen Künstler*innen, darunter Culcha Candela, Frauenarzt oder Die Atzen.

Erfolgreicher als die Beatles

Im Hip-Hop-Jahr 2020 trumpfen ganz andere Interpreten groß auf: Apache 207, ein Hüne mit schwarzer Mähne, immer mit Sonnenbrille, Jeans und weißem Unterhemd. Sowie der aufgedrehte Berliner mit sibirisch-ukrainischen Wurzeln, Capital Bra, der seine Gucci-Kappe möglicherweise auch beim Schlafen trägt. Zwei Kunstfiguren sondergleichen.

Die erfolgreichsten Künstler*innen 2020 mit mindestens drei Songs in den MTV Top 100 Jahrescharts. (Gold: 150.000, Platin: 300.000, Diamant: 1.000.000 verkaufte Platten)

Apache ist der Mann der Stunde. Erstmals erschien der Ludwigshafener 2019 auf der Bildfläche und legte seitdem einen kometenhaften Aufstieg hin. In seiner Musik vereint er den Sound der 80er mit den Beats von heute und feiert damit große Erfolge. Als zweiter deutscher Rapper überhaupt erhält er 2020 eine Diamant-Schallplatte für den Verkauf von sage-und-schreibe 1.000.000 verkauften Einheiten seines Songs „Roller“. Dies gelang im deutschen Hip-Hop bisher nur Bausa mit seinem Hit „Was du Liebe nennst“ im Jahr 2018.

Auch Capital Bra schrieb Chartgeschichte. Zurzeit kann sich „Capi“ den Interpreten mit den meisten Nummer-eins-Erfolgen aller Zeiten nennen. Mit ganzen 13 Nummer-eins-Hits innerhalb von zwölf Monaten lässt er dabei sogar die legendären Beatles hinter sich. Seine Erfolgssträhne reißt auch 2020 nicht ab, so erhält er im vergangenen Jahr die meisten Gold- sowie Platin-Schallplatten aller Deutschrapper*innen.

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Über die klickbare Legende lassen sich die Netzwerke nach den verschiedenen Kategorien filtern. | Quelle: Eigene Erhebung

„Connections wie ein Telemast“

Der Erfolg eint die beiden Musiker, die sonst nicht unterschiedlicher sein könnten. Capital Bra ist der bestvernetzte Rapper der Szene. Er besitzt mit Bra Musik sein eigenes Label, das dem größten Player im Hip-Hop-Business untergeordnet ist: Universal Music ist aufgrund der Vielzahl an Deutschrapper*innen, die bei eingegliederten Labels wie Urban unter Vertrag stehen, das größte und erfolgreichste der drei großen Major-Labels (Universal-, Sony- und Warner Music).
Zudem bewegt sich Capital Bra schon länger in hiesigen Kreisen, machte bereits 2014 beim Battle-Rap-Format „Rap am Mittwoch“ auf sich aufmerksam und hat zahlreiche Verbindungen in der Szene, die er rege nutzt. So kooperiert er 2020 mit zehn unterschiedlichen Künstler*innen. Auffallend ist, dass jene auch untereinander stark vernetzt sind: Mehr als die Hälfte steht ebenfalls indirekt bei Universal unter Vertrag. Frank Briegmann, CEO des Major-Labels, sagt über den Chartstürmer: „Mit seiner Kreativität und unserer Marketing- und Vertriebspower stehen Capital Bra alle Türen offen.“

Beleuchtet man jedoch die Anzahl der Songs in den Top 100, sticht besonders der Ausnahme-Künstler Apache 207 hervor. Mit zehn Platzierungen ist er 2020 mit Abstand der erfolgreichste Hip-Hop-Künstler des Jahres. Der Rapper mit türkischen Wurzeln ist im Gegensatz zu Vernetzungs-Profi „Capi“ jedoch eher ein Einzelgänger. Er arbeitete vergangenes Jahr einzig auf dem Track „2002” mit seinem Idol Sido zusammen. Apache macht in jenem Song seine Position klar: „Das ist kein Feature, ich mach‘ keine Features. Erfüll‘ nur den Traum, den ich als Kind hatte.“ Gemeinsam mit seinem Label-Chef Bausa (Two Sides) brachte er mit dem Song „Madonna" vor Kurzem erst seine insgesamt zweite Kollaboration auf den Markt. Das Netzwerk seines Major-Labels Sony Music, mit anderen erfolgreichen Künstler*innen, wie Kool Savas oder LEA, aktivierte Apache bislang nicht.

„Das ist kein Feature, ich mach‘ keine Features. Erfüll‘ nur den Traum, den ich als Kind hatte.“

Apache 207

Eins haben Apache und Capital dennoch gemein: Besonders in den sozialen Medien werden die beiden Rapper „gehyped“, dazu trägt ihre einzigartige Markenbildung und ihr massentauglicher Sound bei. Auf YouTube und Instagram werden die Songs der zwei Erfolgsgaranten millionenfach geklickt und in Posts und Kommentaren aufgegriffen. Die steigenden Followerzahlen der letzten Jahre symbolisieren dabei ihr kaufkräftiges Publikum.

Der Schlüssel zum Erfolg

Dass man allerdings auch ohne großes Label im Rücken und zahlreiche Features Charterfolge feiern kann, zeigt der aufstrebende Rapper Pashanim. Er lässt in Songs wie „Airwaves“ (12. Platz in den Top 100) melodische Töne aus den Berliner Hinterhöfen erklingen. Mit keinerlei bekannten Kontakten zu Labels und ohne jegliche Features mit anderen Künstler*innen aus den Top 100, stellt Pashanim einen Sonderfall in der Datenerhebung dar. Doch der junge Berliner schaffte es über Plattformen wie SoundCloud und YouTube sowie durch tanzende Teenies auf TikTok zahlreiche Hörer*innen für seine Songs zu gewinnen.

Es lässt sich also nicht genau sagen, was das ultimative Erfolgsgeheimnis der Deutschrapper*innen ist. Eine Mischung aus Künstler*innen mit unverkennbaren Markenzeichen, hämmernden Beats und polarisierenden Zeilen, starken Verbindungen in der Szene sowie einem riesigen Hype in den sozialen Medien macht deutschen Hip-Hop jedoch derzeit zum absoluten Kassenschlager.

Die Netzwerkanalyse untersuchte alle Künstler*innen in den MTV Top 100 Jahrescharts, die dem deutschen Hip-Hop zuzuordnen sind. Als Kooperationen zwischen Musiker*innen wurden einzig gemeinsame Songs und Alben gewertet. Welche Auszeichnungen die Künstler*innen erhielten, lässt sich beim Bundesverband Musikindustrie nachvollziehen.
Die aufgezeigten Labelstrukturen beruhen auf eigener Recherche.

Als Vorbild und Hintergrundinformation der Netzwerkanalyse diente unter anderem die Studie "Linked Jazz" aus dem Jahr 2012.

Alle erhobenen Daten sind gesammelt auf Github hinterlegt.