Interview

„Na gut, dann haben wir eben erstmal Urlaub”

Schauspielerin und Veranstalterin Isis Lutz
16. Dez. 2020
Durch die Corona-Pandemie sitzen viele Kunstschaffende auf dem Trockenen, denn es fehlt ihnen die Bühne und das Publikum. Wie kann trotz Corona Kunst und Unterhaltung geboten werden? Dazu habe ich mich mit der Schauspielerin Isis Lutz unterhalten.

Es entstanden Ideen, die uns bewegt haben, wie die singenden Menschen auf den Balkonen in Italien, oder tanzen ließen wie die Live-Streams aus angesehenen Berliner Technoclubs. Aber sind digitale Events wirklich eine Lösung, aus der wir etwas mitnehmen, oder doch nur Platzhalter? Und muss man in dieser Phase genauso produktiv bleiben oder kann man sich auch einfach mal entspannen und reflektieren? Schauspielerin Isis Lutz hat durch das „erzwungene Sabbatical“ Antworten gefunden. Im Interview erzählte sie mir welche Erfahrungen dafür nötig waren und was sie für sich selbst lernen konnte.

Die gebürtige Kehlerin wohnt in Berlin und betreibt „Cherry on Top”, ein Netzwerk aus Musikern, Entertainern, Dekorations- und bildenden Künstlern. Wir haben über die Situation in der Kreativbranche seit Beginn der Pandemie gesprochen.

Hallo Isis, als Schauspielerin und Organisatorin von Veranstaltungen musstest du dir sicher erst mal Gedanken machen, wie es weitergeht. Wie konntest du die Zeit für dich nutzen?

Ich fange mal von Anfang an, also von Februar sozusagen. In der Eventbranche haben wir auf jeden Fall schon früh gemerkt, dass was ist. Wir hatten im Januar ein gebuchtes Event von Pfizer, die jetzt auch den Impfstoff herstellen. Und zwar war ein Kick-Off-Event zum Anfang des Jahres geplant. Pfizer hat das Datum aber immer wieder verschoben, wegen einer womöglich bevorstehenden Pandemie durch das Covid-19-Virus. Da dachte ich zuerst: Dann ist es jetzt eben so. Das erste halbe Jahr ist also erst mal „für die Tonne”. Ich dachte aber schon, dass es im Sommer dann weitergehen kann. Aber am Anfang hat man dann schon gemerkt, dass viele diese „Weltuntergangsstimmung” – in Berlin war das zumindest so – schon bisschen geil fanden.

Es war aber nicht nur geil oder? Wie ging es dann weiter für dich?

Nein, das war gleichzeitig natürlich auch irgendwie bedrückend. Aber dann kam eben die Idee auf, Live-Streams ins Leben zu rufen. Und zwar bevor alle anderen das machen. Wir wollten eine Art Late-Night-Show aus den Wohnzimmern verschiedener Künstler:innen bieten, damit die ihre Kunst zum Besten geben können, geführt von einem Moderator. Und dann haben wir Ende März, mit „The Show Must Go On” gestartet. Das lief dann ein bisschen anders, als ich mir das vorgestellt habe. Jeder geht da ja mit einer anderen Vision rein, daher bin ich da ausgestiegen und nachdem ich dann erst mal durch so ein Tal gegangen bin, hab ich mir die Frage gestellt: Wenn ich jetzt die Möglichkeit habe zu tun, was ich will, was würde ich tun? Also eigentlich hat mir meine Mutter diese Frage gestellt.

Und dann?

Da ich Joko und Klaas schon immer gut fand, habe ich mich dann bei denen beworben. Ich habe ein Musikvideo zu dem Song „Küssen verboten” gedreht, den Text umgeschrieben und das Ergebnis dann zu Joko und Klaas geschickt. Ich wurde daraufhin von der Produktionsfirma der beiden eingeladen. Aufgrund der aktuellen Lage rund um die Pandemie hatten sie aber keine direkte Stelle frei und daraufhin bin ich dann mehr zu mir selbst gekommen. Dann habe ich festgestellt, dass ich in den letzten Jahren während meiner Arbeit so viele Leute koordiniert und Konzepte für Leute geschrieben habe, dass ich kaum etwas für mich gemacht habe. So habe ich gemerkt, dass es jetzt irgendwie Zeit ist, dass ich erst mal ein bisschen Kraft tanke, für alles, was noch kommt.

Viele nutzen Live-Streams und sogar Auto-Kinos sind wieder im Gespräch. Auch du hast verschiedene Projekte auf digitalem Wege gestartet, aber als Schauspielerin lebst du auch vom Publikum. In einem Stream ist das aber anders. Wie war das für dich?

Im Stream bekommt man keine unmittelbare Reaktion. Wobei man in einem Theatersaal auch nicht immer weiß, wie die Leute reagieren. Und wenn ich auf der Bühne stehe und spiele, muss ja nicht der ganze Saal toben, sondern die Menschen können ja auch ganz still dasitzen. Aber man hat dann trotzdem immer wieder so einen gewissen Energieaustausch und der ist dann im Live-Stream nicht so da wie bei einer Aufführung im Theatersaal. Allerdings muss ich sagen, dass ich mich auch über die Erfahrung gefreut habe, weil es etwas Neues war. Aber wenn man zum Beispiel einen Film dreht, dann hat man natürlich einen Regisseur, der einem sagt: „Mach nochmal” oder „Kam gut rüber” und das ist im Stream natürlich ganz anders. Aber wir hatten in unserem Stream auch einen Live-Chat, der betreut wurde. Insofern war ich anhand der Reaktionen dann schon im engen Kontakt mit dem Publikum.

Während dem Schauspiel-Studium warst du in Berlin, London und Cambridge.

Und Regensburg!

Und konntest du viele Bekanntschaften knüpfen. Im ersten Lockdown gab es dann genug Zeit zum Austausch. Wie ist die Stimmung in der Theaterszene?

Anfangs war es erst mal so, dass viele gesagt haben: „Na gut, dann haben wir eben alle erst mal Urlaub”. Danach haben wir gemerkt, dass die Pandemie anscheinend doch länger andauert. Und zum Schluss dachten wir uns: „Hm, was machen wir jetzt?”. Und dann wurden viele neue Sachen ausprobiert. Ich habe schon einen kreativen Aufschwung gespürt und ich hatte jetzt nicht das Gefühl, dass sich die Leute verkrochen haben. Ich denke schon, dass es eine starke Innovationskraft in der Kreativbranche gibt. Aber die Theater hätten jetzt im November und Dezember rund um die Weihnachtsmärchen die eventstärksten Monate gehabt. Die Auftritte sind jetzt aber ausgefallen, obwohl die Schauspieler natürlich trotzdem dafür geprobt haben. Und das ist natürlich super frustrierend. Gerade Theater, die Bildungsaufträge haben, müssen dann fiktiv planen. Die Schauspieler können aber im Theater nicht spielen, obwohl es Säle gibt, in die tausende Menschen reinpassen. Stattdessen müssen sie in die Schulen gehen, in denen die Räume kleiner sind. Das ist irgendwie schon eine Panne.

Wie hätte man das besser planen können?

Es wäre hier sinnvoll gewesen, wenn die Verantwortlichen gemeinsam mit den Theaterschaffenden Maßnahmen besprochen hätten. Da wurde schon eine Menge Energie verheizt. Ich habe schon gesagt: Lasst uns doch einfach in die Kirche gehen und dort ein Stück spielen, weil die sind ja offen.

Und da kann die Luft auch gut hochsteigen und der Raum ist gut durchlüftet.

Ja und die Kirchen sind geöffnet. Da könnte man vielleicht am Sonntag ein bisschen Frühsport machen und dann am Nachmittag ein kleines Theaterstück spielen.

Klingt gut. Du beschreibst einen kreativen Aufschwung, gleichzeitig stehen viele Kunstschaffende vor dem Existenzminimum und fordern mehr Unterstützung von der Politik. Wie stehst du dazu?

Ja, einerseits wurden zwar gute Konzepte entwickelt, allerdings ist ein Theater deswegen ein Theater, weil du live miterlebst, was auf der Bühne passiert. Vielleicht wird es auch irgendwann mal feste „Streaming-Häuser” geben, aber da müsste dann auch ein ordentliches finanzielles Konzept dahinterstehen. Also das Ganze muss noch ein bisschen durchdachter werden. Aber es stimmt, dass sich viele im Stich gelassen fühlen. Wobei es aber auch im Rahmen der Überbrückungshilfe III weitere Hilfen für Soloselbstständige und die Kultur- und Veranstaltungsbranche geben wird. Das ist schon mal gut. Die Politik kommt da also schon „aus dem Knick” und sie machen was.

Was sagen die Leute, die finanzielle Hilfe erhalten haben?

Ich habe mich auch mit Leuten unterhalten, die finanzielle Hilfen bekommen. Viele wollen aber nicht wieder in dieses Hamsterrad aus Anträgen und so weiter, weil es sich für viele so anfühlt, als ob man im Endeffekt mehr Energie rausbläst, als man dann an Hilfen zurückbekommt. So haben sie das Gefühl, dass es in der Wertschätzung zu den Künstlern keine Balance gibt. Also hat sich da insofern einiges gedreht. Ich hatte auch Leute um mich herum, die sagen, dass es ihnen vorne und hinten nicht reicht, weil bei der Antragstellung immer irgendetwas nicht passt.

Und wie war das bei dir?

Ich, für meinen Teil muss aber sagen, dass ich gut versorgt bin und auch das Gefühl habe, dass mir diese Pause, beziehungsweise das erzwungene Sabbatical, ganz gut tut. Weil ich einfach die Zeit dafür genutzt habe, in mich hineinzuhorchen und überlegen konnte, wie ich meine Arbeit in Zukunft gestalten will. Ich hab auch gemerkt, wie wichtig es ist, Ruhephasen zu haben. Ich finde aber, dass genauso wie die Pflegekräfte, die gerade auf Hochtouren arbeiten, auch die Theaterkünstler mehr verdienen sollten. Auch wenn es eine andere Art von „Nine to Five” ist. Denn man ballert da als Schauspieler von einem auf den anderen Moment alles an Energie raus und dann brauchst du eben auch wieder die Zeit, um dich zu erholen. 

Ok, genug von Politik und Anträgen. Worauf freust du dich am meisten, wenn wieder alles ist wie davor?

Ich denke, es wird alles nicht so sein wie davor. Jetzt ist jetzt und morgen ist morgen. Aber ich freue mich am meisten darauf, alle neuen Erfahrungen in die Zukunft zu integrieren. Ich kann diejenigen verstehen, die wollen, dass alles ist wie zuvor. Aber ich finde wir haben jetzt die Möglichkeit, uns eine neue Zukunft zu kreieren.

Welchen Tipp willst du denjenigen geben, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Zeit rumkriegen während, Lockdowns, Beschränkungen und Ausgangssperren?

Also ich häkel gerade eine Weste für meinen Hund und backe und koche viel. Besonders mit Gemüse, damit man nicht so fett wird im Lockdown. Ansonsten kann man natürlich Yoga, Meditation und Spaziergänge machen. Küche umbauen, Schrank ausmisten. Also all die Dinge, für die es wahrscheinlich keine Zeit mehr geben wird, wenn es wieder losgeht. Oder einfach mal die Füße hochlegen. Ich für mich selbst habe mir auch schwergetan, mir einzugestehen, einfach mal nichts zu tun. Und sich zwischen den Stressphasen auch mal auszuruhen.

Also das Nichtstun lernen?

Einerseits das Nichtstun lernen, aber es gibt auch viele Projekte, die man noch umsetzen kann. Und ich glaube da an die Innovationskraft und Kreativität der Leute.