Haustierboom

Ein Hund für zwischendurch

Menschen lieben Hunde. Neben unserem Wunsch nach treuen Gefährten mit Kuschelfaktor, dürfen die Bedürfnisse der Vierbeiner jedoch nicht zu kurz kommen.
15. Juli 2021
Genug Zeit und keine Verpflichtungen. Das Leben im Lockdown ließ die Argumente gegen eine Hundeanschaffung verpuffen. Ein Kommentar, warum die Corona-Pandemie der falsche Zeitpunkt für einen Vierbeiner ist und welche Gefahren der „Haustierboom“ für die Gesellschaft haben könnte.

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Mit diesem Satz werden seit Ausbruch der Corona-Pandemie mehr Hunde aus den Tierheimen „gerettet“ als je zuvor. Während die rasant steigende Tierliebe unter normalen Umständen Grund zur Freude wäre, ist der aktuelle „Haustierboom“ Ausdruck für eine egoistische Suche nach Zuneigung und Beschäftigung. 

Der falsche Zeitpunkt

Denn rational betrachtet, stehen die Zeichen für eine Hundeadoption aktuell überhaupt nicht gut. Vor allem bei der Anschaffung eines Welpen können sich die Einschränkungen der Pandemie negativ auf die Entwicklung des Tieres auswirken. Durch die Ausnahmesituation ist es herausfordernder denn je, jungen Hunden in der Prägungsphase gerecht zu werden und eine ausreichende Sozialisierung zu gewährleisten. Neben dem praktisch unmöglichen Unterfangen, sie an belebte Orte wie Restaurants oder Menschenmassen zu gewöhnen, ist auch der Kontakt zu anderen Artgenossen in Zeiten des Lockdowns eingeschränkt. Um einen Hund gut zu erziehen, ist außerdem der Besuch einer Hundeschule nötig. Auch das ist in Corona-Zeiten nicht immer möglich. Viele Hundeschulen können momentan deutlich weniger Vierbeiner trainieren als üblich. Gepaart mit der erhöhten Nachfrage ist es vielerorts schwierig, geeignete Trainer*innen zu finden.

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Der rasante Anstieg der Zahlen in Verbindung mit der Wiederöffnung der Grenzen im Juni 2020 lässt vermuten, dass auch der illegale Online-Welpenhandel aus dem Ausland stark zugenommen hat. | Quelle: Clara Waldbauer

Eine Gefahr für die Gesellschaft

Würde die fehlende Erziehung des eigenen Hundes nur auf die Nerven der Besitzer*innen schlagen, könnte man meinen: Selbst schuld! Leider zieht die ganze Problematik deutlich größere Kreise. Erste Zahlen aus England belegen, dass die durch Hunde verursachten Beißunfälle deutlich zugenommen haben. Auch in England ist die Zahl der Hundehalter im letzten Jahr deutlich gestiegen. Die vermehrten Beißattacken sind laut der britischen Zeitung „The Guardian“ zum einen auf mangelnde Beschäftigung und Auslastung zurückzuführen und zum anderen auf die fehlende Sozialisierung der Tiere, die während der Pandemie aufgewachsen sind. Der Kontakt zu Menschen ist für viele der sogenannten „Lockdown-Dogs“ etwas Fremdes und kann schnell zu Verunsicherungen führen. Das wiederum schlägt oftmals in aggressives Verhalten um, was zukünftig zur ernsthaften Gefahr für die Gesellschaft werden kann.

Volle Tierheime nach der Pandemie

Mit der Zukunft beschäftigen sich die neuen Hundebesitzer*innen nicht. Das befürchten zumindest die Verantwortlichen der leer geräumten Tierheime. Wenn das normale Leben weitergeht, kommen die Argumente gegen einen Hund zum Vorschein. Ganz zu schweigen von den Problemen, die durch fehlende Sozialisierung, unseriöse Züchtung oder Trainingsdefizite entstanden sind. Die Tierschützer rechnen mit einem gewaltigen Ansturm, sobald sich der Alltag wieder normalisiert. Das würde viele Tierheime vor große Probleme stellen. Denn trotz der vielen vermittelten Tiere haben auch sie mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Der „Deutsche Tierschutzbund e.V.“ berichtet, dass immer mehr Tierheime um ihre Existenz bangen. Durch wegfallende Veranstaltungen und die sinkende Spendenbereitschaft der Menschen fehlen den Vereinen wichtige Einnahmen. Die Kapazität der Tierheime ist dadurch stark begrenzt und viele könnten einen möglichen Ansturm der „Lockdown-Dogs“ nicht stemmen.

Die Alternativen im Kampf gegen die Einsamkeit

Die aktuelle Situation verlangt einiges von uns ab. Die Einsamkeit vieler Menschen ist ein ernsthaftes Problem und sollte gerade in dieser Zeit keinesfalls verharmlost werden. Trotzdem dürfen Hunde nicht als Lückenfüller für unsere Krisen genutzt werden. Anstatt sich aus Verzweiflung einer Aufgabe anzunehmen, der man womöglich nicht gewachsen ist, gibt es andere Möglichkeiten, sich zu beschäftigen oder der Einsamkeit entgegenzuwirken. Viele Tierschutzvereine aus dem Ausland suchen dringend Pflegestellen, um die örtlichen Unterkünfte zu entlasten. Hunde können mit dieser Möglichkeit für eine begrenzte Zeit aufgenommen werden, bis sich passende Besitzer*innen für das Tier gefunden haben. Aber auch ohne tierische Unterstützung bietet der Lockdown viele Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung. Der soziale Kontakt zu anderen Menschen lässt sich zwar digital nur teilweise ersetzen. Trotzdem bietet das Internet über Online-Kurse, Videokonferenzen oder digitale Veranstaltungen unzählige Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten. Die neu gewonnene Zeit können wir sinnvoll nutzen, um eine neue Sprache oder Sportart zu erlernen oder kreativ zu werden. Für all das sollte es heißen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“