Olympia 2022

Verbrechen gegen Mensch und Umwelt

Das olympische Feuer brennt in diesem Jahr zum zweiten Mal in Peking.
09. Jan. 2022
Fairer Wettkampf, Inklusion, Nachhaltigkeit - Werte, die für die Austragung der Olympischen Winterspiele in China nicht von Bedeutung sind. Wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Geldgier die Menschen außer Acht lässt.

Die ganze Welt schaut zu, wenn am 4. Februar 2022 in Peking die Olympischen Winterspiele eröffnet werden. Für fast dreitausend Sportler*innen startet DAS Event schlechthin, worauf sie sich vier Jahre lang vorbereitet haben. Und doch wird das Bild getrübt. Wie schon 2008 findet das größte Sportereignis der Welt in einem Land statt, das die eigene Bevölkerung unterdrückt und Menschenrechte mit Füßen tritt. In einer Stadt, die klimatisch überhaupt nicht für Winterspiele geeignet ist. Kein Wunder, dass Länder wie die Vereinigten Staaten bereits aktiv geworden sind und die Spiele diplomatisch boykottieren. Warum die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele in Peking eine unmoralische Farce ist. 

China - Land der Unmenschlichkeit 

China ist ein Ein-Parteien-Staat. Die Kommunistische Partei regiert uneingeschränkt unter der Führung des Präsidenten Xi Jinping. Seit er an der Macht ist, hat sich die menschenrechtliche Lage im Land dramatisch verschlechtert. Mit Olympia 2008 wurde laut IOC versucht, China zum Einlenken zu bringen und seine brutale Unterdrückungspolitik zu überdenken. Wenn das tatsächlich die Absicht war: Weit gefehlt. Wolfgang Büttner von Human Rights Watch nimmt das Regime in die Pflicht: „Die chinesische Regierung hat 2008 Zusicherungen zur Einhaltung der Menschenrechte, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit gemacht, die allesamt nicht eingehalten wurden.“  

Wolfgang Büttner ist Associate Director und Pressereferent im Deutschland-Büro von Human Rights Watch. Die weltweit operierende Organisation setzt sich vor allem für die Einhaltung der Menschenrechte ein und blickt mit einem besonders kritischen Auge auf China und die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele. 

Prof. Dr. Björn Alpermann ist Professor für Chinastudien an der Uni Würzburg und ausgewiesener Chinaexperte. Das Interesse an der chinesischen Lehre begleitet ihn schon seit seiner Schulzeit. Zur Lage der Uiguren im Nordwesten Chinas hat er 2021 publiziert. 

Prof. Dr. Carmen de Jong ist Geowissenschaftlerin und Professorin für Hydrologie an der Universität Straßburg. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit der nachhaltigen Entwicklung in Berggebieten. Sie sieht in der Ausrichtung der Olympischen Spiele vor allem die starke Bedrohung von Natur und Umwelt im Raum Peking. 

Veränderung gab es maximal in negativer Hinsicht. Jedes Jahr würden mehr als tausend Hinrichtungen vollstreckt, Millionen Menschen auf die brutalste Art und Weise gefoltert, stellt Büttner klar. In riesigen Camps im Nordwesten des Landes würden Uiguren und andere Turkstämme festgehalten und zu “echten Chinesen” umerzogen. Eine skrupellosere Art und Weise, mit dem eigenen Volk umzugehen, gibt es kaum. Und sowas nennt sich „Volksrepublik”. Human Rights Watch spricht in diesem Zusammenhang von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Für solch eine Bewertung müssen schon „massive Menschenrechtsverletzungen“ vorliegen, betont Büttner. Sowohl in der hohen Zahl der Betroffenen, als auch in der Systematik der Ausbeutungen. Auch Chinaexperte Björn Alpermann sieht die Lage kritisch und spricht hier von einer „Extremform parteistaatlicher Unterdrückung“. Von außen erfährt China wenig bis keine Sanktionen, zu groß ist seine internationale Rolle und wirtschaftliche Bedeutung auf der Welt. 

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Die Summe der vollstreckten Todesurteile in China ist unfassbar hoch im Vergleich zum Rest der Welt. | Quelle: Amnesty International

Die Bevölkerung wird derweil mundtot gehalten. Von den Gräueltaten im Osten bekommen die allermeisten Chines*innen nur die gefilterte Version vom „Kampf gegen Extremismus und Terrorismus” mit, erklärt Alpermann. Eine perfide Unterstellung, ist doch der chinesische Staat in diesem Fall die Quelle des Terrors. Auch das zensierte Internet gibt wenig Information preis. Kein Wunder also, dass Widerstand nur selten aufkommt. Gerade im Zusammenhang mit Olympia treten jedoch immer wieder Proteste auf, die dann aber übel niedergeschlagen und im Keim erstickt werden. Das geht sogar so weit, dass Organisationen wie Human Rights Watch sich mittlerweile aus China zurückgezogen haben - aus Angst vor dem qualvollen Umgang Chinas mit Regimekritiker*innen. 

Winterspiele ohne Schnee

Das IOC hat sich im Nachhaltigkeitsbericht 2018 gemeinsam mit den chinesischen Organisatoren zu einer grüneren und nachhaltigeren Zukunft verpflichtet. Was jetzt schön klingt, entpuppt sich eher als Mogelpackung. „Es ist eigentlich Greenwashing, weil sie weder grün noch nachhaltig sind“, meint die Geowissenschaftlerin Carmen de Jong. Peking liegt mitten in einem Wüstengebiet. Im Winter hofft man hier auf mickrige zwei Zentimeter Schnee. Der Gedanke hier professionellen Wintersport zu betreiben, ist nur noch dem Wahnsinn gleichzustellen. Laut Expert*innen leidet die Region ohnehin schon unter extremer Wasserknappheit. Unterirdische Pipelinenetze müssen das Wasser dafür aus dem Umland in die Skigebiete pumpen. „Dafür werden 2 Millionen Kubikmeter Wasser benötigt“, so de Jong. „Das ist dreimal mehr als die benötigte Menge in den Alpen.“ Ein wahrer Schlag ins Gesicht für die lokale Bevölkerung, die ohnehin schon ihren Wasserverbrauch eingrenzen muss. Für die Winterspiele nimmt der skrupellose Staat sogar das Verdursten der eigenen Bevölkerung in Kauf. 

Auch vor Naturschutzgebieten und gesamten Dörfern macht das Abrisskommando keinen Halt. Eine Autobahn, die direkt zu den Skigebieten hinführen soll, wurde entgegen der Anordnung des IOC mitten durch das Naturschutzgebiet Songshang gezogen. Das IOC offenbart sich in seinem Stillschweigen aber eher als Komplize der chinesischen Verbrecher-Regierung. Es wurde großräumig entwaldet und ganze Dörfer vernichtet. Das Schicksal der über 1.500 Bewohner*innen: Irrelevant. Als Kompensation für den Umweltschaden möchte man Bäume pflanzen. Eine lächerliche Maßnahme. Für den angerichteten Schaden müsste man einen ganzen Urwald pflanzen und selbst das würde die Vernichtung von Menschen und Umwelt nicht rückgängig machen. Für die Organisator*innen ist das aber Grund genug, sich auf die Schulter zu klopfen. „Es ist schon ironisch”, meint de Jong, „Auf der einen Seite macht man etwas kaputt und auf der anderen Seite behauptet man, man tut etwas für die Umwelt.” Dennoch ist sie von einem diplomatischen Boykott nur wenig überzeugt. 

Für die Spiele wurden gigantische Infrastrukturprojekte aus dem Boden gestampft, die sich neben unzähligen Hotels auch über ein Bahnnetz erstrecken. Das kann nachhaltig sein. Ist es im Fall China aber – man vermag schon zu sagen „natürlich“ – nicht. „Nachhaltigkeit bedeutet nicht, dass man entgegen der lokalen Natur und Kultur arbeitet“, betont de Jong. Für die Skischanze in Yanqing wurden Tierreiche, Vegetationen und gesamte Ökosysteme zerstört. Auch die traditionellen Terrassenbauten sind Geschichte. Die Vernichtungsmaschinerie der Regierung geht für Olympia nicht nur rhetorisch über Leichen. Nicht einmal die eigene Kultur scheint China wichtig zu sein. Auch Alpermann hat dazu eine klare Meinung: „In Peking Winterspiele auszurichten, ist an Absurdität kaum noch zu überbieten.“ 

„In Peking Winterspiele auszurichten, ist an Absurdität kaum noch zu überbieten.“

Björn Alpermann, Professor für Chinastudien an der Uni Würzburg

Aufgrund der üblen Situation kann man die Austragung olympischer Winterspiele in Peking nur aufs Härteste verurteilen. Doch was ist mit den Sportler*innen? Die bleiben bei Boykottaufrufen oft unbeachtet. Wenn man nun wenige Wochen vor Beginn der Spiele einen Abbruch forciert, waren vier Jahre intensive Vorbereitung auf den großen Traum umsonst. Die Sportler*innen und nationalen Verbände hätten zudem massive finanzielle Verluste zu beklagen. Vor allem in Randsportarten haben Beteiligte ohnehin schon damit zu kämpfen, sich über Wasser zu halten. Mehr dazu lest ihr in unserem Feature. Einer der Betroffenen ist Curler Klaudius Harsch. Er hat die Olympiaqualifikation knapp verpasst und stellt klar: „Nach der Vergabe der olympischen Spiele macht ein Boykott keinen Sinn mehr.”

Dass das IOC in seiner unersättlichen Geldgier überhaupt Olympische Spiele nach China vergibt und dabei auch ein reines Gewissen zu haben scheint, ist an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten. Dass es sich dann noch um Winterspiele handelt, macht die Sache umso perfider. Für eine ordentliche Geldsumme werden Menschenrechts- und Umweltverletzungen billigend in Kauf genommen. Das lässt sich durch einen Boykott nicht rückgängig machen, auf die Idee hätte man bereits 2015 kommen müssen.

Nichtsdestotrotz ist die Austragung moralisch in keiner Weise zu vertreten. Viel sinnvoller ist daher ein Vorgehen wie etwa das von Human Rights Watch. Die Organisation werde die Winterspiele nun dazu nutzen, so gut wie möglich auf die Menschenrechtssituation in China aufmerksam zu machen, kündigt Büttner an. Vielleicht besteht am Ende ja doch die winzige Chance, die Regierung damit zum Einlenken zu bringen und ihre Unterdrückungspolitik zu überdenken. Vielleicht. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.