Bolzplätze

Fällt bald das letzte Tor?

Dieser Platz mit Holzsplitterboden ist nur einer von vielen Bolzplätzen in marodem Zustand.
03. Dez. 2021
Die Bolzplatzsituation in Deutschland ist fatal. Plätze überwuchern und zerfallen mehr und mehr. Ein wichtiger Teil der Kindheit vieler Menschen, der dringend gerettet werden muss. Ein Kommentar.

Sommer 2014. 30 Grad, strahlend blauer Himmel. Mit einer Flasche Wasser und dem Ball unterm Arm mache ich mich auf den Weg zum Bolzplatz, wo ich mich mit meinen Freunden treffe. Zunächst wird über Team und Torwart gestritten. Dann heißt es Kicken bis zum Umfallen, bis auch die letzten Sonnenstrahlen hinterm Horizont verschwunden sind. Ohne Sorgen, ohne Probleme. Diese Zeiten werde ich niemals vergessen. Wann immer es uns möglich ist, treffen wir uns auf diesem eigentlich ziemlich heruntergekommenen Bolzplatz mit den Holzsplittern. Aber der Platzzustand ist uns egal. Im Vordergrund steht der Spaß am Kicken. Die Freude darüber, ein großartiges Hobby mit anderen Menschen zu teilen.

 

"In ganz Deutschland werden über 70 Prozent der Spiel- und Bolzplätze als gefährlich eingestuft."

Norbert Dickel, ehemaliger Bundesligaprofi und Stadionsprecher Borussia Dortmund

Sommer 2021. Wenn ich durch meinen Heimatort spaziere, betrachte ich die Bolzplätze mit großer Sorge. Was vor sieben Jahren der Mittelpunkt des Lebens vieler junger Menschen war, ist heute ein kaputtes Wrack. Okay, vielleicht war es das auch damals schon. Die Tatsache, dass sich seitdem immer noch nichts getan hat und die Lage noch deutlich schlimmer wurde, ist allerdings umso besorgniserregender. Es macht mich traurig zu sehen, wie sich die Natur die Plätze immer weiter zurückerobert. Wo bis vor wenigen Jahren noch ein Untergrund aus Holzsplittern war, ist jetzt Gras gewachsen. „In ganz Deutschland werden über 70 Prozent der Spiel- und Bolzplätze als gefährlich eingestuft“, sagt Norbert Dickel, ehemaliger Bundesligaprofi und Gründer des gemeinnützigen Vereins golfspielender Fußballprofis (GOFUS).

Der gemeinnützige Verein golfspielender Fußballprofis (GOFUS) wurde 2001 von Norbert Dickel und Arnt Vesper, dem Betreiber der Golfanlage Felderbach/Sprockhövel, gegründet. Schnell wuchs der Verein und zählt heute weit über 500 Mitglieder, darunter sehr bekannte Gesichter des deutschen Fußballs wie etwa Franz Beckenbauer, Thomas Müller und Mats Hummels. 

Im Jahr 2006 starteten die GOFUS die Initiative "Platz da!" mit dem Ziel, Spiel- und Bolzplätzen in ganz Deutschland ein neues Leben zu geben. Bis heute wurden über 230 Plätze saniert und es ist noch lange kein Ende in Sicht. Auf der Website von "Platz da!" kann jeder selbst Bolzplätze einreichen, die dringend sanierungsbedürftig sind oder die Initiative mit einer Spende bei ihren Projekten unterstützen.

Für die katastrophalen Zustände gibt es mehrere Gründe. Spielplätze werden nicht saniert oder neugestaltet, weil der Staat dies finanziell kaum unterstützt. Den Kommunen wiederum fehlt das Geld, um vernünftig handeln zu können und so die Fußballfelder vor dem Ende zu bewahren. Oder besser gesagt: Das Geld ist schon da, wird aber falsch eingesetzt. Baden-Württemberg gibt 20 Millionen Euro für eine neue Imagekampagne aus. Von dem Geld könnten rund tausend Bolzplätze komplett erneuert werden. Unzählige Jugendliche hätten eine neue zweite Heimat, aber das Land hat wohl seine eigenen Prioritäten. Es ist also kaum verwunderlich, dass mein Heimatfeld kaum noch gepflegt wird und das Gras rund um die Holzsplitterfläche zunehmend überhandnimmt. Selten kommt mal jemand mit einem Rasenmäher vorbei.

Ein weiteres großes Problem sind Anwohner*innenbeschwerden. Da wird dann gerne mal über Lärm geklagt, wenn ein neuer Platz in der Nachbarschaft eröffnet werden soll. Kindern wird die Möglichkeit genommen, sich auszutoben, weil ein paar Nörgler sich über die Neueröffnung eines Bolzplatzes aufregen. Das ist auch ein Grund, weshalb sich Vereine wie die GOFUS mittlerweile fast ausschließlich auf die Sanierung bestehender Bolzplätze fokussieren.

Kitabesuche statt Bolzplätze retten

Einzig die Vereinsplätze werden noch gepflegt. Die Fußballvereine stellen ihre Plätze allerdings häufig nicht für die Öffentlichkeit bereit. Dabei wäre es doch ein Schritt in die richtige Richtung, wenn sie ebendies täten oder unter Umständen eine eigene kleine Fläche für Freizeitkicker*innen einrichten würden. Auch die großen Vereine, die vielleicht eher die Mittel hätten, große Dinge zu bewegen, tun herzlich wenig. Der VfB Stuttgart etwa fährt regelmäßig in Kitas und Schulen, um die Kleinsten unter uns vom großen Spaß am Kicken zu überzeugen. Bolzplatzbesuche wie sie etwa der SC Freiburg veranstaltet? Fehlanzeige. 

Plätze, die nicht gepflegt werden, verrotten mit der Zeit. Was also tun, wenn sowohl Staat und Kommunen als auch die Vereine praktisch nichts machen? 

Vom Bolzplatz zur Konsole?

Klar ist, die Freizeitgestaltung vieler junger Teenager*innen sieht heute anders aus als vor zehn Jahren. Damals spielte man Fußball auf dem Bolzplatz, heute auf der Konsole. Dennoch hat sich die Anzahl der Freizeitkicker*innen in den letzten fünf Jahren kaum verändert. Das Interesse am Fußballspielen ist also nach wie vor vorhanden. Vom Bolzplatzangebot in ihrer Region schon bitter enttäuscht, war für diese Menschen die Corona-Pandemie ein zusätzlicher Dämpfer. Die Fußballfelder waren ein ganzes Jahr komplett abgesperrt, um zu engen Kontakt zu vermeiden. Das hatte nicht nur negative Folgen für die Bolzplätze, sondern auch für die Gesundheit der Kinder. Viele litten körperlich und mental darunter, nicht wie gewohnt Fußball spielen zu können und sich auszutoben. Ein Desaster für den Freizeitsport.

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Verschiedenste Bolzplätze lassen sich in Stuttgart-Vaihingen und Möhringen finden, die meisten davon in einem schlechten Zustand. | Bilder: Julian Rebmann

Um wieder mehr Leben auf die Plätze zu bekommen, ist es wichtiger denn je, diese vor dem Zerfall zu retten und sich für eine Modernisierung der Anlagen stark zu machen. Es wäre ein Engelskreislauf: Wenn die Plätze in einem guten Zustand sind, kommen auch wieder viele Freizeitkicker*innen. Das wiederum sorgt für eine Aufrechterhaltung der Platzqualität. Vielleicht gelingt es sogar, noch mehr Kinder dadurch vom Spaß am Kicken zu überzeugen.  Also, um es in den Worten von Kaiser Franz zu sagen: Geht's raus und spielt's Fußball!