Leitstelle

„Unsere Aufgabe ist es, Leben zu retten“

Meik Hauß arbeitet als Leiter einer Leitstelle und ist dabei für die Organisation, den Betrieb und die Personalführung zuständig.
26. Febr. 2023
Meik Hauß leitet die Leitstelle des Rettungsdienstes und der Feuerwehr im Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden. Er erzählt im Interview, was er dort tagtäglich erlebt und wie sich Corona auf seine Arbeit ausgewirkt hat.

Meik, als meinen Onkel hast du schon viel von deiner Arbeit als Leitstellenleiter erzählt. Da erlebst du ja so einiges. Wenn du deine letzten Jahre bei der Leitstelle reflektierst, was war ein besonders einprägsames Erlebnis für dich?

Diesen einen Notruf werde ich nie vergessen. Ich hatte Dienst als Disponent am Notruftisch. Zwei Kinder hatten angerufen und geschildert, dass sie sich im Bad eingeschlossen haben. Sie waren alleine Zuhause und meinten, ein Einbrecher sei in der Wohnung. Natürlich waren sie emotional und panisch. Mir ist es aber gelungen, dass sie im Bad bleiben und nicht vor Angst aufschließen. Sofort war klar, dass wir auch die Polizei dazu brauchen. Die haben das natürlich auch als Priorität angesehen, so schnell wie möglich dort hinzufahren. Wir haben parallel versucht, an eine Telefonnummer der Eltern zu kommen. Diese waren nicht weit weg und nur kurz vor das Haus gegangen. Als die Polizei dann ankam, war die Mutter auch vor Ort. Letztendlich stellte sich heraus, dass es sich nicht um einen Einbrecher, sondern um einen psychisch erkrankten Nachbarn handelte. Er hatte sich wohl in der Wohnungstür verirrt und ist dort auf der Couch eingeschlafen. Die Kinder waren wohl behalten, haben sich schnell wieder beruhigt und es ist niemand zu Schaden gekommen. Das war schon ein besonderes Ereignis, weil man nicht alltäglich solche Anrufe bekommt.

War die Arbeit bei der Leitstelle schon damals als Kind dein Traumberuf?

Als Kind war ich schon im Jugendrotkreuz und habe als Pflasterkleber geholfen. Die ersten Dienste als Jugendlicher waren bei Fußballspielen oder als Betreuung bei Veranstaltungen. Besonders interessant war damals ein Konzert der Fantastischen Vier in der Heimat. Da durfte ich schon als Jugendlicher mithelfen. Nach dem Schulabschluss habe ich dann aber noch eine Ausbildung zum Industrieelektroniker  gemacht – das war aber eher so nebenher. Ich habe nämlich schnell gemerkt, dass ich mehr Interesse für den Rettungsdienst habe und deshalb habe ich anschließend eine Ausbildung zum Rettungsassistenten gemacht.

Und wie kamst du dann zur Leitstelle?

Als ich als Rettungsassistent gearbeitet habe, hatte man unmittelbar Berührungspunkte mit der Leitstelle. Meine Kollegen haben mich auch mal eingeladen, ein Praktikum dort zu machen. Zu dem Zeitpunkt war es noch möglich, als ehrenamtlicher Mitarbeiter dort am Wochenende zu arbeiten. Ich habe dann aber gemerkt, dass mir dieser Beruf mehr Spaß macht und interessanter für mich ist. Die Arbeit beim Rettungsdienst wurde immer weniger, bis ich 2006 vollständig zur Leitstelle gewechselt bin.

Wie würdest du heutzutage deinen Berufsalltag als Leitstellenleiter beschreiben?

Ich weiß nie, was mich an dem Tag erwarten wird. Es kann sein, dass ich zur Arbeit komme und bereits ein größerer Einsatz läuft, wie beispielsweise ein größerer Verkehrsunfall mit mehreren Verletzten. Hier unterstütze ich meine Kollegen an den Notrufabfrageplätzen und entscheide, wie der Einsatz abzulaufen hat. Dieser Begriff nennt sich Lagedienstführer. Ansonsten setze ich mich einfach ins Büro und bin für die Dienstplanung zuständig, damit die Leitstelle an 365 Tagen an 24 Stunden besetzt ist. Also meine primäre Aufgabe als Leitstellenleiter ist die Organisation des Betriebs mit Personalführung.

Was genau passiert, wenn jemand einen Notruf absetzt?

Jeder, der die 112 im Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden wählt, landet bei uns in der Leitstelle. Jeder Mitarbeiter hat eine spezielle Ausbildung als Leitstellendisponent und so wird jeder Anrufer gleichbehandelt, indem alle die gleichen Fragen gestellt bekommen. Und so muss man herausfinden: Wo ist was passiert? Und daraus ergibt sich dann ein Einsatz. Die Alarmierung wird dann innerhalb von 30 bis 40 Sekunden ausgeführt. Bei uns wird die Feuerwehr und der Rettungsdienst alarmiert und die Polizei muss dann nochmal zusätzlich telefonisch verständigt werden, da sie eine eigene Leitstelle haben.

Wie viele Notrufe kommen denn pro Tag an der Leitstelle an?

Anrufe sind es so zwischen 500 und 700 binnen 24 Stunden. Daraus werden aber nicht nur Einsätze generiert. Es werden auch Beratungen vorgenommen, manche verwählen sich und manche werden an den ärztlichen Notdienst oder Hausarzt verwiesen. Einsätze sind es dann ungefähr 150 am Tag.

Kommt es manchmal vor, dass alle Disponenten zur selben Zeit in einem Notrufgespräch sind und das Telefon trotzdem weiterhin klingelt?

Wir sind tagsüber zu fünft besetzt, abends zu viert und nachts zu dritt. Es gibt Situationen, gerade bei einem größeren Brandereignis, da möchte jeder helfen und wählt erstmal die 112. Auch bei Unwettersituationen rufen viele gleichzeitig den Notruf aufgrund von beispielsweise Hochwasser, volllaufende Keller oder herunterfallende Ziegel. Dafür gibt es Verstärkungsszenarien, bei denen eine Freischicht alarmiert werden kann. Dann sitzen wir teilweise zu zehnt oder zwölft in der Leitstelle und greifen die Notrufe ab. Manchmal müssen wir auch Prioritäten setzen. Die höchste Priorität ist der Notruf 112 und dann werden diese primär abgearbeitet. Die für den Krankentransport oder ähnliches lässt man dann in solchen Momenten kurz klingeln und versucht später, den Einsatz abzuarbeiten.

„Wir kamen hier ganz klar an unsere Kapazitätsgrenzen.“

Meik Hauß

Durch Corona kam es vor allem im medizinischen Bereich oft zu Personalmangel. Wie war das bei euch?

Die größte Herausforderung war, dass sich unsere eigenen Mitarbeiter nicht infizieren. Am Anfang von Corona wussten wir noch gar nicht, in welche Richtung das gehen wird. Wir haben verschiedene Szenarien durchdacht und es ging primär darum, das eigene Personal zu schützen. Außerdem war die Frage, wie sich das Ganze im Rettungsdienst verhalten wird. Alles war anfänglich sehr unklar und es gab Krisengespräche, wo man versucht hat, jedes Worst-Case-Szenario durchzugehen und sich vorzustellen, wie sich die Corona-Lage entwickelt. Es kam zwar nicht unbedingt zu mehr Notrufen, allerdings gab es mehr Transporte und Einweisungen von Ärzten. Die Kliniken waren jedoch oft nicht mehr aufnahmefähig, das führte zu längeren Wegstrecken. Zudem sind auch die Transportzeiten enorm gestiegen, weil man vor jedem Transport einen neuen Schutzanzug anziehen musste und das Einsatzfahrzeug mindestens 45 Minuten desinfiziert wurde. Wir kamen hier ganz klar an unsere Kapazitätsgrenzen. Dann mussten wir schauen, dass wir von außerhalb zusätzliche Transportkapazitäten bekommen, oder wir mussten manche Transporte auf den nächsten Tag verschieben.

Gibt es deiner Meinung nach etwas, das die Politik tun könnte, um euch zu unterstützen?

Eine gute Unterstützung wäre, die Arbeitsbedingungen im Rettungsdienst zu verbessern. Durch Corona hat man gemerkt, dass der Beruf nicht mehr so attraktiv ist, wie er mal war. Denn die Belastung ging enorm nach oben und man muss mehr Zusatzschichten machen und arbeitet auch am Wochenende und in der Nacht. Die Arbeitsbedingungen sind ein Ansatzpunkt, an dem gearbeitet werden muss. Aus diesem Grund überlegen sich viele, ob sie heutzutage noch beruflich in den medizinischen Bereich gehen wollen. Es ist nicht mehr so attraktiv, wie früher einmal vor Corona. Dennoch gibt es einige, die sich für den Beruf entscheiden und die dreijährige Ausbildung als Notfallsanitäter absolvieren. Bei der Arbeit mit diesen jungen Kollegen fällt mir aber auf, dass viele von ihnen lieber 80 als 100 Prozent arbeiten wollen. Das Stichwort hier: Work-Life-Balance. Da findet definitiv ein Wandel statt. Der Beruf ist interessant und attraktiv, aber nicht zu 100 Prozent, weil die Belastung da einfach zu hoch ist.

Trotz der Umstände durch Corona in den letzten Jahren, was gefällt dir an deinem Beruf am besten?

Das Spannende und Motivierende ist nach wie vor, dass ich auf dem Weg zur Arbeit nie weiß, was mich heute erwarten wird. In meinem normalen Büro-Alltag kann zu jeder Zeit ein besonderes Ereignis sein. Und genau das macht es für mich so einzigartig und aufregend. Wir haben tagtäglich mit Menschen zu tun und unsere Aufgabe ist es, Leben zu retten, was uns auch in den meisten Fällen mit dem Notruf und dem Rettungsdienst vor Ort gelingt.