Kolumne

Tiefkühl-Menschen

Mithilfe der sogenannten Kryokonservierung lassen sich Menschen einfrieren.
26. Febr. 2023
Ein Gespräch mit den Nachbar*innen über Gott und die Welt lässt mich manchmal erst realisieren, wie merkwürdig die Welt doch ist. Und das, obwohl ich mir oft denke: Schräger kann es doch nicht werden. Eine Kolumne über realen Irrsinn.

Draußen ist es mittlerweile relativ kalt, denn der November beginnt allmählich seine wahre Gestalt zu offenbaren. „Und, heizt ihr schon?“ frage ich in die Runde, als hätte nicht schon jede*r oft genug darüber gesprochen. Zum ersten Mal seit Langem hat unser Plan für ein Nachbarschaftstreffen praktische Umsetzung gefunden. Nun sitzen ich mit den zwei verheirateten Millennial-Pärchen auf ein Bierchen zusammen und rede über ganz normale Dinge, möchte man meinen. „Nein, wir heizen noch nicht, obwohl es hier schon echt ziemlich kalt ist“, beantwortet Anna aus dem ersten Stock die Frage. Aber wer friert schon gerne? Während es still wird kann ich dem lockigen Matthias aus dem Erdgeschoss bereits anssehen, wie er mal wieder eine absurde Frage aus der hinteren Regionen seines Gehrins hervorzaubert. Matthias halt. „Wusstet ihr, dass es Menschen gibt, die sich freiwillig einfrieren lassen?“

Ab ins Gefrierfach 

Und schon verlassen die Themen am Tisch den Kosmos von all dem, was ich mir je vorstellen könnte. Woher Matthias diese Information hat weiß ich nicht, aber tatsächlich hat er recht. Es gibt Menschen, die sich kurz nach ihrem Tod einfrieren lassen, um in der Zukunft wieder aufgetaut zu werden. Während das Geschäftsmodell „Tiefkühl-Menschen“ in Deutschland verboten ist, bietet die amerikanische Stiftung Alcor das frostige Erlebnis schon an. Die Ironie dahinter: Es wurde bisher noch keine Technologie entwickelt, die diese Menschen auftauen und wiederbeleben könnte.

Aber die Eingefrorenen vertrauen darauf. Und Vertrauen ist natürlich eine tolle Sache, vor allem wenn man knapp 200.000 US-Dollar für die Konservierung seines eigenen Körpers bezahlt. Für etwas, von dem man nicht mal weiß, ob es wirklich funktioniert. Während die Personen auf minus 160 Grad Celsius heruntergekühlt werden, wird das Blut und andere Körperflüssigkeiten übrigens durch Frostschutzmittel ersetzt. Aber wie kann ich mir das vorstellen? Gibt es im Baumarkt eine Ecke für Menschen-Frostschutzmittel? Oder bekommen Menschen das gleiche, das meine Mutter im Winter in den Kühlwasserbehälter ihres Autos kippt? Ich habe so viele Fragen.

Schöne neue Welt

Wie kommt es dazu, dass Menschen so nach Unsterblichkeit streben? Weil ein Leben nicht reicht und die Zukunft zu reizvoll erscheint? Während eine Menge Menschen unter Zukunftsängsten leiden, scheint es wohl doch ein paar Auserwählte zu geben, die voll und ganz auf eine positive Entwicklung der Weltgeschichte vertrauen. Die felsenfest davon ausgehen, dass die zukünftigen Generationen sie wie ein vergessenes Stück Fleisch in der Gefriertruhe nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten aus ihrem Kälte-Koma erwecken. Aber wie wäre es überhaupt, in einer neuen Welt wieder aufzuerstehen? Wir sind Jahre lang in diese Welt hineingewachsen und trotzdem fühlen sich einige Dinge immer noch sehr befremdlich an. Wie zum Beispiel der Fakt, dass es Menschen gibt, die sich freiwillig einfrieren lassen. Realer Irrsinn.

Naja, anstatt mich einfrieren zu lassen, könnte ich wahrscheinlich auch einfach den ganzen Winter nicht heizen. Läuft auf das selbe hinaus. Dann spare ich dabei sogar noch Energiekosten (Pro-Tipp!). „Tja, Sachen gibt's, die gibt's gar nicht“, antworte ich dem lockigen Matthias, während er gerade einen Eiswürfel aus seinem Getränk fischt.

Mehr von der Kolumne "Dinge gibt`s, die gibt`s gar nicht" findest du hier.