Kolumne

Milliardenschwerer Wüstensand

26. Febr. 2023
Ein Gespräch mit den Nachbar*innen über Gott und die Welt lässt mich manchmal erst realisieren, wie merkwürdig das Welt doch teilweise ist. Und das obwohl ich mir oft denke: Schräger kann es doch nicht werden. Eine Kolumne über realen Irrsinn.

Ich habe wirklich tolle Nachbar*innen, aber leider schaffen wir es nur einmal im Quartal einen kleinen Nachbarschafts-Treff zu veranstalten. Diesen Donnerstag sollte es endlich mal wieder soweit sein. Eingeladen waren wir im Erdgeschoss um 20:00 Uhr, bin dann gegen Neune angekommen. Und das, obwohl der Weg einmal die quietschenden Treppen des Hausflurs herunter eigentlich nicht lang ist. Aber Pünktlichkeit gehört leider nicht zu meinen Stärken. Während ich nun gemeinsam mit zwei verheirateten Paaren, um die 30, leckere Nudeln mit Käse-Sahne-Soße verspeise, kommen am Tisch ganz normale Themen auf. Über Dinge, die halt so tagtäglich passieren. Doch weil uns alltägliche Themen nicht lange halten, sorgt der lockige Matthias aus dem Erdgeschoss wie immer schnell für Abwechslung: „Habt ihr schon davon gehört, dass in der Wüste eine 170 Kilometer lange Stadt gebaut wird?“ Meine Augen werden groß und ich fange an zu lachen: „Nein habe ich nicht… Doch jetzt nicht im Ernst, oder?“ 

Was ist denn hier los? 

Doch, es war ernst. Als Kind habe ich oft in meinen Gedanken herum gesponnen: Wenn wir in der Wüste ganz viele Solarplatten aufstellen würden, hätten wir mordsmäßig viel Energie. Nun wird die Wüste Saudi-Arabiens, Jordaniens und Ägyptens wirklich bebaut, allerdings nicht um nachhaltige Energie für die ganze Welt zu generieren. Denn die Schnapsidee einer Stadt ist darauf ausgelegt, Tourist*innen anzulocken und die Wirtschaft Saudi-Arabiens zu verbessern. Die Umsetzung des Projekts wird auf 500 Milliarden Euro geschätzt, was ein Schnäppchen. 

Das Highlight: Ein Gebäude, das sich „The Line“ schimpfen lässt. Was daran so besonders ist? Es ist 200 Meter breit, fast 500 Meter hoch und zieht sich mit seinen 170 KILOMETERN LÄNGE durch die ganze futuristische Mega-City. Glaubste dat? Ich nicht. Dabei soll die Glasfassade verspiegelt sein und somit mit der Wüste verschmelzen. Alleine der Gedanke daran sorgt für Unruhe in mir. Müsste die Oberfläche des Gebäudes nicht unglaublich heiß werden? 

Eine Spiegelwand inmitten der Wüste 

Da wird sich ein kleines Spaziergängchen zu seinen Nachbar*innen am anderen Ende des Hauses wahrscheinlich doch ein wenig länger gestalten als die zehn Treppenstufen runter zu meinen Nachbar*innen, mit denen ich gerade über dieses utopische Projekt spreche. Um genau zu sein (ich habe es natürlich nicht selbst ausgerechnet), würde man ohne Pause bei normaler Gehgeschwindigkeit, entspannte 56,7 Stunden brauchen. Gottseidank wurde ein unterirdischer Hochgeschwindigkeitszug mit eingeplant – sonst hätte man nach dem dritten Treffen mit den Nachbar*innen am anderen Ende des Hauses wahrscheinlich einen höllischen Muskelkater in den Oberschenkeln. Und das muss ja nun wirklich nicht sein.

Je länger ich über Dinge wie diese nachdenke, desto mehr kommt mir die Welt wie ein Science-Fiction-Film vor. Während ich in meiner 43 Quadratmeter großen Wohnung täglich einen Becher unter der Toilette ausleeren muss, weil diese undicht ist, bauen andere Menschen eine Stadt in der sie ihren Arbeitsweg höchstwahrscheinlich mit Raumschiff-Taxis bestreiten und sich abends die Füße von kleinen Dienst-Robotern massieren lassen. So kommt es mir zumindest vor. Diese Realität ist überhaupt nicht meine Realität, denke ich, während ich mir die letzte Gabel leckerer Nudeln mit Käse-Sahne-Soße in den Mund schiebe. „Krass. Sachen gibt's, die gibt's gar nicht.“. 

Mehr von der Kolumne "Sachen gibt´s, die gibt´s gar nicht" findest du hier.