Traditionen

Schwäbische USA

Da knapp sieben Millionen Deutsche seit dem 17. Jahrhundert ihre Heimat in Richtung Amerika verließen, stößt man dort immer noch auf viele deutsche Einflüsse. (Symbolbild)
20. Mai 2021
Die Vorfahren vieler US-Amerikaner*innen stammen ursprünglich aus Schwaben. Auch wenn die deutsche Sprache dort größtenteils verloren ging, erinnern Traditionen wie das jährliche Sauerkrautfest noch heute an die schwäbischen Wurzeln.

Football-Samstag in Ann Arbor. Fragt man die Bewohner*innen der Stadt, war man nicht wirklich in Michigan, wenn man nicht auch im Stadion war. Heimspiele des Footballteams gleichen riesigen Volksfesten – es herrscht Ausnahmezustand, Autos drängen durch die Stadt. Doch bevor die Fans ihr Ziel erreichen, müssen sie natürlich einen Parkplatz finden. Zum Beispiel auf dem Gelände der nahegelegenen Kirche. Wie praktisch, wenn man dort gleich eine Brezel als Wegzehrung kaufen kann. Brezeln? In den USA?

Vielleicht war es ja der schwäbische Sinn fürs gute Geschäft, der die Gemeinde der deutschen Kirche damals auf die Idee brachte, einmal im Monat samstags auf ihrem Parkplatz „pretzels“ zu verkaufen. Beliebt waren sie allemal – so beliebt, dass zeitweise hunderte Bleche Brezeln gebacken, verkauft und auch ausgeliefert wurden.

Ein Schwaben-Verein in Michigan

Typische Rezepte sind für die Nachkommen der schwäbischen Einwander*innen eine wichtige Tradition, um die Erinnerungen zu pflegen. „To me, it is part of my heritage” – „Für mich ist es Teil meines Erbes“, sagt Bob und meint damit das Erbe seiner Großmütter, die beide aus dem Schwabenland stammen. Er assoziiert mit dieser Region vor allem den Schwarzwald, Bier, Spätzle – und natürlich Brezeln. Gerade weil er sich der Herkunft eines Teils seiner Vorfahren so verbunden fühlt, ist er auch heute noch Mitglied im Schwaben-Verein von Ann Arbor. Zur Zeit der Gründung durch deutsche Immigranten zählte der Club rund 150 Mitglieder. Aktuell sind es noch rund 70 Männer, Frauen sind immer noch nicht zugelassen. Daher kommt es schon mal vor, dass zwar die Frau deutsche Wurzeln hat, aber der Mann das Mitglied im Schwaben-Verein ist. Bis in die 1980er-Jahre wurden die Treffen komplett auf Deutsch abgehalten. Da aber heute die wenigsten noch wirklich Deutsch sprechen, beginnen und beenden die Teilnehmer die Sitzungen lediglich in der Muttersprache ihrer Ahnen. Andere Bräuche hielten länger durch: Vier Events veranstaltet der Verein pro Jahr, darunter das „Bockbierfest“ und natürlich eine Weihnachtsfeier.

Der Schwaben-Verein ist jedoch nicht die einzige deutsche Gruppierung in der Stadt. Die rund 170 Mitglieder des German Park Clubs zählen auf ihren beliebten Picknicks im Sommer bis zu 3.000 Besucher*innen. Auch hier stehen traditionelle deutsche Gerichte und Bier im Vordergrund. Zudem zeigen Tänzer*innen in Dirndl und Lederhosen ihr Können. Dabei spielt es eine eher untergeordnete Rolle, ob ein Brauch ursprünglich aus Schwaben, Bayern oder aus dem Elsass kommt.

Doch weshalb konnten die Traditionen der deutschen Auswander*innen überhaupt bis heute überleben? Traditionen seien ein sozial verbindendes Element, betont Dr. Simone Blaschka, Direktorin des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven. Daher spiele auch die Community eine wichtige Rolle, in der früher die Ausgewanderten und heute deren Nachkommen zusammenkommen.

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Wie viele US-Amerikaner*innen haben deutsche Vorfahren? | Quelle: Meg Löffler

„This is America and you should speak English.“

Katies Urgroßeltern

Bobs Frau Michelle ist allerdings der Meinung, dass die Nachfahren die Traditionen fortführen, weil sie an den „good old days“ hängen und die gute alte Zeit romantisieren. Auf die Frage hin, ob sie sich selbst als Deutsche bezeichnen, antworten sie: „Wir sind Amerikaner, und dennoch halten wir daran fest, dass wir von deutscher Abstammung sind. Aber als Deutsche haben wir uns nie gesehen.“

Auch Katies Familie stammt größtenteils aus Deutschland. Ihre entfernten deutschen Verwandten, zu denen auch ich gehöre, leben noch immer in Schwaben. Wenn sie und ihre Schwester sich an Erzählungen zurückerinnern, sprachen ihre ausgewanderten Urgroßeltern zwar miteinander Deutsch, aber niemals gegenüber ihren Kindern. Stattdessen sagten sie zu ihnen: „This is America and you should speak English."

Sauerkraut und „German Cookies“

Katie ist ebenfalls Teil der deutschen Kirchengemeinde in Ann Arbor, auch wenn sie kein „Townie“ wie Michelle und Bob ist, weil sie erst später in die Stadt am Michigansee zog. Sie erzählt, dass das deutsche Erbe der Kirche noch einige Male im Jahr erlebbar wird. Neben dem „Sauerkraut Supper“ und dem Pendant zum deutschen „Oktoberfest“ werden in der Weihnachtszeit die allseits beliebten „German Cookies“, also Plätzchen, gebacken. Selbst ein kleines, eher touristisches Dorf mit deutschem Ursprung findet sich in der Nähe, es heißt Frankenmuth. Zudem gibt es auch noch einige deutsche Restaurants wie das „Metzger’s“ oder das „Heidelberg“ in der Gegend.

Generell spielt das Essen noch eine der größten Rollen im Leben der Nachfahren der Einwander*innen. Das hänge in gewisser Weise auch mit dem Ersten Weltkrieg zusammen, erklärt Dr. Blaschka. Mit dem Eintritt der USA in das Geschehen hätten sich einige deutsche Traditionen und Feste gewandelt. Denn es sei für die nachfolgenden Generationen in dieser Situation wesentlich attraktiver gewesen, sich als Amerikaner*innen zu identifizieren.

„And always a verse of Stille Nacht on Christmas Eve.”

Katie

„Die deutschen Bräuche, die sich erhielten, [...] standen der eigenen, aktiven Integration nicht im Weg, etwa Koch- und Brautraditionen oder die Wahl des Weihnachtsschmucks“, erläutert Dr. Blaschka. Auch das Singen deutscher Weihnachtslieder gehört dazu. „And always a verse of Stille Nacht on Christmas Eve”, erzählt Katie.

Im Laufe der Jahre integrierten sich die übriggebliebenen schwäbischen Bräuche nach und nach in den amerikanischen Alltag. Hier und da sind noch deutlich die deutschen Einflüsse zu erkennen – spätestens dann, wenn im Weihnachtsgottesdienst der deutschen Gemeinde in Ann Arbor das Lied „Stille Nacht“ erklingt.

Die Autorin hat für diesen Text mit ihren Verwandten in den USA und deren Freund*innen gesprochen. Teile ihrer Familie sind im 19. Jahrhundert dorthin ausgewandert.