Wahrgenommen

Überlisten

Handgeschrieben auf einem Notizblock oder digital – To-Do-Listen erfreuen sich großer Beliebtheit.
14. Febr. 2022
Hemmen wir durch To-Do-Listen unsere Produktivität? Eine Kolumne darüber, wie wir die Welt wahrnehmen und wie unsere Autorin darüber denkt.

Kennt ihr diese Menschen, die gerade erledigte Aufgaben auf ihre To-Do-Liste schreiben, um sie anschließend direkt abhaken zu können?

Na gut, ich gehöre an schlechten Tagen auch dazu. Es befriedigt einfach das menschliche Belohnungsbedürfnis. Eine Aufgabe ist abgehakt, man hat etwas erreicht und bekommt gleich mehr Schwung für das nächste To-Do. Das ist ja auch echt in Ordnung, wenn man sich dadurch selbst motivieren kann. Diese von ordnungsliebenden Menschen wie mir verehrten Listen beeinflussen allerdings unsere Wahrnehmung. Sind To-Do-Listen denn überhaupt sinnvoll, wenn sie unsere Effizienz sogar behindern können?

Die visuelle Aufsummierung unserer nach Aufmerksamkeit schreienden Aufgaben führt uns insbesondere vor Augen, was wir alles nicht geschafft haben. Und die zwei, drei abgehakten Dinge fallen für uns kaum ins Gewicht. Man hat sogar das Gefühl, viel weniger geschafft zu haben, als man eigentlich erreicht hat. Und je länger die To-Do-Liste dann wird, desto kleiner wird unsere Motivation.

Überlistendes Überarbeiten

Wenn mir eine To-Do-Liste so lang erscheint, dass ich sie unmöglich komplett bearbeiten kann, schreibe ich eine neue Liste. Darauf kommen dann wirklich nur die ganz wichtigen Sachen – „Kolumne schreiben“ zum Beispiel. Ist die To-Do-Liste dann fertig überabeitet, habe ich immer noch keine der eigentlichen Pflichten getan. Das Aufschreiben alleine raubt leider mehr Zeit, als dass es produktiver macht. Und trotzdem geben wir uns der Illusion hin, dass wir mit diesem schlichten Blatt Papier unser Leben wieder im Griff haben. Aber warum habe ich denn nicht schon vorher alle unwichtigen Aufgaben gestrichen? Stattdessen notiere ich jede Kleinigkeit, die mir in den Sinn kommt. Selbst schöne Tätigkeiten wie „Brötchen backen“, die ich eigentlich mit Muße machen sollte, wenn ich gerade einfach Lust dazu habe, werden niedergeschrieben. Freizeit mutiert zu Stress, wenn ich es nicht schaffe, diese To-Dos als schöne Pause oder Abwechslung zur Arbeit zu sehen.

Mir persönlich hilft es nun mal, zu wissen, dass ich etwas aufgeschrieben habe, also gar nicht vergessen kann. Da werden mir viele Menschen zustimmen. Doch vielleicht sollten wir besser unserem Gehirn vertrauen, das sich einfach die wichtigsten Aufgaben merkt – und nur die. Nicht mehr und nicht weniger. „Wenn es wichtig war, fällt es dir schon wieder ein“, wird gerne gesagt, wenn man etwas vergessen hat. Sollten wir nicht darauf hören?

Ich werde versuchen, in Zukunft weniger To-Do-Listen zu schreiben und mehr zu erledigen. Die Aufgabe „Kolumne schreiben“ kann ich immerhin schonmal abhaken. Und als letzten Punkt auf meine heutige To-Do-Liste werde ich schreiben: „To-Do-Listen abschaffen“. Ach, und Bad putzen wollte ich doch eigentlich auch noch…

Weitere Gedanken über Wahrnehmung und Wirklichkeit findest du hier.