Female Health

Mehr als nur Menstruation

Die Menstruation muss sichtbarer werden – auch außerhalb von Social Media.
20. Mai 2021
"Hast du deine Tage?" – Die Offenheit gegenüber Menstruation ist in den letzten Jahren gewachsen. Das brachte diverse Öko-Tassen-Startups, öffentlichen Diskurs und Aufklärung mit sich. Jedoch reicht das nicht. Es gibt immer noch Probleme in der Frauengesundheit.

Wir lernen diverse Details über unserer Gesundheit heutzutage via Social Media und Eigenrecherche.
Dabei erfährt man – NEWSFLASH – dass die Klitoris ein komplexes Organ ist, größer als eine Murmel; dass die Pille heftige Nebenwirkungen haben kann und es vielleicht keine grandiose Idee ist, sie tagtäglich wie Lutschbonbons zu schlucken oder dass Transgeschlechtlichkeit nichts mit Federboas zu tun hat und diesbezüglich ein binäres Geschlechtssystem einfach nicht mehr zeitgemäß ist.

Doch das System wird weiterhin vom Patriarchat gesteuert und Unzulänglichkeiten werden damit abgetan, dass es schon immer so gewesen sei. Tatsache ist, dass viele der im Folgenden beschriebenen Beschwerden menstruierender Personen oft in unserer Gesellschaft nicht ernst genommen werden.

Zensur im Mülleimer

Erst kürzlich hat der Markt rund um Periodenprodukte auf Social Media wieder hohe Wellen geschlagen, als bei der Investitions-Show „Die Höhle der Löwen“ ein neues Periodenprodukt zur Primetime vorgestellt wurde: Die Pinky Gloves – wobei sich dieses Thema (zum Glück!) erledigt hat.

Das Produkt soll dabei unterstützen, Periodeneinwegprodukte „hygienisch, sicher und geruchsneutral“ zu entfernen. Jedoch ist es lediglich eine Tonne an Wegwerfmüll. „Darüber hinaus ist die Namensgebung Pinkygloves stereotypisch für als Frauen gelesene Personen, ganz in der Annahme, dass nur diese menstruieren.“, finden Kati Ernst und Kristine Zeller von ooia Periodenunterwäsche, die in einem IGTV Stellung bezogen. Zudem kostet ein Pinkyglove deutlich mehr im Vergleich zu einem normalen Gummihandschuh, der den Zweck natürlich auch erfüllen würde. „ Wir müssen mal wieder mehr bezahlen! […] Sie wollen an unsere pinken Portemonnaies.“, so Kati Ernst.

"Wir müssen mal wieder mehr bezahlen!"

Kati Ernst, ooia-Gründerin

Doch genau da liegt der Haken: Der Zweck ist nicht etwa (wie leider bei manch anderen Periodenhygieneprodukten auch), Menstruierenden wirklich weiterzuhelfen, sondern lediglich das Problem von Menschen zu lösen, die anderen Menstruierenden "zuschauen". Es wird suggeriert, die Periode sei unrein, unhygienisch und sollte versteckt werden – sogar im Mülleimer.

An dieser Stelle soll ein kleines, aber feines Plädoyer für gratis Hygieneprodukte auf öffentlichen Toiletten stehen: So können wir nicht nur das Thema gesellschaftlich enttabuisieren, sondern gleichzeitig Periodenarmut vorbeugen. Danke!

Solange Instagram immer noch als Aufklärungsplattform für Periodenprodukte dient und die Pille das Allerweltsheilmittel bei Periodenschmerzen ist, muss die Menstruation enttabuisiert werden.

Gender Data Gap

Ein weiteres Problem ist der Gender Data Gap. Dabei handelt es sich um Datenerhebungsverfahren, die gesellschaftlich, wirtschaftlich oder medizinisch relevant sind, jedoch nahezu ausschließlich Datenerhebungen für das männliche Geschlecht aufweisen.

Dass der Gender Data Gap fatale Auswirkungen haben kann, belegen medizinische Studien, bei denen häufig für Medikamente an ausschließlich männlichen Zellen geforscht wird, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass der weibliche Hormonhaushalt häufig andere Nebenwirkungen zeigt als der männliche. Beispielsweise können die weiblichen hormonellen Schwankungen dazu führen, dass Medikamente in unterschiedlichen Phasen des Zyklus auch unterschiedlich wirken. Jedoch wird diese Tatsache bislang ignoriert, genauso, dass sie mit einer geschlechterspezifischen Betrachtung vermeidbar wären.

"Der Haken ist, dass es dazu bislang kaum Forschung gibt!"

Jakob Keilbach

Das stellt auch der Stuttgarter Gynäkologe Herr Keilbach fest: „Es gibt wenig Informationen über Unterschiede in Erkrankungen von Frauen und Männern, was unterschiedliche Beschwerden, Krankheitsbilder und Ursachen angeht." Auf die Frage hin, woran das liegen kann, meint Herr Keilbach: „Ganz nüchtern betrachtet? Weil es Geld kostet und bislang gut funktioniert hat. Es dauert unglaublich lange, bis da umgedacht wird. Man sieht ganz deutlich, dass es immer danach geht, wen es betrifft und wo das Geld sitzt. […] Der Haken ist, dass es bislang kaum Forschung gibt!“

Forschungslücken zeigen sich bei verschiedenen Erkrankungen von Menstruierenden. Viele Betroffene berichten auf Social Media über ihre Erfahrungen mit Endometriose. Der durchschnittliche Zeitraum bis zur Diagnose und Behandlung beträgt zehn Jahre, da Ärzt*innen die Beschwerden häufig nicht ernst nehmen. Stattdessen werden "starke Periodenschmerzen" diagnostiziert und ein Pillenrezept mitgegeben, was bei Betroffenen Scham und Unsicherheiten verursacht.

Obwohl die Krankheit in Fachkreisen bekannt und gesellschaftlich verbreitet ist, ist ihre Ursache immer noch ungeklärt und Endometriose ist nicht heilbar. Sie wird sogar "Chamäleon der Gynäkologie" genannt. Super, dass Zeit war, einen so schnuckeligen Namen zu finden, aber jede 10. menstruierende Person unheilbar krank bleibt.

Was ist Endometriose?
Endometriose in Zahlen.

Periode muss priorisiert werden

„In erster Linie wünsche ich mir, soweit es möglich ist, mehr herstellerunabhängige Informationen", sagt auch Herr Keilbach in Bezug auf die Aufklärung von jungen Menstruierenden. „Ich persönlich sehe ein großes Problem darin, dass wir allgemein eine Flut an Informationen haben, wo es häufig nicht mehr möglich ist, herauszukriegen, ob diese aus einer serösen Quelle sind."
Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dass die Gesundheit aller priorisiert wird und Forschungsrückstände in erster Linie eingestanden und in zweiter Instanz aufgeholt werden. Es muss nicht nur das Gesundheitswesen mit einbezogen, sondern aktiv die Aufklärung von jungen Menstruierenden angegangen werden. Vielleicht sind Menstruationsurlaub und die freie Verfügbarkeit von Periodenprodukten nicht mehr in weiter Ferne.