„Neue Trends wie Matcha beleben die Branche, ohne die starke Position des Kaffees zu gefährden.“
Konkurrenz oder Koffeinkoexistenz?
In dem kleinen Café „Mókuska Kaffeerösterei“ in Stuttgart brummt die Espressomaschine lautstark, dunkle Bohnen werden gemahlen und ein warmes Röstaroma liegt in der Luft. Nur ein paar Minuten entfernt, im neuen Teeladen „Paper and Tea“, herrscht eine andere Art von Wachwerden. Fast geräuschlos hebt die Barista den Bambusbesen und lässt ihn durch das smaragdgrüne Pulver tanzen – ein Gegensatz zum metallischen Dröhnen der Kaffeemaschine. Der schaumig-cremige Matcha duftet nach frisch gemähter Wiese. Zwei Rituale, zwei Energiequellen, zwei Welten – doch musst du dich überhaupt entscheiden? „Morgens trinke ich immer Kaffee, um wach zu werden, nachmittags gibt es dann noch Matcha, um mir den Alltag zu versüßen“, erzählt Vivien Birg*. Sie hat sich ihre eigene Routine geschaffen, ganz ohne eine Wahl treffen zu müssen. Auf das Trendgetränk aufmerksam geworden ist die 22-jährige Studentin durch TikTok und den Song „Bauch Beine Po“ von Shirin David, in dem der „Iced Matcha Latte“ erwähnt wird. Bevor wir jedoch tiefer in diese neuen Trinkgewohnheiten eintauchen, lohnt sich ein Blick darauf, wie stark der Trend inzwischen auch die Branchen verändert.
Der Marktanalyse Report des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Grandview Research aus dem Jahr 2024 führt den Boom auf eine Kombination aus ästhetischer Optik und die gesundheitsfördernden Eigenschaften zurück. Diese entsprechen dem anhaltenden Trend zu biologischen und nährstoffreichen Lebensmitteln. „Was das Interesse für Tee unter anderem auch beflügelt, ist die gestiegene Wertschätzung asiatischer Küche und Kultur bei uns“, heißt es im Tee-Report 2025 des Deutschen Tee- und Kräutertee-Verbands. Dieser bietet einen Einblick in die Bilanz des Teejahres 2024 mit Trends, Zahlen und Fakten. Ein allgemeiner Trend hin zu Grüntee aus Japan sei bereits seit einiger Zeit in Deutschland spürbar, erklärt der Verband. Matcha zähle zu den Top fünf Teesorten in Deutschland. Dieser Hype bei jüngeren Zielgruppen zeige, dass Tee inzwischen auch stylisch und hip sein könne. Für einen Trend gibt Vivien auch mal ein bisschen mehr aus, die Matcha-Preise finde sie durchaus gerechtfertigt.
Was ist Matcha?
„Matcha“ [抹茶] hat seinen Ursprung in der japanischen Teetradition und bedeutet „gemahlener Tee“. Es ist ein unfermentiertes Grünteepulver aus schattengewachsenen Teeblättern, welche sorgfältig ausgewählt und anschließend gedämpft, getrocknet und vermahlen werden. Der Herstellungsprozess beginnt bereits Wochen vor der Ernte, wenn die Teepflanze schattiert wird. Dies dient der Bildung von viel Chlorophyll, welches für die typisch grüne Farbe und den besonderen Geschmack sorgt. Die aufwendige, teils händische Herstellung führt zu höheren Preisen. Das Pulver wird traditionell mit einem Bambusbesen in heißem Wasser schaumig geschlagen und ohne weiteres filtern konsumiert. Matcha enthält viele Nährstoffe wie Antioxidantien, Vitamine, Mineralstoffe und je nach Rezeptur sogar ähnlich viel Koffein wie Espresso. Deshalb wird Matcha auch als natürliche Kaffee-Alternative betrachtet.
Der Absatz von grünem Tee in Deutschland nahm in den letzten Jahren zu: Das Verhältnis von Schwarz- zu Grüntee lag 2023 noch bei 76 zu 24 Prozent, 2024 lag es bei 72 zu 28 Prozent. Auch dies sei eine Folge der hohen Nachfrage nach Grünteespezialitäten wie Matcha, schreibt der Verband im aktuellen Tee-Report. In den vergangenen Monaten habe die weltweite Nachfrage nach Matcha erheblich zugenommen. In Deutschland haben sich die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. „Aktuelle Zahlen aus Japan besagen, dass zwischen Januar und August 2024 allein in Deutschland eine Importmenge von über 240 Tonnen Matcha verzeichnet wurde, was eine Steigerung von 240 Prozent im Vergleich Januar bis August 2023 darstellt. Diese Zahlen spiegeln die deutlich gestiegene Nachfrage wider“, erklärt der Deutsche Tee- und Kräutertee-Verband.
Dieser Trend lasse sich auch in anderen Märkten beobachten. Laut dem Verband sei Matcha in der Gastronomie inzwischen breit angekommen, Matcha-Getränke wie der Matcha-Latte seien vielerorts Standard und tragen zur Sichtbarkeit und weiteren Verbreitung des Trends bei. „Es ist schon fast Standard, dass du Matcha in den ganzen Cafés bekommst“, beteuert auch Vivien Birg. Man könne ihn mittlerweile auch im Supermarkt kaufen, was Matcha, laut der Studentin, fast schon zu etwas Alltäglichem mache. Der Tee-Verbrauch in der Gastronomie nahm 2024 im Vergleich zu 2023 um 0,5 Prozent zu. Er hatte 4,3 Prozent Marktanteile des Gesamtmarkts von 58.215 Tonnen, heißt es im Tee-Report. Das Angebot sei breiter aufgestellt als noch vor wenigen Jahren, denn neben schon etablierten Anbietern nehmen auch Start-ups und Handelsketten Matcha in ihr Sortiment auf.
Trotz des Hypes ist Matcha in Deutschland eine Nische. Der aktuelle Tee-Report zeigt: Im Gesamtmarkt Deutschlands 2024 macht Grüntee, zu dem Matcha gehört, nur 9,1 Prozent aus. Jedoch geben Daten auf europäischer Ebene einen Einblick in die erwartete Umsatzentwicklung bis 2030.
Deutschland ist Kaffeeland: Genusskultur trifft Wirtschaftskraft
„Kaffee ist Leidenschaft, Kaffee ist Lifestyle, Kaffee ist Genuss“, schreibt der Deutsche Kaffeeverband auf seiner offiziellen Website. Laut ihm trinken 93 Prozent aller Erwachsenen Kaffee, womit es das meistgenossene Getränk des Landes ist. „Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen“, heißt es auf der Website. Er ist auch ein prägender Wirtschaftsfaktor in Deutschland, sei es als Handelsgut oder als Kulturgut. Kaffeebohnen werden in großen Mengen importiert, verarbeitet, konsumiert und wieder ausgeführt. Laut dem Verband sei Deutschland im Bereich des Exports sogar Weltmeister, denn kein anderes Land führe mehr Kaffeeprodukte aus. 2021 wurden rund 1,1 Millionen Tonnen Rohkaffee nach Deutschland importiert und 255.895 Tonnen Röstkaffee exportiert.
„Neue Trends wie Matcha beleben die Branche, ohne die starke Position des Kaffees zu gefährden“, sagt Holger Preibisch, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands. Matcha erfreue sich zunehmender Beliebtheit, stehe jedoch nicht in Konkurrenz zum Kaffee, sondern ergänze die vielfältige Genusslandschaft. Der Kaffeekonsum in Deutschland bleibe weiterhin stabil auf hohem Niveau und profitierte von der wachsenden Aufmerksamkeit für hochwertige, natürliche Getränke, erzählt der Geschäftsführer weiter. Diese Entwicklung zeige, dass Verbraucher*innen zunehmend Wert auf Qualität, Herkunft und bewussten Genuss legen, sei es bei Kaffee oder Matcha. Nachhaltig zertifizierter Kaffee verzeichnet ein Wachstum von 8,6 Prozent. Auch die Studentin Vivien Birg achtet auf die Herkunft ihrer Produkte, ob bei Matcha Pulver oder Kaffeebohnen, Fairtrade und Marken-Image seien ihr wichtig.
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Chancen des Trends
Viele Kaffeeanbieter*innen reagieren auf den Trend und erweitern ihre Getränkekarten mit Matcha. So brachte beispielsweise Starbucks im Februar 2024 den „Iced Strawberry Matcha Latte“ auf den Markt. Es entstehen auch neue Geschäftsmodelle. Cafés wie Juni.essentials in Stuttgart nutzen den Trend, um sich mit Flatrates oder Signature-Drinks vom Mainstream-Kaffeemarkt abzuheben. Der „Daily Cup“ bei Juni ist ein monatliches Abonnement, mit welchem man an jedem Öffnungstag ein Kaffeegetränk seiner Wahl gratis bekommt. Der „1-Month-Pass“ startet ab 39,99 Euro, er kann auch für 54,99 Euro auf Matcha-Getränke geupgradet werden.
Auch in Stuttgart eröffnen immer mehr Matcha Pop-ups, wie die ORII Matcha Bar im Breuninger. Zu den Angeboten dort gehören heiße und kalte Matcha-Drinks sowie Matcha-Pulver und Zubehör für die eigene Zubereitung und den Genuss.
ORII wirbt mit ihrem Slogan „all things green, but make it aesthetic“. Dies stehe für mehr als nur hochwertigen Matcha Tee – es verkörpere einen Lifestyle, der Natürlichkeit, Gesundheit und Schönheit vereine, schreiben sie auf ihrer Website. „Insgesamt ist Matcha nicht nur ein Getränk, sondern ein Movement“, heißt es dort. Hier zeigt sich deutlich die Monetarisierung von Identität, denn Marken verkaufen nicht mehr nur das Produkt Matcha, sondern ein Lebensgefühl.
„Matcha kannst du romantisieren, das ist ästhetisch und trinkt man einfach gerne“, sagt Vivien Birg. Kaffee hingegen sei etwas Normales. Instagram-Tauglichkeit spiele eine wichtige Rolle, die gesundheitlichen Aspekte seien eher ein guter Nebeneffekt. Für die Studentin ist klar: Die Getränke konkurrieren nicht. Kaffee und Matcha seien sehr verschieden und würden sich deshalb eher ergänzen, statt sich zu ersetzen. Trotz Ästhetik: „Kaffee könnte ich mir nicht wegdenken. Ich kann auch mal einen Tag ohne Matcha, aber ein Tag ohne Kaffee ist selten“, beteuert sie.
Am Ende dieses Vergleichs bleibt weniger eine Entscheidung als ein Zusammenspiel. Für manche beginnt der Tag mit dem kräftigen Brummen einer Espressomaschine, für andere mit dem stillen Aufschäumen eines grünen Pulvers. Und für viele, wie Vivien Birg, gehört beides längst zusammen: Kaffee als verlässlicher Wachmacher, Matcha als ästhetische Auszeit am Nachmittag.
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*Die Autorin steht in freundschaftlicher Beziehung zur Protagonistin.