Unfruchtbarkeit

Jung und unfruchtbar

Kein Gegensatz: Jung und unfruchtbar.
03. Dez. 2021
„Wie viele Kinder wünscht du dir später mal?“ Eigentlich eine ganz normale Frage. Für ungewollt kinderlose Frauen jedoch nur eine schmerzliche Erinnerung an die eigene Unfruchtbarkeit.

Macallina war 15 Jahre alt, als der Arzt ihr zum ersten Mal sagt: „Deine Chancen schwanger zu werden, liegen ungefähr bei zwei Prozent.“ Damit hatte sie nicht gerechnet, als sie vor wenigen Minuten das Behandlungszimmer betrat. Die Diagnose lautet: Subfertilität. Das bedeutet, dass ihre Fruchtbarkeit stark eingeschränkt ist. Ein Schock. Aber nur im ersten Moment. Kinderwunsch und Familienplanung lagen für den Teenager noch weit in der Ferne. „Ich war damals viel zu jung, um zu realisieren, welche Tragweite diese Diagnose für mich haben würde. Um ehrlich zu sein, war es mir im ersten Moment auch ziemlich egal“, erzählt sie heute.

Wenn Macallina zurückdenkt, erinnert sie sich noch genau an die ersten Anzeichen. Schon nach der ersten Monatsblutung kamen die starken Schmerzen. „An manchen Tagen war es kaum auszuhalten. Ich fühlte mich matschig, hatte starke Migräne und Unterleibsschmerzen. Ich wusste, etwas stimmt nicht.“ Nach dem Besuch beim Gynäkologen wurde schnell klar: Sie leidet an Endometriose – einer chronischen Schmerzerkrankung, bei der sich gebärmutterähnliches Gewebe im Körper ansiedelt und unter anderem die Eileiter und Eierstöcke verklebt. Nicht jede Frau die an Endometriose erkrankt, ist unfruchtbar. Doch neben Krebserkrankungen und chronischen Infektionen ist Endometriose eine der häufigsten Ursachen, die bei jungen Frauen zu eingeschränkter Fruchtbarkeit führt.

Trotz der Diagnose hat Macallina ihr Lächeln nicht verloren.

Unfruchtbarkeit in Deutschland

Die Fruchtbarkeit und somit die Chance auf eine problemlose Schwangerschaft sinken bei jeder Frau mit dem Alter. Eine Frau Anfang 20, wartet bei regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr durchschnittlich zweieinhalb Monate auf eine erfolgreiche Befruchtung. Bei einer Frau Mitte 40 kann es bis zu zwei Jahre dauern. Durchschnittlich haben Frauen zwischen ihrem 50. und 52. Lebensjahr ihre letzte Regelblutung. Danach ist eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege nicht mehr möglich. Im Volksmund spricht man dann von Unfruchtbarkeit. „Unfruchtbarkeit ist ein sehr pauschaler Begriff. In der Medizin bezeichnet man Unfruchtbarkeit als Sterilität, was ganz unterschiedliche Ursachen haben kann“, so Larissa Thiel, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in einer Tübinger Kinderwunschpraxis. „Es gibt gynäkologische Erkrankungen, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können, wie beispielsweise Endometriose. Aber auch in solchen Fällen gibt es moderne Möglichkeiten, den Kinderwunsch zu verwirklichen. In sehr seltenen Fällen gibt es anatomische Fehlbildungen, wie das angeborene Fehlen der Gebärmutter, welche jedoch tatsächlich eine absolute Sterilität bedingen.“

Unfruchtbarkeit in Deutschland auf einen Blick

„Wie oft ich mir schon anhören musste: Sei froh, du musst dir nie Gedanken um Verhütung machen.“

Macallina Brandt

Mit eingeschränkter Fruchtbarkeit zu leben, ist nicht einfach, das bekam Macallina mit den Jahren immer häufiger zu spüren. Obwohl sie sich als Jugendliche keine Kinder vorstellen konnte, wächst ihr Kinderwunsch mit Anfang 20. Trotz Diagnose. Denn Kinderkriegen wurde mit dem Alter auch in ihrem Freundeskreis immer mehr zum Thema. In den meisten Fällen reagierten die Menschen mit Bedauern, wenn sie von Macallinas Situation erfuhren. „Die Meinungen und Kommentare von Außenstehenden sind zwar oft gut gemeint, doch meistens einfach nur unsensibel“, erzählt Macallina. Oft bekam sie zu hören: „Du bist noch jung, das wird schon irgendwann“, oder „Entspann dich doch einfach mal“. Für eine Frau, die sich täglich mit ihrer eigenen Fruchtbarkeit beschäftigt, ist das wenig hilfreich.  „Wenn ich ehrlich bin, kommen die meisten taktlosen Kommentare vor allem von jüngeren Männern, besonders häufig auf Social Media. Wie oft ich mir schon anhören musste: Sei froh, du musst dir nie Gedanken um Verhütung machen.“

Herausforderung Partnersuche

Das Datingleben bereitet vielen betroffenen Frauen Sorgen. Nicht nur der Kinderwunsch, auch die Partnersuche fühlt sich wie eine große Herausforderung an. Die Vorfreude auf ein unbeschwertes Kennenlernen und eine mögliche Beziehung ist groß. Doch die Realität ist meist weniger entspannt. Im Hinterkopf lauern immer dieselben Fragen: Wann spreche ich es an?  Wie wird mein Gegenüber darauf reagieren? „Ich habe immer versucht, sehr offen mit dem Thema umzugehen und es möglichst früh zu kommunizieren“, erinnert sich Macallina. „Doch bei meiner letzten Beziehung hatte ich das Gefühl, dieses Thema lastete wie ein Stein auf unserer Partnerschaft.“ Auf mögliche Unfruchtbarkeit des Partners sensibel zu reagieren und richtig damit umzugehen, ist nicht unbedingt leicht, sagt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Maria Rozumek. Es ist wichtig, Fragen zu stellen, die ein ehrliches Interesse vermitteln. Dieses Thema ganz außer Acht zu lassen, sei ein No-Go. Frauen würden häufig zögern, ihre Erkrankung überhaupt zu erwähnen und seien stark verunsichert, wenn keine Reaktion kommt.

Macallina wünscht sich, dass Unfruchtbarkeit kein tabuisiertes Thema bleibt. "Es ist wichtig, mehr darüber zu sprechen und zu berichten. Das macht es nicht nur für betroffene Frauen leichter, damit umzugehen, sondern auch für ihr Umfeld".

„Für mich war meine Diagnose auch eine Chance.“

Macallina Brandt

Heute, zehn Jahre später, ist Macallina 25 Jahre alt und verheiratet. „Für mich war meine Diagnose auch eine Chance.“ Es war ein Anreiz viel mehr über den eigenen Körper, die Psyche und den Zyklus zu lernen. Sie hat begonnen auf ihren Körper zu hören und ihre Lebensweise anzupassen. Was aber das Wichtigste ist: Macallina hat gelernt, dass diese zwei Prozent sie nicht definieren.

Vor knapp zwei Jahren sitzt Macallina wieder im Behandlungszimmer. Nicht mehr dasselbe Zimmer, denn die Praxis aus ihrer Jugend hatte inzwischen geschlossen. Auch das Gefühl, mit dem Macallina die Praxis verlässt, ist ein ganz anderes. Sie ist sehr glücklich, denn heute ist wahrscheinlich der schönste Tag in ihrem Leben. In ihrer Hand hält Macallina das ersten Ultraschallbild ihres Kindes. Neun Monate später kommt ihre Tochter zur Welt. Gesund und munter trotz dieser zwei Prozent.

Macallinas Fall ist zwar eine Erfolgsgeschichte, doch bei weitem nicht der Normalfall. Selbst für Frauen, die sich in medizinische Behandlung begeben, gibt es natürlich keine Garantie auf Erfolg. Denn obwohl die Reproduktionsmedizin weit fortgeschritten ist, liegt die Chance auf eine Schwangerschaft laut Angaben des Kinderwunschzentrums Ludwigsburg bei einmaliger Behandlung nur zwischen 25 und 45 Prozent.