Selbstbestimmung
(un)verschleiert

25 Aug 2021
Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam außer ihrer Religion. Für die eine bedeutet Freiheit die Entscheidung das Kopftuch zu tragen, die andere ist froh, sich gelöst zu haben. Doch es gibt etwas, das sie verbindet. Zwei Frauen, zwei Geschichten.Dunja Fadel
Crossmedia-Redaktion / Public Relationsseit Sommersemester 2020
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Punkt 12 Uhr. Zeit für die Mittagspause. Ehliman R. verlässt das Büro-Gebäude und steigt in ihr Auto. Unauffällig, praktisch und genügsam ist er, der schwarze Fiat Panda. Innen gleicht der Wagen dank der Sonne eher einer Sauna. Klick. Ehliman schnallt sich an. Doch sie fährt nicht weg, sie parkt um. Ein kleiner Unterschied von großer Bedeutung. Das Auto steht nun Richtung Süd-Ost. Ehliman schließt ihre mandelförmigen braunen Augen und hebt ihre Hände. Die Lippen bewegen sich langsam. „Allahu akbar“ - Allah ist der Allergrößte.
Die 44-Jährige nutzt ihre Pause zum Beten. Fünfmal am Tag findet das rituale Pflichtgebet statt: morgens, mittags, nachmittags, abends und spätabends. Muslim*innen aus aller Welt wenden sich dazu Richtung Mekka, das sich im Südosten befindet. Vor dem Gebet reinigen sie sich. Wenn kein Wasser zur Verfügung steht, hilft ein sogenannter Gebetsstein. Einer dieser Steine liegt neben einer Gebetskette in Ehlimans Auto. „Gott ist immer bei mir“, sagt die Muslima. Gott - das ist Allah. Ihm dankt sie täglich für das Leben und die Gesundheit. Ihm fühlt sie sich so sehr verbunden. Ihm zuliebe trägt Sie wieder ein Kopftuch.
Zwei Frauen
Ehliman gehört zu etwa vier Millionen Muslim*innen in Deutschland. Sie ist Teil der Gesellschaft, Verwaltungsfachwirtin, Steuerzahlerin, Mensch - und Kopftuchträgerin. Rund 30 Prozent der Muslima in Deutschland verschleiern sich. Die große Mehrheit von 70 Prozent der Frauen bedeckt sich nicht. Seit 2020 verkörpert auch Meliha Y.* einen Teil dieser Mehrheit. Ihr zartes Gesicht, die helle Haut, Creolen-Ohrringe, die durch ihr braunes, schulterlanges, gewelltes Haar blitzen. Dazu dezentes Make-up. Sie wirkt beinahe wie eine Disney-Prinzessin. Ihre Kleidung hingegen strahlt Lässigkeit aus. Zur hellblauen Boyfriend-Jeans kombiniert sie eine kurze senfgelbe Blümchen-Bluse, die den Blick auf ihre Körpermitte freigibt. Meliha lächelt. Ihr Gesicht spiegelt sich im runden Spiegel gegenüber. Das Lächeln wird immer stärker, bis ein Lachen ertönt. Ein Lachen, das sagt „so - genau so - bist du richtig.“ Wäre der Spiegel ein Mensch, würde er eine junge Frau sehen, die noch auf der Suche nach sich selbst ist. Aber auch eine junge Frau, die genau weiß, was sie nicht will. Eine junge Frau ohne Kopftuch.
Meliha
Auf den ersten Blick scheint Melihas Leben nicht ungewöhnlich. Sie ist 23 Jahre alt und studiert soziale Arbeit. Ihre Wurzeln liegen in der Türkei. Gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester wohnt sie seit sieben Jahren in einer modernen 4-Zimmer-Wohnung in einer Familiensiedlung in der Stuttgarter Vorstadt. Eine graue Couch mit senfgelben Kissen bildet den Kontrast zu den weißen Möbeln. Die Sonne strahlt durch die großen Fenster auf den gedeckten Wohnzimmertisch. Croissants, Plunder, Süßigkeiten, Kaffee, Orangensaft und Wasser - Meliha hat an alles gedacht. Erst kurz vor dem Treffen hat die Studentin die Wohnung geputzt. Alles wirkt sehr strukturiert, durchdacht und reif. Um zu verstehen warum, muss man die andere Seite ihres Lebens kennen.
In der Grundschule verliert sie ihren Opa, 2017 ihre Schwester. Vor einem Jahr verstirbt ihre Mutter nach kurzer, schwerer Krankheit. Sie war Melihas engste Vertraute. Noch heute fällt es ihr schwer über ihre Mutter zu sprechen. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie lächelt wehmütig. Die 23-Jährige hat ihre eigene Art mit der Situation umzugehen: Sie ist immer in Bewegung und übernimmt die Aufgaben ihrer Mutter. Es scheint, als versuche sie die Lücke damit so klein wie möglich halten. Die wenige Freizeit, die bleibt, verbringt die Studentin mit Freunden, Netflix oder dem Lesen. Zuletzt „Siddhartha“ von Hermann Hesse. Das Buch thematisiert die Suche nach dem Glück und die Erkenntnis, das Glück längst zu besitzen. Es erinnert an die Ratschläge ihrer Mutter und erzählt ein Stück weit Melihas Geschichte.
Sie beginnt in Bönnigheim. Meliha wächst in einer Großfamilie auf. Jeder ist füreinander da, es ist viel los, immer laut und lebendig. Die Zeit prägt sie. Die Erziehung war nicht streng, aber bedacht. Mama, die Konsequente, Papa der Fürsorgliche. Sie ergänzen sich. Die Eltern sind gläubige Muslime. Mit zwölf Jahren bedeckt sich Meliha. In der Regel folgt das Kopftuch im Islam auf das Eintreten der Periode. Meliha trägt es früher. Alle starken Frauen in ihrem Umfeld tragen das Kopftuch. Sie nimmt sich ein Beispiel, fühlt sich gut vorbereitet und äußert ihren Wunsch. Die Familie ist stolz.
Die innere Zerrissenheit
Nach dem Abitur beginnt sie zu studieren. Und zu hinterfragen. Wo gehöre ich hin? Was bin ich? Was möchte ich werden? Ihre Welt weitet und verändert sich. Es folgt eine rebellische Phase. Zuerst werden die Ohrringe größer, dann das Make-up auffälliger. Meliha fängt an, das Kopftuch offener zu tragen, verbringt Nächte in Bars und geht feiern. Sie ist 19. „Ich weiß, für andere ist das normal. Aber für mich war das hardcore“, sagt die Studentin grinsend. Sie versucht sich damit einen Ausgleich zu dem zu schaffen, was längst in ihr wuchert. Doch die Zerrissenheit lässt nicht nach. Immer wieder zweifelt Meliha an sich und der Gesamtsituation. Die Nächte auswärts werden länger. Bis ihre Mutter das Gespräch sucht. „Mama hat mir gesagt, 'Schatz, ich glaube, du bist unglücklich, was ist los?'“. Sie beginnt zu begreifen. Was bis dato unterbewusst stattfand, bestimmt jetzt ihren Alltag. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Muslima sich fragt: „Bin ich glücklich mit meinem Kopftuch?“ Sie war es nicht. „Ich wollte einfach so handeln und leben wie ich fühle, aber das, was ich fühle, hat nicht mehr mit dem, was ich trage zusammengepasst.“ Meliha realisiert, dass sie das Kopftuch nicht von Herzen trägt. Es war all die Jahre eine Art Automatismus. Die Situation überfordert die junge Frau. Sie versucht sich gedanklich mit dem Leben ohne Kopftuch zu arrangieren. Ein schwieriger Prozess, der sich für Meliha anfühlt wie Verrat an sich selbst. „Ich wollte immer eine starke Frau sein, die ein Kopftuch trägt und in Deutschland beruflich erfolgreich ist. Ich dachte das ist mein Kampf, ich beweise es allen.“ Die inneren Zweifel werden lauter. Was ist aus diesem Gedanken geworden? Was, wenn du dein Kopftuch ablegst und trotzdem unglücklich bist? Und was werden die anderen sagen? Wieder steht ihre Mutter ihr bei und spricht ihr zu: „Wenn du das Kopftuch für die Menschen trägst, dann macht das keinen Sinn.“ Die Botschaft kommt an. Monatelang hat Meliha sich mehr Gedanken um andere gemacht als um sich selbst oder Gott. Sie merkt, dass ihre Entscheidung längst gefallen ist.
Das Kopftuch fällt
„Ich habe verstanden, dass es vollkommen in Ordnung ist, ein Kopftuch zu tragen und konservativ zu sein. Aber es ist genauso in Ordnung, sich dagegen zu entscheiden.“, beteuert sie. Drei Monate vergehen, bis Meliha das Kopftuch ablegt. August 2019. Sie ist 21.
Sie lernt die neue Situation kennen. Gleichzeitig entwickelt sie die Befürchtung von der muslimischen Community abgelehnt zu werden. „Im Islam gibt es diese enge Verbindung zwischen der Religion und dem gesellschaftlichen Leben. Viele finden ihre Identität durch die Religion“, erklärt Mouhanad Khorchide, der das Zentrum für islamische Theologie an der Universität Münster leitet. Auch die Studentin definierte sich lange über ihre Religion.
Neun Jahre lang war das Kopftuch ein Teil von ihr. Es bestimmte ihren Alltag und formte ihren Charakter. Meliha ist mit dem Kopftuch zur Frau geworden. Das Ablegen veränderte nicht nur ihr Aussehen, es stellte ihre gesamte Identität infrage. Eine Situation, die auch ihrer Familie nicht leichtfiel. Die Tanten versuchten Meliha umzustimmen, der Vater reagierte traurig. Nicht, weil er ein Problem damit hatte. Er verlor ein Stück seiner Tochter. Aber er akzeptierte die Entscheidung sofort. Die Familie hielt zusammen.
Trotz ihrer Wahl gegen das Kopftuch hat Meliha nach wie vor eine Verbindung zu Gott „Ich denke die Religion ist viel mehr als nur ein Kopftuch.“, sagt sie. Im Islam gibt es keinen Zwang. Sure 2 Vers 256. Darauf beruft sie sich. Die 23-Jährige kennt die Gebote. Sie interpretiert sie nicht anders als vorher. Aber sie entscheidet sich auch bewusst gegen Teile davon.
„Denkst du Gott hat ein Problem mit deiner Entscheidung?“
Kurze Stille.
„Ich weiß es nicht. Ich finde, ich praktiziere den Islam nicht, wie ich es sollte, aber ich finde auch, das macht mich nicht zu einer schlechten Muslima.“
„Inwiefern?“
„Ich versuche trotzdem ein guter Mensch zu sein. Ich hoffe, das reicht. Nur Gott kann darüber urteilen, es ist eine ganz persönliche Sache zwischen mir und dem Schöpfer. Ich habe keine Angst“.
Ihre Worte klingen bedacht. Reflektiert. Bereit. Bereit, vor Gott gegebenenfalls die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen.
Das neue Leben
Meliha fühlt sich wohl in ihrer neuen Welt. Anfangs kam sie sich nackt vor, heute trägt sie gerne Kleider mit Schlitz. Lange hatte sie das Gefühl eine ganze Religion zu repräsentieren, nun geht es um sie. Nicht mehr und nicht weniger. Diese Leichtigkeit, sie ist wohl ihr größter Gewinn. Seit dem 22.08.2019 hat sich alles verändert. Positiv, wie Meliha findet. „Ich möchte das Kopftuch nicht als eine Fessel darstellen, aber für mich war es etwas, das mich zurückhält.“, resümiert die Studentin. Sie lächelt. Meliha ist noch nicht angekommen, aber sie ist auf ihrem Weg.

Selbstbestimmung hat nicht nur eine Richtung
Zu keinem Zeitpunkt spricht die 23-Jährige von einem Zwang. Im Gegenteil. Sie selbst entschied sich einst für das Kopftuch. Alles war gut. Dachte sie. Heute weiß sie es besser und so war ihre logische Konsequenz die Kopfbedeckung abzulegen. Für Meliha ein richtiger Schritt, der aber nicht einfach war. Obwohl ihre Familie die Entscheidung akzeptiert und ihre Mutter, die selbst bis zu ihrem Tod ein Kopftuch trug, sie auf der Suche nach dem richtigen Weg ermutigt hat, haderte die Studentin monatelang.
Gesetzlich hingegen ist die Lage in Deutschland einfach. Eigentlich. Das Grundgesetz garantiert Religionsfreiheit sowie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Demnach dürfen Musliminnen selbst bestimmen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht. Selbstbestimmung: Das heißt, nicht gezwungen zu werden, ein Kopftuch zu tragen. Es heißt aber auch, es tragen zu dürfen. Abwägen, ob man sich aus Angst gegen seinen Wunsch stellt - das ist der Alltag vieler muslimischen Frauen in Deutschland. Aufgrund einer Minderheit, die sie diskriminiert. Der Großteil tut das nicht. Eine Minderheit, die zum Kopftuch gezwungen wird, der Großteil wird das nicht.
Ehliman
Auch Ehliman wägte ab. Sie befand sich in einem persönlichen Dilemma. Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Die 44-Jährige fällt vor allem durch ihr harmonisches Gesamtbild auf. Zur beigefarbenen Hose wählt sie eine Satin-Bluse im selben Farbton. Goldene Ohrringe und eine auffällige braune Kette setzen farbliche Akzente. Die dunkelbraunen Augen betont die Muslima zusätzlich durch eine Brille mit dickem, schwarzen Rahmen. Ihr beigfarbenes Kopftuch wirkt beinahe wie ein weiteres modisches Accessoire. Ehliman trägt es als Turban, fixiert durch goldenen Nadeln, die sich farblich abheben. Nicht zu schwach und nicht zu stark - es sieht stimmig aus. Fast 50 verschiedene Tücher besitzt sie mittlerweile. Dezent und auffällig. Bunt und gemustert. Wie einst ihre Haare macht die 44-Jährige nun ihr Kopftuch zurecht „Das Kopftuch ist wie meine Frisur“, sagt Ehliman lachend. Ihre „Lieblingsfrisur“ ist schokobraun.
Ehliman trägt das Kopftuch mit Stolz. Für sie persönlich war es ein weiterer Schritt zur Vollkommenheit, die einzige logische Konsequenz, um sich Allah noch näher zu fühlen. Inwiefern das Kopftuch laut Koran notwendig ist, ist umstritten. Es gibt zwei Stellen, die sich mit dem Thema befassen. In Sure 24, Vers 31 heißt es, Frauen sollten Tücher über ihren Kleiderausschnitt schlagen. Vers 59 in Sure 33 appelliert: „Frauen mögen Gewänder über sich schlagen, damit sie nicht belästigt werden“. Die genaue Auslegung ist Interpretationssache. „Die fundamentalistische und konservative Auslegung leitet daraus das Tragen eines Kopftuchs ab. Aus der liberalen und wissenschaftlichen Betrachtung des Korans handelt es sich beim Kopftuch hingegen nicht um ein religiöses, sondern ein historisches Symbol“, sagt der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft sollte das Kopftuch die Frauen im 7. Jahrhundert von Sklavinnen unterscheiden, die sich nicht verschleiern durften und so männliche Übergriffe abwehren. Heutzutage hätte die Empfehlung demnach keine Relevanz mehr.
Die Muslima sieht das anders. Sie möchte mit dem Kopftuch ihre weiblichen Reize bedecken: „Es ist etwas Spirituelles, eine Sache zwischen mir und Gott“. Die 44-Jährige wirkt selbstreflektiert und mit sich im Reinen. Der Weg dahin war lang.
Von Bosnien Richtung Gymnasium
Ehliman wird 1977 als erste Tochter zweier Muslime in Foĉa, dem heutigen Bosnien, geboren. Vier Jahre später kommen ihre Eltern als Gastarbeiter nach Deutschland. Einen Kindergarten besucht Ehliman nie, sie wird direkt eingeschult. Ohne Deutschkenntnisse kämpft sie sich durch. „Problemlos“, sagt sie. Am Ende der vierten Klasse folgt die Gymnasialempfehlung.
Die Erziehung ist streng. Zu streng aus Ehlimans damaliger Sicht. Sie fühlt sich unterdrückt. Heute hat sie Verständnis. Der Islam war allgegenwärtig. Zwei strenggläubige Eltern - das bedeutet oft das Kopftuch. Auch für Ehliman. Kein Zwang, eher eine Selbstverständlichkeit. Bis sich die Eltern scheiden lassen. Ehliman ist 14. Es ist der erste Wendepunkt in ihrem Leben.
Die Mutter löst sich von ihrem alten Leben. Sie legt das Kopftuch ab. Ehliman folgt ihrer Entscheidung. Sie unterstützt ihre Mutter und übernimmt früh viel Verantwortung. Nach dem Abitur beginnt sie eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten. Mit 19 heiratet sie die Liebe ihres Lebens. Früh, aber keineswegs überhastet. „Die Liebe halt“ sagt sie und lacht. Die Liebe hält. Genau wie die Beziehung zu ihrem Ausbildungsbetrieb. Das passt zu ihr. Heute ist sie Ehefrau, Führungskraft und zweifache Mutter. Ihre Erziehung beschreibt sie als „lockerer“, aber auch bei ihr spielt der Glaube eine große Rolle. Gebetssprüche zieren die Wände der Maisonettewohnung. „Allahmdulliah“ - Dank gilt Allah und „Subhanallah“ - gepriesen sei Allah sind dort zu lesen. Im Bücherregal steht der Koran - er hat einen Ehrenplatz. Ehliman lebt ihren Glauben. Sie betet, fastet und vergibt Almosen. Nur das Kopftuch war die letzten dreißig Jahre nicht präsent. Bis zum 26.03.2020. Es ist der zweite Wendepunkt.
Die Wende
Lange hat sie sich Gedanken gemacht, ob sie das Kopftuch wieder anlegen solle. Hin und Her überlegt. Mehr als fünf Jahre wartet sie auf den richtigen Moment. Ihr 40. Geburtstag, der Weltkopftuchtag. Es wurde ein beliebiger Tag im Jahr während der Pandemie. „Der Lockdown war für mich eine Phase, in der ich mehr zu mir selbst gefunden habe“, sagt sie und ergänzt, „alles, was ich in den letzten 30 Jahren gemacht habe, hat mich dazu geführt, dass ich jetzt und in Zukunft das Kopftuch tragen möchte, insallah“. Insallah. Immer wieder fügt die Muslima das Wort an ihre Sätze. So Gott will. Es gilt als Ausdruck der Hoffnung. Auch Ehliman weiß, was sie will. Sie spricht ruhig und gleichzeitig mitreißend. Nur einmal im gesamten Gespräch stockt ihre Stimme.
„Warum hast du trotzdem so lange gewartet?“
Sie schluckt, versucht die richtigen Worte zu finden. „Es war die Angst. Das 'wie erkläre ich das und wie wird es privat und beruflich aufgenommen?'"
Da war er. Der kurze Moment der Unsicherheit. Es fiel ihr sichtlich schwer. Nicht aus eigenen Zweifeln, sondern aus der Angst vor Reaktionen und Ablehnung. Die zweifache Mutter suchte nach Gründen es nicht zu tun, aber keiner macht sie glücklich. Sie gelangt immer wieder an denselben Punkt: Die Überzeugung und Freiheit zu sagen „Ich möchte das!“
Das Homeoffice erleichtert ihr die Entscheidung: kaum persönlicher Kontakt, Zeit sich an die Veränderung zu gewöhnen. Trotz beruflichem Stress und Schulbetreuung sieht Ehliman in der Situation die Chance, nicht das Problem. „Ich hatte das Gefühl, Gott hat mir alle Türen geöffnet und alle Zeichen, die ich mir so lange erhofft habe, gesendet.“ Sie vertraut auf ihr Gefühl, ihren Glauben. Der Glaube, er ist Ehlimans Auszeit und Konstante.
Die Angst, gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden, war im Fall der Verwaltungsfachwirtin unbegründet. Negative Reaktionen gab es nicht, doch das ist nicht immer so. Vorurteile gegen den Islam sind in Deutschland weit verbreitet. Frauen mit Kopftuch erfahren besonders häufig Diskriminierung.
Da ist dieses Bild der unterdrückten, unglücklichen Frau, die zum Kopftuch gezwungen wird. Die Muslima kennt die Vorurteile und versteht die Problematik. „Nicht jeder ist in der privilegierten Situation, sich das aussuchen zu können.“, sagt sie. Derzeit besteht im Iran und Afghanistan ein sogenannter Schleierzwang. Ehliman schüttelt den Kopf. „Aber wir in Deutschland können das. Und das sollte die Gesellschaft anerkennen.“
Für Ehliman ist das Kopftuch ein elementarer Baustein ihres Daseins. Ein Baustein, den sie liebt, aber nicht in den Vordergrund stellt. Der 26.03.2020 war ein großer Tag für die Muslima. Alles hat sich verändert. Alles, aber auch nichts.
