Essstörungen

Instagram als Hoffnungsort

Anfangs nahm der Account viel Raum in Marens Leben ein, bis zu neun Stunden täglich verbrachte sie auf Instagram.
23. Mai 2019

In Zeiten, in denen Therapieplätze Mangelware und Essstörungen weiterhin stigmatisiert sind, zieht es viele junge Betroffene auf Instagram. Wie in einer Selbsthilfegruppe teilen sie dort ihren Weg aus der Krankheit und erfahren so ein Gefühl von Verbundenheit. Doch wie förderlich ist diese Vernetzung wirklich für ihre Genesung?

Selfies im Fitnessstudio, Fotos aus dem Skiurlaub oder Bilder mit Freundinnen  - wer Maren auf Instagram folgt, erlebt eine junge Frau, die glücklich und selbstbewusst im Leben steht. Erst ihre Texte zeigen, dass dies nicht immer der Fall war. Offen und ehrlich schreibt sie auch über die dunkleren Kapitel ihrer Vergangenheit. Noch vor drei Jahren war das unvorstellbar: Marens Essstörung war lange ihr Geheimnis.

Wie auch in Marens Fall tritt die Krankheit meist im Jugendalter auf. Einer Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge zeigt etwa ein Fünftel der 11- bis 17-jährigen Symptome gestörten Essverhaltens. Wenngleich von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird, ist der Anteil von Betroffenen in der Gesamtgesellschaft hingegen mit nur drei bis fünf Prozent eher gering. Diese fühlen sich daher, wie Maren, meist allein mit ihren Sorgen.


Erst auf Instagram stieß sie auf Menschen, die nicht nur Verständnis für ihre Probleme zeigten, sondern ebenfalls tagtäglich damit zu kämpfen hatten. So begann auch sie ihren Weg aus der Magersucht auf einem sogenannten Recovery-Account zu teilen, mit anderen zu schreiben und sich auszutauschen.

Hoffnung auf ein Leben nach der Essstörung

Obwohl laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Therapie in rund 80 Prozent der Fälle eine Wirkung oder zumindest Besserung erzielt, empfinden Betroffene ihre Situation oft als ausweglos. Von anderen zu lesen, die es bereits geschafft haben, hat Maren Mut gemacht, als sie selbst noch tief in der Krankheit gefangen war.

„Wenn man bei Leuten auf Instagram sieht, dass sie es geschafft haben, dann merkt man, dass es nicht unmöglich ist.“

Maren

Uta Jäger von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Stuttgart wertet den Austausch als große Chance: „Ich glaube wirklich, dass Leute, die das weitgehend überstanden haben, anderen Betroffenen viel mit auf den Weg und ganz viel Unterstützung geben können, manchmal vielleicht mehr, als wenn der Therapeut etwas Schlaues sagt.“

(K)eine heile Welt

Andererseits sind keinesfalls alle Posts auf Instagram positiv oder inspirierend. Neben Erfolgserlebnissen und Transformationsbildern teilen Betroffene auch ihre Rückschritte. Wie schwer es ist, sich davon nicht runterziehen zu lassen, hat Maren nicht nur selbst erlebt, sondern auch bei anderen beobachtet: Zeitweise habe eine regelrechte Rückfallwelle nach und nach immer mehr Accounts mitgerissen.


Rückblickend hat sie das Gefühl, dass sie gerade anfangs nur Leuten gefolgt ist, die sie noch weiter in die Essstörung gebracht haben. Sie war hin- und hergerissen – zwischen dem Wunsch, gesund zu werden und der Angst, die Krankheit loszulassen. Diese Ambivalenz mag für Außenstehende unverständlich klingen, sei aber typisch für eine Essstörung, erklärt Jäger. Kritisch werde es, sobald man aufhöre, sich in therapeutischen Fortschritten zu vergleichen und das Konkurrenzdenken die Überhand gewinne.

Das Wichtigste ist, dass man sich online nicht wieder in anorektische Gedankenkreise hineinziehen lässt.

Dr. Uta Jäger

Dies sollte man nicht mit sich allein ausmachen, findet Uta Jäger, sondern unbedingt in der Therapie ansprechen. Maren hingegen hat ihrer Therapeutin lange nichts von ihrem Account erzählt. Erst als sie gemeinsam einen Blick auf ihren Instagram-Feed geworfen haben, wurde ihr bewusst, wie hilfreich die Perspektive eines Außenstehenden sein kann: Während ihre eigene Wahrnehmung noch verzerrt war, konnte ihre Therapeutin mit „normalem Menschenverstand“ zwischen normalen Posts und „total essgestörten Sachen“ unterscheiden, erzählt sie. Mittlerweile erkennt Maren das selbst und kann sich daher mit vielen Followern nicht mehr identifizieren: „Ich habe das Gefühl, die meisten Leute, die mir folgen, sind Leute in einer Essstörung und haben teilweise den Bezug zur Realität total verloren.“

Auf ihrem Account erreicht Maren fast 28.000 Abonnenten.
Anfangs hat sie vor allem ihre Fortschritte mit ihrer Community geteilt.
Anhand ihrer Entwicklung möchte Maren zeigen, dass es auch ein Leben nach der Essstörung gibt.
Inzwischen postet sie hauptsächlich Outfitbilder und sieht sich eher als "Lifestyle Account".

So reflektiert Maren mittlerweile über ihre Essstörungszeit sprechen kann: Ob ein Recovery-Account hinderlich oder hilfreich bei der Genesung ist — darauf findet sie keine klare Antwort. Entscheidend sei letztlich, wem man folgt, da sind sich Betroffene und Expertin einig. Die Verantwortung dafür trage jeder selbst, betont Maren: „Wenn ich gesund werden will, dann folge ich ja keinen Leuten, die nur vermitteln, dass es nicht funktioniert.“

Angekommen im Alltag

Dass es funktionieren kann, verbildlicht Marens Entwicklung. Nach vielen Jahren drehen sich ihr Leben und ihr Account nicht mehr primär um ihre Krankheit. Anstatt von Essstörungsproblemen erzählt sie in ihrer Story von der letzten Fahrstunde, vom Feiern mit Freunden, vom ganz “normalen“ Alltag einer 19-Jährigen.

Dass sie einmal an diesen Punkt kommen würde, hat sie oft bezweifelt. Früher konnten ihr in diesen Momenten andere Betroffene neue Hoffnung geben. Heute ist es Maren selbst, die anderen Mut macht, indem sie ihre Geschichte teilt.


Auch wenn der Austausch auf Instagram helfen kann, ersetzt ein Recovery-Account keine professionelle Therapie. Es ist unerlässlich und vollkommen legitim, (auch) offline Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Falls du oder jemand aus deinem Bekanntenkreis von einer Essstörung betroffen sein sollte, findest du hier Kontaktadressen und Anlaufstellen:

Informationen und Hilfe bei Essstörungen: www.bzga-essstoerungen.de/hilfe-finden/

Die Arztsuche auf der Website der Kassenärztlichen Vereinigung hilft bei der Therapeutensuche.

Speziell in Stuttgart bietet ABAS e. V. eine Anlaufstelle für Betroffene und Unterstützung bei der Suche nach einem passenden Behandlungsangebot. Telefon: 0711 / 30 56 85 40; E-Mail: info@abas-stuttgart.de