Rollenimage

Harry Potter und der Rollen-Fluch

Etwa 5000 Menschen pro Tag besuchen das Harry Potter Museum in London.
10. Juni 2023
Zehn Jahre lang standen sie zusammen vor der Kamera und kämpften gegen dunkle Mächte. Doch nach Abschluss der Harry-Potter-Reihe sieht man das Schauspiel-Trio um Daniel Radcliffe kaum noch in Fantasy-Rollen. Ein Phänomen, das nicht nur das Potter-Universum betrifft.

Viele Potter-Fans warten schon sehnsüchtig: Am 23. Mai soll die neue Harry-Potter-Serie in den USA ihr Debüt feiern. Doch statt der bekannten Gesichter von Daniel Radcliffe und Co. wird ein neuer Cast in den Rollen von Harry Potter, Hermine Granger und Ron Weasley über die Bildschirme flimmern. Sehr zum Leidwesen der treuen Fans, die noch immer in Emma Watson, Daniel Radcliffe und Rupert Grint die einstigen Zauberlehrlinge sehen. 
Das Trio hat sich jedoch schon vor Jahren von ihrem Harry-Potter-Image losgesagt. Bereits 2013 gestand Radcliffe gegenüber BBC: Ich habe versucht, eine Vielzahl von Dingen zu machen, die mich von Harry Potter wegbringen. Ich denke, das war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass ich als Schauspieler in eine Schublade gesteckt werde. Radcliffe hielt sein Wort und verschwand vollkommen aus der Fantasywelt. Es folgten viele diverse Rollen in Filmen von kleinen, unabhängigen Produktionsfirmen. Die Figuren, die er verkörpert, sind meist dunkel, komödiantisch und außergewöhnlich. Zu den bekanntesten gehören die Tragikomödie Swiss Army Man, in dem Radcliffe eine pupsende Leiche verkörpert oder der Horrorfilm Die Frau in Schwarz. Kaum eine Rolle davon ähnelt der des jungen Zauberlehrlings.

 

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Diese Grafik zeigt die Genres der Projekte, in denen Daniel Radcliffe nach Ende der Harry-Potter-Reihe mitgewirkt hat. | Quelle: Jonas Brings

Mit dieser drastischen Distanzierung von der alten Harry-Potter-Rolle ist Daniel Radcliffe nicht alleine. Auch Emma Watson und Rupert Grint haben sich aus dem Fantasy-Genre zurückgezogen. Die Gründe dafür sind verschieden, laut der Casting-Direktorin Tina Böckenhauer ginge es meist um die künstlerische Entfaltung und die Erweiterung des schauspielerischen Repertoires. Oft sei die Distanzierung des Rollenimages auch eine bewusste Entscheidung, um für folgende Filme nicht getypecastet zu werden.

In Film und Theater bezeichnet Typecasting die Festlegung von Schauspieler*innen auf einen bestimmten Charaktertypus. Die Darsteller*innen verkörpern immer wieder ähnliche Rollen, meist weil das Publikum an diese gewöhnt ist und andere Figuren ablehnen würde. Typecasting tritt besonders in der Darstellung von Bösewichten oder Heldenfiguren auf und erschwert den Schauspieler*innen oft ihr darstellerisches Spektrum zu erweitern. Beispiele hierfür sind Jacky Chan als kampfsportaffiner und humorvoller Actionheld oder Danny DeVito als witziger Sidekick.

Böckenhauer ist seit über 30 Jahren im Geschäft und hat schon Dutzende Kinder- und Jugendrollen im deutschen und internationalen Raum besetzt. Sie sieht das Problem von immer wieder gleichen Besetzungen auch in dem mangelnden Mut von Produzent*innen: „Viele Firmen wollen die Erwartungen des Publikums erfüllen. Sie wissen, wenn sie auf diese Art besetzten, schalten die Zuschauer*innen ein, weil sie die Schauspieler*innen gerne in den gewohnten Rollen sehen“. Dass das Publikum davon auch schnell gelangweilt sei, würden viele Caster*innen ausblenden.

Alles eine Frage des Alters?

Dass eine erfolgreiche Rolle allerdings nicht immer zu einem festgesetzten Rollentypus führen muss, zeigt der Brite Ralph Fiennes. Dieser kann mit seiner Rolle als Lord Voldemort klar dem autoritären Antagonisten zugeordnet werden. Trotzdem hatte er nach Abschluss der Dreharbeiten keine Probleme, ein vielseitiges Portfolio mit unterschiedlichen Rollen aufzubauen, in denen er sich oft vom autoritären Gegenspieler lösen konnte. Ein Grund dafür könnte sein, dass Fiennes sich bereits viele Jahre vor seiner Rolle als Voldemort einen Namen als talentierten und ernsthaften Schauspieler gemacht. Gelungen ist ihm dies, indem er viele verschiedene Rollen annahm, die nicht immer großes Hollywood Potenzial aufwiesen. 

Vor allem junge Schauspieler*innen haben gute Chancen auf einen Imagewechsel.

Tina Böckenhauer

Ein Prozess, den seine ehemaligen Schauspielkolleg*innen Radcliffe und Co. erst einmal noch durchlaufen müssen. Tina Böckenhauer sieht jedoch Potenzial: „Vor allem junge Schauspieler*innen haben gute Chancen auf einen Imagewechsel, weil sie noch nicht so fest in den Köpfen des Publikums verankert sind wie die Älteren und das zu ihrem eigenen Vorteil nutzen können“. Dass es dabei jedoch vor allen Dingen auf den Erfolg des Filmes und die dazugehörigen Schauspieler*innen ankommt, zeigt sich am Harry Potter Cast. „Nach solch erfolgreichen Filmen muss dann erst einmal Distanz zu der Rolle gewahrt werden, dass bedeutet Aushalten und auch Rollen bewusst ablehnen“, so Böckenhauer.

Persönliche Entfaltung statt Profit

Dass viele Harry Potter Darsteller*innen mit ihrer Rolle viel Geld verdient haben, ist kein Geheimnis. So bekam Radcliffe als gerade einmal Zehnjähriger mit Harry Potter und der Stein der Weisen knapp eine Million Dollar. Teil fünf brachte ihm bereits 14 Millionen Dollar ein.

 

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Gesamtvermögen von Teilen des Hauptcasts der Harry-Potter-Reihe nach Gesamtvermögen in US-Dollar. | Quelle: Jonas Brings

Radcliffes Gesamtvermögen beläuft sich nach Schätzungen heute auf rund 110 Millionen US-Dollar. Eine Summe, mit der sich viele Schauspieler*innen aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hätten. Daniel Radcliffe hingegen hat nach Abschluss der Harry-Potter-Reihe sein Schauspiel-Repertoire um Dutzende Projekte erweitert. So übernimmt er Rollen auf den Theaterbühnen dieser Welt, statt auf der großen Kinoleinwand. Ein Imagewechsel, der nicht ungewöhnlich ist, sagt Böckenhauer. „Meistens verfolgen die Schauspieler*innen eine ernstere Karriere und neigen dazu, eher künstlerische und kleinere Projekte anzunehmen.“

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Profit und Ruhm mit der Zeit in den Hintergrund geraten ist Radcliffes ehemalige Schauspielkollegin Emma Watson. Ihr geschätztes Vermögen beläuft sich auf rund 85 Millionen US-Dollar. Emma Watsons sozialer und ökologischer Aktivismus ist seit vielen Jahren ein wichtiger Teil ihrer öffentlichen Persönlichkeit. Durch ihre Arbeit mit der UN, ihre nachhaltige Modelinie und ihre Unterstützung verschiedener wohltätiger Zwecke hat Watson ihre Plattform genutzt, um positive Veränderungen in der Welt zu fördern. Dennoch hat sie sich nicht aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zwar ist ihr Gesicht immer seltener auf den Kinoleinwänden zu sehen, dafür modelt sie für international bekannte Marken wie beispielsweise Burberry, Chanel und Lancôme. Durch ihr seriöses Auftreten arbeitet sie aktiv an einem Imagewandel und macht sich abseits der Rolle der altklugen Hermine Granger einen Namen.

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Nach einigen Rollen in Film- und Fernsehproduktionen fokussiert sich Emma Watson auf ehrenamtliches Engagement und das Modeln. | Quelle: Rebecca Müller

Rupert Grint offenbarte in einem aktuellen Interview mit Bustle, wie erdrückend seine Rolle des Ron Weasley wirklich war. Auf der Promotour zu seinem neuesten Film Knock at the Cabin sprach er über die Konkurrenz, die er zwischen sich und seinen  Kolleg*innen verspürte. So sollen die Medien seine Karriere mit denen von Radcliffe und Watson nach Abschluss der Dreharbeiten verglichen haben. Wir sind aber alle unterschiedlich und gehen dadurch verschiedene Wege, betonte er.

Schluss mit Zauberern, Werwölfen und Kobolden

So unterschiedlich die Karrierewege des Trios auch sind, eines haben sie gemeinsam: mit Fantasy ist Schluss. Die Schattenseiten des Rollen-Images sind zu gravierend für Radcliffe, Watson und Grint, um sich in diesem Bereich weiterhin zu etablieren. Angetrieben vom Wunsch nach künstlerischer Freiheit und einem unabhängigen Bild in der Öffentlichkeit, wenden sie sich von den Rollen der beliebten Held*innen ab. Die neue Spin-Off-Serie wollen alle drei aber dennoch verfolgen. Dieses Mal sitzen sie allerdings vor dem Bildschirm und lassen andere Schauspieler*innen in die magische Welt des Potter-Universums eintauchen.

Was steckt hinter den Grafiken? 

Wir haben eine Netzwerkanalyse zu den Karrierewegen von den zehn bekanntesten Harry-Potter-Darsteller*innen seit Beginn der Filmreihe erstellt, um herauszufinden, wie viel Einfluss die Blockbuster auf deren Karrieren hatten. Wer arbeitet noch zusammen? Wer hat sich aus der Filmbranche zurückgezogen? 

Dabei haben wir alle Filme, Serien, Theaterstücke, soziale Projekte und Werbekampagnen erfasst und in Verbindung mit Produktionsfirmen, Regisseur*innen und Ländern gesetzt. Den vollständigen Datensatz und den dazugehörigen Forschungsbericht könnt ihr hier finden.