Interview

„Für mich gab es keinen anderen Weg“

17. März 2023
Sajeel (26) kam mit fünf Jahren aus Pakistan nach Deutschland. Jetzt studiert er Luft- und Raumfahrttechnik. Ein Interview über die Probleme und Schwierigkeiten als Student einer Nichtakademiker-Familie und über die Vorteile, die das haben kann.

Sajeel, du machst aktuell deinen Master an der Uni in Stuttgart. Warum studierst du Luft- und Raumfahrttechnik? Willst du Astronaut werden? 

Ursprünglich war das gar nicht geplant. Ich bin da eher reingerutscht. Ich hatte mich zuerst auf ein Medizinstudium beworben, aber dafür haben meine Noten dann doch nicht gereicht. Dann hab' ich mich einfach auf Studiengänge beworben, die sich cool angehört haben. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass ich für einen Ingenieursstudiengang angenommen werde. Meine Mentalität war eher so: Ja, wird schon klappen. Der Weg bis hierher war dann doch ein bisschen schwerer als gedacht. 

Wann war der Punkt, an dem du gesagt hast: Ich will studieren? 

Für mich war es eigentlich immer schon klar, dass ich studieren werde, weil meine Mum uns darauf getrimmt hat. Nach dem Motto: Seid ihr gut in der Schule, werdet ihr auch erfolgreich im Leben sein. Wir haben uns daher immer auf die Schule fokussiert. Für mich gab es keinen anderen Weg außer ein Studium. 

Wie würdest du deine Kindheit beschreiben? Wie bist du aufgewachsen? 

Ziemlich familienorientiert. Meine Eltern sind die erste Generation, die nach Deutschland gekommen ist. Der Druck auf mir war ziemlich hoch, weil sie kein Deutsch konnten und sich hier komplett neu einleben mussten. Zu mir hieß es immer: „Okay, du musst jetzt sehr fleißig sein in der Schule und viel lernen.“ Meine Eltern haben immer versucht, mich auf diesen Weg zu bringen, da war es dann so, dass wir erst drei bis vier Stunden lernen mussten, bevor wir was Spaßiges machen durften. Ich bin aber dankbar dafür, ohne diesen Druck hätte ich wahrscheinlich auch nicht studiert. 

War es dann irgendwann so, dass du dich auch selbst unter Druck gesetzt hast? 

Ich war fünf, als wir nach Deutschland gekommen sind. Ich bin auch hier noch in den Kindergarten gegangen. Weil der Druck von meinen Eltern aus kam, wusste ich: Ich muss gut in der Schule sein, damit ich irgendwas aus meinem Leben machen kann, weil ich sonst keine Zukunft habe. Das hat sich in meinem Kopf festgebissen.  

Beschreibe deinen ersten Tag als Student, was waren deine Gefühle und Gedanken? 

Sehr viel Aufregung. Ich meine, es war eine ganz neue Stadt, ganz neue Menschen, ich kannte hier niemanden. Ich erinnere mich gut an meinen ersten Tag. Es war ein schöner Tag, ich habe ganz viele neue Leute kennengelernt, die Uni erkundet. Es war überwältigend auf jeden Fall und ein Tag, den werd' ich wahrscheinlich nicht so schnell vergessen.  

Wie waren die Reaktionen deiner Familie auf dein Studium? 

Dass ich studiere, war jetzt nichts Besonderes. Aber, dass ich angefangen habe Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren, war schon ungewöhnlich. Damit hab' ich am Anfang auch ein bisschen geprahlt ehrlich gesagt (lacht). In meiner Familie war es mehr oder weniger selbstverständlich. Bei mir war der Druck von Anfang an sehr groß.

Was waren die größten Schwierigkeiten während deines Studiums? 

Am Anfang war es sehr schwierig mit der Wohnung und allem, weil man einfach niemanden hat, der einem helfen kann. Ich musste mich mehr oder weniger selbst durchkämpfen und das war schon ziemlich hart am Anfang. Mit der Zeit hat es sich dann aber eingependelt. Mir fiel es auch schwer, von meiner Familie getrennt zu sein, das war ich vorher noch nie. Auf sich selbst gestellt zu sein und alles selbst zu machen, war nicht einfach. Zusätzlich habe ich teilweise kein Bafög mehr bekommen, da musste ich mich eine Zeit lang komplett selbst finanzieren. Das hat den Stressfaktor schon ziemlich erhöht. 

Fühlst du dich manchmal verloren? 

An manchen Punkten im Studium, ja. Einfach, weil mir bei manchen Dingen niemand helfen konnte. Auch bei Geldproblemen ist das ein Thema. Eben, weil die finanzielle Lage zu Hause nicht unbedingt einfach ist. Da will man dann auch nicht seine Eltern belasten. Aber irgendwie bin ich dann doch durchgekommen. 

Was waren die Vorteile zu studieren, insbesondere den Studiengang Luft- und Raumfahrttechnik? 

Generell ist es ein abgehobener Studiengang. Man kennt es halt nicht so und wenn man es jemandem erzählt, kriegt der erstmal große Augen. Die Hälfte glaubt eh nicht, dass man durchkommt. Die andere Hälfte bewundert einen.  

Du warst zuletzt im Rahmen deines Studiums in Paris und in Barcelona. Hat das dem Ganzen die Krone aufgesetzt? 

Das Bachelorstudium war allgemein ziemlich zäh und trocken. Im Master konnten wir uns dann selbst spezialisieren. Da habe ich mich dann in Projekte involviert, die mir persönlich einen Mehrwert liefern. Die waren dann zwar sehr viel anspruchsvoller als manch andere Fächer, haben mir aber viel mehr gebracht. Diese Projekte waren quasi der Grundstein dafür, dass ich diese Präsentationen in Paris und Barcelona halten konnte. Ich begeistere mich für das Fachgebiet, das ich studiere und investiere dementsprechend auch meine freie Zeit. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man vor Fachleuten aus dem Gebiet sein Konzept präsentieren kann, an dem man monatelang gearbeitet hat und auch auf Fragen und Kommentare eingehen kann. Eine tolle Erfahrung auf jeden Fall. 

Welchen Tipp gibst du Leuten aus Nichtakademiker-Familien kurz vor ihrem Studium? 

Ein Studium erfordert sehr viel Selbstdisziplin. Die Vorlesungen sind nicht verpflichtend. Du kannst hingehen oder du kannst es lassen. Aber man sollte vom Schuldenken wegkommen. Man ist nicht gezwungen, in die Uni zu gehen. Es gibt hier eben keine Pflicht, wie es eine Schulpflicht gibt.