Interview

Der Tod ist Teil seines Lebens

Als Bestatter muss Helmut Ramsaier gemeinsam mit den Angehörigen entscheiden, ob eine Erd- oder Feuerbestattung durchgeführt wird.
29. Juni 2021
Helmut Ramsaier ist von Beruf Bestatter. Seine Arbeit konfrontiert ihn seit über 40 Jahren täglich mit dem Tod und der Trauer. Im Interview erzählt er, was zu seinem Arbeitsalltag gehört und warum er nach dem Feierabend nicht immer sofort abschalten kann.

In unserer Gesellschaft ist der Tod eher ein Thema, das wir meiden. Warum haben Sie sich für den Beruf als Bestatter entschieden?

Für mich ist das Thema normal. Im Prinzip habe ich seit meinem 15. Lebensjahr Aufgaben eines Bestatters übernommen. Ich bin in einem Bestatter-Haushalt aufgewachsen. Mein Großvater hat 1895 eine Schreinerei gegründet, die mein Vater nach seiner Kriegsgefangenschaft als Schreinermeister übernommen hat - immer wurden da Särge gemacht und verkauft. Heute bin ich Bestatter in dritter Generation. Mein Sohn arbeitet heute auch bei uns. Er sagt immer: „Das ist wie in der Mafia - da wird man reingeboren“. (lacht.)


Sie sind aber nicht sofort in den Betrieb Ihrer Familie eingestiegen, sondern haben erst eine andere Ausbildung begonnen.


Mitte der 60er habe ich eine Ausbildung zum Beamten im gehobenen Dienst angefangen. Nach meiner Prüfung hatte ich das Glück, dass ich ins Sozialministerium gekommen bin und nach sieben bis acht Jahren bin ich dann ins elterliche Unternehmen eingestiegen. Nachdem ich den Betrieb übernommen habe, hat der Bestattungsbereich einen immer größeren Anteil ausgemacht. Früher musste der Schreiner die Särge nur herstellen und zum Friedhof transportieren. Das Ganze hat sich dann bis Ende der 60er so hingetümpelt. Erst ab den 70ern war der Bestatter kein Anhängsel vom Handwerk mehr, sondern ein eigenständiger Beruf. Dann habe ich vor 25 Jahren eine Ausbildung als Traueragoge gemacht. Daraus ist dann auch der Wunsch entsprungen, die neuesten Erkenntnisse der Trauerforschung praktisch umzusetzen.


Gab es Situation in Ihrem Beruf, die Sie an Ihre persönlichen Grenzen gebracht haben?


Ja. Besonders zwei Fälle: Wenn es sich um verstorbene Kinder oder um Menschen aus dem eigenen Umfeld handelt. Wenn ich ein Todesfall eines Kinds erleben musste, bin ich heimgegangen und hab meinen Sohn in den Arm genommen. Ich konnte nichts sagen. Ich war einfach dankbar, dass mir dieses Schicksal erspart geblieben ist. Dann habe ich in den Fernseher geschaut und wusste danach nicht, was gesendet wurde. Man lebt dann in einer anderen Welt. Hier ist die Schwierigkeit, dass ich mich auch immer selbst vor aufkommenden Gefühlen schützen muss. Aber mit zunehmendem Alter pfropft sich jeder Fall auf und ich nehme immer mehr Probleme Anderer mit nach Hause. Ich kenne zehn bis 15 Fälle, bei denen Inhaber oder Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens ihren Job von heute auf morgen nicht mehr erledigen konnten, eben aus diesen Gründen. 


Haben Sie für solche Extremsituationen einen persönlichen Ausgleich gefunden?


Der tibetanische Lamaismus hat mich gelehrt, mit solchen Problemen umzugehen und mich immer wieder gelupft. Also mir Kraft gegeben, wenn es mir nicht gut ging. 

Ramsaiers Kunden können zwischen verschiedenen Sargformen wählen, darunter auch die "Stuttgarter Form" (links im Bild).
Auf Wunsch können die Verstorbenen auch in Form von Schmuck verewigt werden.

Welche Rolle spielt neben den handwerklichen Fähigkeiten die Beratung?


Wenn mich jemand fragt, mit welcher Arbeit ich mein Geld verdiene, dann sage ich mit Psychologie. Zu unseren Aufgaben gehören zum einen rechtliche Aspekte wie das Erfüllen der Bestattungspflicht und die rechtliche Feststellung des Todes. Rechtlich tot ist ein Verstorbener dann, wenn der zuständige Standesbeamte die Sterbeurkunde ausgestellt hat. Dann müssen wir gemeinsam mit den Angehörigen entscheiden, welche Bestattungsart durchgeführt wird und wie die Angehörigen den Tod bekanntgeben wollen. Zusätzlich müssen wir aber auch die Interessen derer vertreten, die durch den Verlust betroffen sind, bei uns jedoch nicht am Tisch sitzen. Wir fragen immer, ob von diesem Verlust Kinder im Alter zwischen fünf und dreizehn Jahren betroffen sind. Denn heute weiß man von der Trauerforschung, dass Verlusterlebnisse innerhalb dieses Alters viel lebenseinschneidender sind als es in der Gesellschaft zugelassen ist. 


Seit 2003 gilt der Beruf "Bestattungsfachkraft" als ein einheitlich geregelter Ausbildungsberuf. Werden Auszubildende für solche Fälle psychologisch geschult?


Wenig. In erster Linie wird handwerkliches Wissen vermittelt. Dann Rechtsgrundlagen und ein bisschen Trauerpsychologie. Aber das ist insgesamt zu wenig. Denn zukünftig wird von einem Bestatter neben den rechtlichen Voraussetzungen zusehends die Lebensberatung gefordert. Diese Beratung ist umso schwieriger, da sich die trauernde Person auf der anderen Seite in einer Ausnahmesituation befindet. Nach der Medizin kann der Mensch maximal 100 Prozent Stress aushalten. Stirbt ein Partner, beträgt der Stressfaktor 150 bis 170 Prozent. Stirbt ein Kind, liegt er bei 200 bis 250 Prozent. Das ist ein körperlicher Zustand, den man so bisher nicht erlebt hat. Man kann seine Gedanken nicht strukturieren, es fehlen einem die Worte, es kommen Tränen. Das macht es für den Bestatter doppelt schwierig: Unter Zeitdruck müssen verschiedene Dinge abgearbeitet werden, während der Geschäftspartner auf der anderen Seite gar nicht geschäftsfähig ist.  


Als Bestatter verdienen Sie Ihr Geld mit dem Tod. Machen Sie demnach nicht auch Profit aus dem Leid Anderer?


Der evangelische Pfarrer und Stuttgarter Prälat Martin Klumpp sagte einmal: „Es ist nicht unredlich, mit dem Tod Geld zu verdienen. Es muss nur redlich, also im Rahmen, sein“. Ich muss meine Mitarbeiter auch anständig bezahlen und investieren können. Die Tatsache, dass wir als Bestatter mit nicht geschäftsfähigen Menschen zu tun haben, bietet aber auch Möglichkeiten für Betrug. Und hier hat ein bestimmtes Klientel der Branche hauptsächlich den eigenen Geldbeutel im Auge. Meiner Meinung nach bewegen sich deshalb 15 bis 25 Prozent der Bestatter am Rande der Legalität. Deshalb sind die Bestatter nach wie vor in der Schmuddel-Ecke.


Während der Pandemie galten auch für Sterbeinstitutionen bestimmte Hygiene-Maßnahmen. Beispielsweise mussten Verstorbene in sogenannte Bodybags, also Unfallhüllen, eingepackt werden. Wie wirken sich solche Einschränkungen auf die Trauer aus? 


Für die Trauer sind solche Regelungen ganz brutal. Wobei das Ganze meiner Meinung nach schizophren ist. Selbst das RKI hat letztes Jahr gesagt, dass eine Aufbahrung von einem an Corona verstorbenen Menschen möglich ist, wenn die normalen Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Aber die Vorschriften haben das nicht zugelassen. Und die Schuldgefühle, die nach dem Tod entstehen, können vor dem eingehüllten Verstorbenen nicht mehr aufgearbeitet werden. Und das bereitet den Angehörigen zukünftig ganz große Probleme. Denn wenn ich sehe, dass der Verstorbene friedlich aussieht, dann schwindet auch die Angst vor dem eigenen Tod. 


Haben Sie Angst vor dem eigenen Tod?


Wer sagt, er hätte keine Angst, lügt. Ich persönlich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe Angst vor dem Sterben.


Sollte sich beim gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod und der Trauer etwas ändern?


Die Kirchen müssen ihre Stimme mehr für die erheben, die in Verlustsituationen keine Stimme haben. Nur weiß der normale Mensch in der Bevölkerung gar nicht mehr, wofür die Kirchen eigentlich stehen. Die Kirchen haben es nicht geschnallt, dass sie marketingmäßig das verkaufen müssen, wo sie in der Bevölkerung Gutes tun: Kindergarten, Altenheime, Diakoniestationen oder auch Trauerkreise. 


Gibt es in Ihrem Beruf auch etwas zu lachen?


Wir Bestatter lachen viel. Das ist in unserem Beruf auch nötig.


Helmut Ramsaier zeigt mir eine Comic-Zeichnung, die zwei ältere Männer und eine Frau zeigt. Überschrift: „Bestatter privat“. Mann A: „Das ist meine neue Freundin“. Mann B: „Wo hast du die denn ausgegraben?“.