Obdachlosenhilfe 7 Minuten

Eine Oase in der Hitzewelle

Der Eingang der Hilfsorganisation EVA in Stuttgart
Bei immer stärkeren Hitzewellen, brauchen viele Menschen Hilfe, besonders Obdachlose. Die EVA Stuttgart biete Obdachlosen Schutz und Wasser. | Quelle: Lukas Kilper
11. Dez. 2023

Bei heißen Temperaturen fühlen sich Obdachlose in der Betonwüste der Stadt gefangen. Sie leiden unter der Sonne, der Hitze, viele dehydrieren. Die evangelische Gesellschaft Stuttgart kümmert sich um diese Menschen. Über drei Frauen mit einem Ziel.

Die Verpackung wird geöffnet. Eine Schicht Butter wird auf die fluffigen Brotscheiben geschmiert. Darauf eine Scheibe Käse und eine Scheibe Wurst, gespickt mit Gemüse. Andere Brothälfte drauf und ab in die Tüte. Wenige Meter weiter klappert Geschirr, eine Spülmaschine läuft. Durch die Türen treten Menschen ein. Es ist ein Kommen und Gehen. Die einen wollen nur einen Kaffee, andere kommen zum Duschen oder Wäsche waschen. Mittendrin drei Frauen, die sich an diesem Tag um alles kümmern, was ihre Gäste benötigen. Die Gäste sind Menschen die Hilfe suchen. Die Frauen sind Birgit Auer, Irmgard Gentner und Wilma Öchsele. Sie arbeiten für die evangelische Gesellschaft Stuttgart, kurz EVA und bieten den Hilfesuchenden Schutz und Möglichkeit auf Hilfe.

Birgit Auer ist Bereichsleiterin der Stadtmission. Sie sitzt in ihrem Büro. An der Wand hängen verschiedene Flyer. Die Pinnwand ist voll mit Zeitungsartikeln und Einsatzplänen. Gegenüber an der Wand steht Einbauschrank neben Einbauschrank. Auf denen stapeln sich Kisten. Es sind Kisten mit Fundsachen. Durch das Fenster fallen die Sonnenstrahlen in ihr Büro und lassen erahnen, wie heiß es draußen ist. „Bei der Hitze achten wir sehr darauf, dass wir den Menschen genügend Wasser zu Verfügung stellen“, erzählt Auer. Gleichzeitig merkt sie an, dass deutlich weniger Menschen bei der Hitze kommen als sonst. „Da hatten wir schon rund 20 Personen weniger beim Essen“, sagt Auer. Ein Grund: viele ältere Personen wollen ihre Wohnung nicht verlassen. „Die Obdachlosen kamen hauptsächlich zum Duschen zu uns“, erzählt sie. Zusätzlich verteilte die EVA auch Käppis, Sonnenschutz und Trinkflaschen zum Auffüllen. „Vor 40 Jahren haben wir die Wärmestube gegründet, da war EVA einer der ersten. Die meisten Leute die…“, Birgit Auer muss stoppen. Es klopft an der Tür. Ein Mann steht im Türrahmen. Er möchte eine Decke und Schlafsack. „Ja um 14 Uhr“, sagt Auer. „Ok danke, ich warten.“ Der Mann kann nur gebrochenes Deutsch, er kommt aus Ungarn. Er schließt die Tür wieder. Für jeden gelten hier die gleichen Regeln. Birgit Auer lässt sich nicht beirren und redet weiter. „Die meisten Leute, die zu uns kommen, sind ältere Personen mit prekären Wohnsituationen, das heißt zugemüllte oder sehr kleine Wohnungen und Obdachlose“, beendet Auer den Satz. Kurz vor 14 Uhr verlässt sie ihr Büro. Birgit Auer geht zur Tür nebenan. Hinter der Tür kontrolliert sie das Bad. Dort finden Bedürftige eine Toilette und Dusche.Es sieht alles gut aus für die Gäste, die hier ab 14 Uhr duschen können. Danach geht sie zur Kleiderkammer. Hier lagern gespendete Kleider. Nach Größen geordnet liegen die Kleider auf den Regalen. Hier holen sie nur nach Bedarf etwas raus. Birgit Auer geht in den Aufenthaltsraum. Es ist gleich 14 Uhr.

Die Sommer werden immer heißer

Der Sommer 2022 war der heißeste Sommer, der je in Europa erfasst wurde. Der Sommer 2023 ist auf guten Weg einen ähnlichen Namen zu bekommen. Anfang Juli wurde bereits die heißeste Woche weltweit gemessen. Im Mittelmeerraum zerstören Waldbrände ganze Regionen, in Deutschland nimmt die Dürre-Situation auf den Feldern immer größere Ausmaße an. Extremwettersituationen sind keine Seltenheit mehr. Seit Jahren werden die Sommer immer wärmer. Das trifft die Menschen, besonders die Bedürftigen, denn diese müssen sich an ganz neue Umstände gewöhnen. Im vergangenen Jahr beklagte man europaweit über 60.000 Todesfälle, die im Zusammenhang mit den hohen Temperaturen stehen. Zahlen die jedes Jahr steigen könnten.

Statistik zum Thema Hitebedingte Tote in Deutschland
Die Zahl der hitzebedingten Todesfällen schwankt aufgrund unterschiedlich starker Hitzewellen

„Die Obdachlosen, die während der Hitzewelle zu uns kamen, haben Schutz vor der Sonne gesucht“, sagt Auer. Mittlerweile steht sie im Aufenthaltsraum hinter der Theke und kümmert sich um die Gäste der Wärmestube. Hier bei EVA nenne sie die Wärmestube auch im Sommer Wärmestube, der Begriff sei bekannt. „Die Grundversorgung ist bei uns immer die gleiche. Da ist die Hilfe bei Hitze nicht anders. Wir geben immer Schlafsäcke aus, es gibt immer Essen und Getränke“, erklärt Auer. Doch wachsamer sind sie in den Hitzewellen aufjedenfall. „In der Zeit, in der es heiß ist, sind wir sensibel, schauen wie es den Leuten geht“, sagt sie. Über die Situation der Obdachlosen sagt Auer: „Die fügen sich halt in ihr Schicksal ein, bei denen ist es noch nicht im Bewusstsein drinnen, auch bei Hitze Forderungen zu stellen.“

„Die fügen sich halt in ihr Schicksal ein, bei denen ist es noch nicht im Bewusstsein drinnen, auch bei Hitze Forderungen zu stellen“

Birgit Auer, EVA Stuttgart

Im Stadtleben sind die Obdachlosen in einem Teufelskreis gefangen. Nachts gebe es sehr wenige öffentliche Toiletten, daher trinken die Obdachlosen wenig, um eben nicht aufs Klo zu müssen, erklärt Auer. Hier müsse die Stadt deutlich nachbessern.

Das Klima und die Stadt

Mit dem Klima in der Stadt befasst sich Jürgen Baumüller, Professor für Klimatologie an der Universität Stuttgart. In den 1970er Jahren arbeitete er als Stadtklimatologe der Stadt Stuttgart, danach ging er in die Forschung. Die heißeren Sommer, würden die Menschen vor Herausforderungen stellen, meint er. „Sie können keine Stadt kühlen, was auch immer sie tun.“. Die Lufttemperatur innerhalb der Stadt lasse sich nur schwer beeinflussen. Das Einzige, was man beeinflussen könne, sei die gefühlte Temperatur und die Strahlung, vor der man sich schützen könne. Natürliche Abhilfen schaffen laut Baumüller große Grünanlagen oder sogar Wälder. „Da kann ich sogar die Lufttemperatur um fünf bis sieben Grad reduzieren. Das müssen aber dichte Wälder sein“, sagt Baumüller.

Wichtig für den Mensch ist es, dass er an heißen Tagen sogenannte Kühloasen findet, wo es Schatten gibt und dadurch die gefühlte Temperatur angenehmer wird. Das könnte auch Menschen helfen, die ihr Leben auf der Straße verbringen müssen. Sie haben keine Möglichkeit sich in einer gekühlten Wohnung zurückzuziehen. Generell ist Information über das Thema wichtig. Immer heißere Sommer werden Teil des Lebens bleiben. Die Menschen müssen lernen sich anzupassen. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir häufiger mit dieser Hitze zu tun haben. Egal, was wir auch tun. Auch selbst wenn wir heute nichts mehr emittieren würden, würde die Temperatur weiter ansteigen“, sagt Jürgen Baumüller.

„Wir müssen davon ausgehen, dass wir häufiger mit dieser Hitze zu tun haben. Egal, was wir auch tun. Auch selbst wenn wir heute nichts mehr emittieren würden, würde die Temperatur weiter ansteigen.“

Prof. Dr. Jürgen Baumüller

Das Problem ist, dass das ausgestoßene C02 sich bereits in den Ozeanen und Bäumen der Erde gesammelt hat und erst nach und nach freigelassen wird und damit auch weiter die Temperaturen steigen. „Alles, was so vorhergesagt wurde, ist eigentlich schon jetzt sichtbar“, schlussfolgert Baumüller.

Jeder der kann, hilft

In der Küche, der Wärmestube, steht Irmgard Gentner, eine weitere ehrenamtliche Helferin. Ihr Spezialgebiet: die Vesperbrötchen. Ab 17 Uhr können sich die Bedürftigen, diese in der Wärmestube abholen. „Ich mach jetzt einfach mal so um die 20 Stück, man weiß vorher nie, wie groß der Bedarf ist“, sagt sie. Die Küche ist eine typische Industrieküche, überall Metall und große Kochutensilien. Da geht die Rentnerin mit ihrem Schneidebrett und Küchenmesser schon fast unter. „Ich komme eigentlich immer nur einmal pro Woche, letzte Woche war ich aber dreimal da, so wie man es eben braucht“, lacht Gentner. Seit 55 Jahren ist sie im Ehrenamt aktiv, war lange Zeit beim Deutschen Roten Kreuz. „Es war toll und deshalb habe ich weitergemacht, ich brauch das einfach“, sagt sie. In jede Vespertüte kommen zwei Brote, eines belegt mit Käse und Paprika, das andere mit Wurst und Gurken. Irmgards Geheimtrick: Auf beide Seiten Butter. “Ansonsten ist es etwas zu trocken.“, schmunzelt sie. Rund zwei Stunden steht sie in der Küche, bis alle Brote fertig sind. Doch sie macht es gerne, sie mag es etwas zu tun zu haben und nicht einfach so zu Hause herumzusitzen. „Ich bin gerne unter Menschen“, sagt Irmgard.

Hohe Gesundheitsrisiken für ältere Personen

Sich um Menschen zu kümmern, ist auch der Plan von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der erst vor einigen Wochen einen Hitzeschutzplan vorstellte. Das Hauptziel ist es die Hitzetode, um die Hälfte zu reduzieren, geschehen soll das durch bessere Information. Die Krankenhäuser merken schon jetzt einen Anstieg an Patienten. Prof. Dr. Tobias Schilling ist ärztlicher Direktor der Notaufnahme im Klinikum Stuttgart. „In einer Hitzewelle haben wir zwischen zehn und fünfzehn Patienten mehr pro Tag, das sind überproportional ältere Personen“, sagt Schilling.

 

„In einer Hitzewelle haben wir zwischen 10 und 15 Patienten mehr pro Tag, das sind überproportional ältere Personen“

Dr. Tobias Schilling, ärztlicher Direktor der Notaufnahme im Klinikum Stuttgart

Ältere Menschen haben ein anderes Durstempfinden und verspüren damit weniger das Verlangen etwas zu trinken. Deshalb ist die Gefahr für Dehydration und Überhitzung des Körpers um ein Vielfaches höher. „Die häufigsten Beschwerden sind: Hitzesynkopen, das ist eine kurze Bewusstlosigkeit, Muskelkrämpfe, Hitzeausschlag an der Haut, Schwäche, Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel“ sagt Schilling. Bei zu hoher Körpertemperatur wird es gefährlich für den Körper. „Ab 42 Grad beginnt das Organversagen“, sagt Schilling. Die meisten Fälle können durch eine Flüssigkeits- und Elektrolyte Zugabe behandelt werden, besonders starke Hitzschläge werden auf die Intensivstation verlegt. Während andauernden Hitzeperioden ist es zudem wichtig, die übrigen Patient*innen und die Mitarbeiter*innen zu schützen. „Mitarbeitende sind angehalten, selbst ausreichend zu trinken sowie bei Patienten auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr zu achten“, sagt Schilling.

Das gelebte Wohnzimmer

Die Gäste wissen genau, wann die Wärmestube öffnet. Etwas vor 14 Uhr zu bekommen, wird trotzdem probiert. „Kann ich schon mal eine Birne haben“, fragt ein älterer Mann. Wilma Öchsele antwortet: „Naja, es ist vier vor zwei, von mir aus können sie schon etwas haben.“ Seit sieben Jahren ist sie im Team dabei. Über ihre Theke geht Wasser, Tee, Obst, kleine Snacks, aber der Kassenschlager ist der Kaffee. Es ist wenig los heute im Aufenthaltsraum der Wärmestube. Zwei Männer sitzen im Eck an einem Tisch, eine Gruppe gegenüber der Theke. Nicht nur wegen eines Getränks kommen die Menschen hierher. Beliebt sind vor allem die Duschen. Eine Liste liegt aus, in der man sich eintragen kann. Die Plätze sind beliebt. „16:30 Uhr ist als einziges noch frei“, antwortet Öchsele, als ein junger Mann danach fragt. Probleme mit unhöflichen Menschen haben sie selten, die meisten seien sehr dankbar. Aber Ausnahmen gäbe es auf jeden Fall. „Wer sich nicht benimmt, wird auch rausgeschmissen“, ergänzt Öchsele. Viele sind froh, hier Hilfe und Gemeinschaft zu finden. Wilma Öchsele gibt den nächsten Kaffee aus. Der Mann bedankt sich: „Danke ´köszönöm´, heißt das bei uns. Original-Ungar bin ich.“ Lachend setzt sich der Mann an einen Tisch. „Die Wärmestube ist denen ihr gelebtes Wohnzimmer, da treffe ich Freunde und Bekannte und das ist das, was auch guttut“, sagt die Leiterin Birgit Auer. Die Wärmestube ist für die Obdachlosen eine wichtige Anlaufstelle im Umkreis, viele kommen regelmäßig, um die Hilfe, die von der EVA angeboten wird anzunehmen. Eine wichtige Hilfe für Bedürftige, besonders bei den immer heißeren Sommern. Fast schon eine kleine Oase inmitten der Betonwüste Stuttgarts.