Gefängniskonzerte

Warum auch Inhaftierte ein Recht auf Kultur haben

Diana beim Konzert im Kulturladen Konstanz.
16. Mai 2023
Besuche im Gefängnis sind für Diana Ezerex keine Seltenheit. Bereits über 30-mal hat die Singer-Songwriterin Konzerte in Haftanstalten gespielt. Im Gespräch verrät sie, warum sie für Inhaftierte auftritt, wie sie kritischen Stimmen begegnet und wie es mit ihrer Musik weitergeht.

Wer Diana Ezerex bei einem Konzert erlebt, erkennt schnell, dass sie für die Bühne gemacht ist: Sie ist kompromisslos sie selbst – von Tanzeinlagen zu ihren Popsongs bis hin zu der Verletzlichkeit, mit der sie Hintergrundgeschichten ihrer Balladen erzählt. Ihr Konzert im Kulturladen in Konstanz ist ein Erfolg. Der Saal ist gefüllt, Licht- und Tontechnik sind von höchster Qualität und Diana spielt mit voll besetzter Band. Sie singt nicht nur, sondern greift auch selbst zur Gitarre, spielt Keyboard und Synthesizer. Das Publikum ist begeistert und applaudiert ausgelassen. Aber nicht alle von Dianas Auftritten sehen so aus. Fünf Tage später wird die Künstlerin ihr nächstes Konzert spielen, dann hinter Gittern in der Justizvollzugsanstalt in Ludwigshafen und nur mit einer Gitarre im Gepäck.

Diana vor der Justizvollzugsanstalt Asten

Von der Gemeindebühne zu Gefängniskonzerten

Musik ist schon immer Teil von Dianas Alltag: „Bei uns lief immer Musik zu Hause, sehr zum Leidwesen meiner Mutter“, erzählt die 28-Jährige lachend. „Mein Dad hat immer Musik laufen gehabt und irgendwann habe ich das übernommen.“ Blockflöte und Saxophon lernt Diana in ihrer Kindheit im Musikunterricht. Mit neun schreibt sie ihr erstes Lied. Später bringt sie sich dann Klavier und Gitarre bei, um in der Gemeinde Lieder begleiten zu können. Mit dem Alter wächst Dianas Liebe zur Musik und zum Texten, auch wenn sie ihre eigenen Lieder erst mal mit niemandem außer ein paar Freunden teilt. Groß sind die Selbstzweifel: „Ich habe mich nie gut genug gefühlt, Musikerin zu werden – ich hatte immer Angst, dass es nicht reicht.“ Aber Diana traut sich. Mit 18 spielt sie ihr erstes Solo-Konzert, schon drei Jahre später geht sie auf Tour. 2017 spielt Diana dann das erste Mal in einem Gefängnis vor Inhaftierten. Entstanden ist die Idee aus Begegnungen während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres in der offenen Jugendarbeit. Dort tauscht sie sich zum ersten Mal mit jungen Menschen aus, die bereits in Haft waren. „Das war dann im Mai 2017, das erste Konzert. Und dann habe ich gedacht, ich will das öfter machen, habe ganz viele Anstalten angeschrieben. Dann wurde die Liste immer länger.“ Auch heute beschäftigen Diana noch manchmal ihre früheren Selbstzweifel in Bezug auf ihre Musik. Aber durch ihre gesammelten Erfahrungen auf der Bühne und die Zusammenarbeit mit ihrer Band seien diese viel kleiner geworden. Heute ist Diana hauptberuflich Musikerin, dabei schreibt sie all ihre Songs selbst – Musik und Text. Was sich nicht verändert hat: die Konzerte in Haftanstalten. Noch immer geht Diana regelmäßig auf Tour in Gefängnissen und spielt für Inhaftierte.

„Ich habe mich nie gut genug gefühlt, Musikerin zu werden. Ich hatte immer Angst, dass es nicht reicht.“

Diana Ezerex

Von Tränen über ausgelassene Stimmung bis hin zu neutralen Reaktionen – Diana erlebt vieles, wenn sie hinter Gittern spielt. Manche Inhaftierte sind gepackt, singen mit, suchen sogar im Anschluss das Gespräch. Ein Highlight seien Nachrichten, die Diana teilweise erst Monate oder Jahre später erreichen, wenn ehemalige Inhaftierte ihr nach ihrer Freilassung schreiben, sich für die Konzerte bedanken. Besonders eindrücklich war für die Singer-Songwriterin ein Konzert in einer Frauenanstalt in Schwäbisch Gmünd: „Das war ein sehr tränenreiches Konzert. Da ist so viel Emotion im Raum und so viele Tränen. Ich habe geweint. Meine Mutter war dabei, die hat geweint. Die Inhaftierten haben geweint.“ Aber es gäbe auch schwierige Konzerte, bei denen die Inhaftierten abgelenkt seien, nicht wirklich zuhören würden. Das könne herausfordernd sein. Trotzdem möchte Diana nicht mit den Gefängniskonzerten aufhören. Zu wichtig ist ihr der Auftrag, den sie in ihren Auftritten hinter Gittern sieht: „Ich glaube daran, dass Kunst und Kultur die Menschen und das, was sie in sich tragen, die Anliegen und den Blick für andere Menschen verändern können, egal in welchem Setting.“ Es geht ihr darum, Menschen im Blick zu haben, die von der Gesellschaft oft vergessen oder nur stigmatisiert betrachtet werden. Das ist auch Dianas Antwort auf kritische Stimmen, die ihre Gefängniskonzerte hinterfragen. Schließlich seien die Inhaftierten nicht ohne Grund in Haft. Diana entschuldigt keine der Taten, wegen denen die Menschen im Gefängnis sind. „Es geht vielmehr darum, dass sie genauso die Chance haben, bei so einem Konzert irgendwie etwas mitzunehmen, was Leben verändern kann.“

Auch für Nicole Sonnenbaum, Diplom-Pädagogin in der Justizvollzugsanstalt Herford, ist die Kritik an Kulturangeboten in Gefängnissen oft zu einseitig. Denn die meisten Inhaftierten würden in ihrem Leben irgendwann wieder entlassen werden. „Was möchten wir? Möchten wir Leute einsperren, nichts mit ihnen tun und sie dann irgendwann rauslassen als tickende Zeitbombe?“ Kontakt zu Kultur sowie die Entwicklung von Interessen und Hobbys seien ein wichtiger Teil der Resozialisierung und können Menschen helfen, nicht wieder straffällig zu werden. 

Ihre Erfahrungen mit Gefängniskonzerten verarbeitet Diana in ihrem Debütalbum „My Past‘s Gravity“. Die Lieder dieses Albums handeln von gesellschaftlichen Phänomenen und Problemen, die oft zu Straffälligkeit beitragen. Auch auf dem Konzert in Konstanz spielt Diana Lieder dieses Albums, spricht mit dem Publikum über Erlebtes und regt zum Nachdenken an: Themen wie Schuld, Vergebung und Stigmatisierung von inhaftierten Menschen werden aufgegriffen. Für viele Menschen sind Diskurse zum Thema Gefängnis weit entfernt von ihrer Lebensrealität. Diana möchte hier Aufklärung schaffen.

Viel Gefühl – neben ihren Popsongs performt Diana auch einige Balladen.
Für ihr neues Lied „Gaslight“ greift Diana selbst zur Gitarre.
In Konstanz performt Diana an Keyboard und Synthesizer.
Voll ausgeleuchtet: Auch das Licht sorgt für die richtige Stimmung.
Diana mit ihrer Band: David Hentzschel (Gitarre), Thorsten Rheinschmidt (Schlagzeug) und Patrick Gruber (Bass) (v.l.n.r.)

Neue Themen, gleiche Vision – so geht es für Diana weiter

Auch in Zukunft möchte Diana Musik machen, die aufklärt und tiefer geht. Die Lieder ihres neuen Projekts „Identity“ handeln von Themen wie Identität und Zugehörigkeit. Im Gegensatz zu ihrem ersten Album erzählt Diana jetzt Kapitel aus ihrer eigenen Geschichte. Dazu gehören unter anderem Themen wie Rassismus und Sexismus. Lange seien ihr diese Themen zu persönlich gewesen, um so offen über ihre Erfahrungen als schwarze Frau zu sprechen. Nun verarbeitet sie diese Erlebnisse mit ihrer Musik. Deshalb ist ihr neues Album für sie deutlich verletzlicher: „Es hat eine ganz andere Tiefe, einen ganz anderen Schmerz.“ Ihre neuen Lieder wird Diana auch mit auf zukünftige Gefängniskonzerte nehmen. Dort kann ihre Geschichte Aufklärung schaffen, vielleicht wird sie hier sogar ganz besonders gebraucht. 

Egal ob hinter Gittern oder im Kulturladen in Konstanz: Diana entlässt ihr Publikum nicht nur mit einem gelungenen Konzert, sondern vor allem mit vielen neuen Gedankenanstößen zum Nach- und Umdenken. Das ist auch bei den Menschen spürbar, die nach dem Konzert noch im Kulturladen zusammenstehen und in der entspannten Atmosphäre über das Gehörte sprechen. Damit hat Diana ihr Ziel erreicht: „Mit Musik den Blick auf die Menschen verändern.“

Die Redakteurin kannte die Protagonistin vor der Entstehung des Artikels.
Kachelbild: Viola Patzig.