Wahlberechtigung

Deutsche Demokratie – Aber nur mit deutschem Pass

20. Mai 2021
Sich deutsch zu fühlen, bedeutet nicht automatisch deutsch zu sein. Zumindest nicht, wenn es um unser Wahlrecht geht. Stell dir vor, du bist hier geboren, aber weil du keinen deutschen Pass hast, darfst du dieses Jahr bei den Bundestagswahlen nicht wählen.

Amelas Eltern kommen aus Nordmazedonien. Sie selbst ist hier geboren. In Deutschland überträgt sich die Staatsangehörigkeit der Eltern automatisch auf das Kind. Somit ist der Geburtsort für das Wahlrecht irrelevant. Um wählen zu dürfen, hat Amela den Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft gestellt, der bestätigt wurde. Wenn alles gut läuft, kann sie im September an den Bundestagswahlen teilnehmen. „Ich möchte mitentscheiden können. Das wird mir genommen, nur weil ich keinen deutschen Pass habe. Dabei bin ich doch hier geboren. Dass ich meinen Herkunftspass aufgeben muss, um in Deutschland wählen zu dürfen, finde ich schade“, sagt Amela dazu.

Amela ist bikulturell aufgewachsen. Für sie sind die beiden Kulturen, in die sie hineingeboren wurde, jedoch keine Widersprüche. Im Gegenteil: sie ergänzen sich.

Neuseeland vergibt das Wahlrecht an Menschen, die erst zwei Jahre im Land leben und einen unbefristeten Aufenthaltstitel haben. Daneben gehen wir mit der Verteilung des Wahlrechts um, als würden wir einen Nachteil erfahren, wenn wir es ausweiten. Dabei ist doch das Gegenteil der Fall. Dürften Menschen wählen, die ohnehin vermehrt von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, könnten sie mit ihrer Stimme und Partizipation dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft aktiv entgegenwirken. 

Talip bezeichnet sich selbst als Türke. Auf Nachfrage, ob er sich nicht auch als Deutscher sehe, entgegnet er mit: „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre kein Deutscher. Ich bin in diesem Land geboren. Bei mir ist das eben durchmischt. Wenn mich jemand fragt, würde ich aber sagen, ich bin Türke. Denn zum Teil wird man hier auch so behandelt.“ Im Alltag sei er immer wieder mit Rassismus konfrontiert, erzählt er mir. Um wählen zu dürfen, müsste Talip seinen türkischen Pass aufgeben. Das kommt für ihn jedoch nicht infrage. Er hat für ihn einen emotionalen Wert, der in gewisser Weise auch identitätsstiftend ist. 

Repräsentation in Politik und Kultur ist wichtig für das Gefühl von Zugehörigkeit in einer Gesellschaft. Wird Minderheiten das Recht verwehrt Politiker*innen oder Parteien zu wählen, die sie repräsentieren, schlägt hier der Versuch von Integration fehl. Es war eine Frau, die sich bei der Verfassung des Grundgesetzes für den Artikel einsetzte, dass Frauen und Männer gleichberechtigt seien. Wäre die Gruppe der Verfassungsgebenden eine reine Männergruppe gewesen, hätte die gesetzliche Gleichberechtigung erst viel später stattgefunden.

„Ich möchte mitentscheiden können. Das wird mir genommen, nur weil ich keinen deutschen Pass habe. Dabei bin ich doch hier geboren.“ 

Amela, 20 Jahre, Deutsch-Nordmazedonierin

In Deutschland leben aktuell knapp über zehn Millionen Menschen ohne deutschen Pass. Ein Großteil von ihnen ist nicht erst 2015 mit der „Flüchtlingskrise“ nach Deutschland gekommen. Viele leben hier bereits seit Jahrzehnten. Sie arbeiten, zahlen Steuern, sind in Vereinen aktiv, haben hier Familien gegründet und Kinder großgezogen. Sie sind Teil unserer Gesellschaft und als solche sind sie von den politischen Entscheidungen genauso betroffen wie Menschen mit deutschem Pass.

Demokratie bedeutet „die Macht dem Volke“. Wir leben aktuell in einer Demokratie, in der ein Teil „des Volkes“ ausgeklammert wird. Nicht dem ganzen Volk wird „die Macht“ zugesprochen, sondern nur denen, die mit ihrer Geburt dazu berechtigt sind. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, in dem das Wahlrecht noch vom gesellschaftlichen Status abhängig gemacht wurde. Oder im 20. Jahrhundert, in dem das Geschlecht über die Wahlberechtigung entschied. Die Ansicht, man könne nur dem Land „treu sein“ aus dem man vermeintlich stammt, ist antiquiert. Wir leben in einer globalisierten Welt, die stetig im Wandel ist. Gesellschaften sind bunt durchmischt, reich an Vielfalt. Und genau wie Gesellschaften sind auch Individuen fluide, nicht statisch. Es ist notwendig, dass wir unser Wahlsystem, welches zeitgleich ein System der Mitbestimmung ist, an diese neuen Formen von Gesellschaft anpassen.

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| Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, Bild: Karolina Justus