„Jemand, der schon mal einen verwesenden Menschen gerochen hat, der erinnert sich an diesen Geruch“
Der Zementmord – ein Fall aus dem Stuttgarter Polizeimuseum
Dieser Artikel behandelt einen realen Mordfall aus Stuttgart. Die Schilderungen enthalten Gewalt, Tötung und den Umgang mit einem Leichnam. Für einige Leser*innen kann dies belastend sein.
Im Stuttgarter Polizeimuseum steht ein großer, grauer Betonklotz. Es ist still im Raum, während die Menschen nachdenklich die Tafel darüber lesen. Sie erinnert Besuchende an einen der schrecklichsten Mordfälle aus der Region:
Als der damals 18-Jährige Deniz E. im Jahr 2007 auf Samira* trifft, ist er bereits polizeibekannt. Doch Samira, die als lustig und etwas überdreht beschrieben wird, scheint das nicht zu stören. Die beiden werden schnell ein Paar. Was zunächst harmonisch wirkt, kippt später in Eifersucht und Kontrolle: Samira muss alle männlichen Kontakte aus ihrem Handy löschen, später kauft Deniz ihr eine neue SIM-Karte, damit nur er ihre Nummer kennt. Schließlich kommt es zu dem Tag, an dem Deniz sie zwingt, eine Liste zu schreiben. Darauf stehen Namen von Männern, mit denen sie vor der Beziehung sexuellen Kontakt gehabt haben soll. Yvan S. steht auf Platz drei. Ein junger, beliebter Handballspieler, welcher als hilfsbereit und zuvorkommend beschrieben wird. Später stellt sich heraus, dass er und Samira sich nur vom Sehen kannten. Warum sie seinen Namen aufschrieb, bleibt bis heute ungeklärt.
Die Tat und ihre Konsequenzen
Dass Samira ihn auf die Liste schrieb, kostete den 19-Jährigen das Leben. Am Abend des 21. August 2007 lockt Samira Yvan S. unter einem Vorwand auf eine Wiese. Dort warten Deniz E. und ein Mittäter. Die zwei jungen Männer greifen den Unschuldigen aus dem Hinterhalt an. Zunächst schlagen sie ihn mit einem Baseballschläger nieder, anschließend treten sie ihn zu Tode.
Als die Frage der Leichenbeseitigung aufkommt, erinnern sich die Jugendlichen an italienische Mafiafilme. Dort würden die Toten oft zerteilt, einbetoniert und anschließend im Wasser versenkt, berichtet Thomas Ulmer, damaliges Mitglied der Sonderkommission. Damit ist der Plan beschlossen. Die Leiche bringen die Täter von einer Lagerhalle in Bad Cannstatt, in welcher sie den Körper zerteilen, in eine Wohnung im Stuttgarter Osten. Anschließend betonieren sie die abgetrennten Extremitäten in große Blumenkübel ein und versenken diese im Neckar. Die Mülltonne, in der sie den Torso einbetoniert haben, ist jedoch zu schwer, um sie aus der Wohnung zu schaffen. Die Jugendlichen sind gezwungen, den Torso wieder aus dem Beton herauszuschneiden. Für einige Zeit verstecken sie ihn in der Wohnung, bevor sie ihn in einem Waldstück zwischen Marbach und Backnang unter Ästen verscharren.
Doch genau der Zeitraum, in dem der Torso in der Wohnung verbleibt, stößt letztlich die Ermittlungen an. Anwohnende des Hauses alarmieren die Stuttgarter Kriminalpolizei wegen des starken Verwesungsgeruchs im Treppenhaus. „Jemand, der schon mal einen verwesenden Menschen gerochen hat, der erinnert sich an diesen Geruch“, beschreibt Thomas Ulmer. Die Ermittelnden finden schnell Spuren, die zu den drei Jugendlichen führen. Die Tatverdächtigen werden festgenommen und einzeln zu den Geschehnissen befragt.
Mit einem der Tatverdächtigen fährt der Ermittler Thomas Ulmer den Neckar entlang und sucht mit dem Geständigen nach dem Ort, an dem die Leichenteile versenkt wurden. Auf ähnliche Weise entdecken die Ermittler später auch den Torso im Wald.
Nach fünf Prozesstagen wird Deniz E. am 5. März 2008 von der Jugendstrafkammer des Landgerichts Stuttgart schließlich zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Auch interessant
Vom Tatort ins Polizeimuseum Stuttgart
Neben dem Klumpen Beton, welcher einst den Torso von Yvan S. verbarg, steht eine Vitrine mit den echten Tatwaffen. Yvans Fall ist einer von vielen, die im Museum ausgestellt werden und somit nicht in Vergessenheit geraten.
Die Anfänge des Polizeimuseums liegen im Jahr 2006 – dem Jahr der Fußballweltmeisterschaft. Stuttgart durfte mehrere Spiele austragen und das sorgte für ein großes Polizeiaufgebot in der Stadt. Aus dieser besonderen Situation entstand die Idee, für vier Wochen eine kleine Ausstellung über die Stuttgarter Polizeigeschichte zu gestalten. Was als kleine Ausstellung begann, wurde mit Hilfe von 28 Gründungsvätern zu einem Verein. Mit viel Arbeit und Leidenschaft eröffnete im Jahr 2015 ein Museum voller Polizeigeschichte und spannender Fälle.
In zehn Themeninseln werden verschiedene Kapitel der Polizeigeschichte gezeigt, darunter die Zeit der Roten Armee Fraktion, die Bewaffnung der Polizei oder die Rolle der Polizei während der NS-Zeit. Jeder Raum wird durch echte Beweisstücke und Exponate aus den Archiven der Stuttgarter Polizei lebendig und greifbar gemacht. Für besondere Authentizität sorgen zudem die Museumsführer*innen, welche selbst alle Polizist*innen oder Kriminalbeamt*innen waren oder noch im Dienst sind. Besichtigt werden kann das Polizeimuseum ganzjährig im Rahmen geführter Rundgänge. Sammeltermine sind schnell ausgebucht, doch es werden regelmäßig neue Zeiten veröffentlicht und für Gruppen ab zehn Personen bietet das Museum individuelle Führungen an. Das Museum möchte den Besuchenden einen realistischen Einblick in die Polizeiarbeit und ihre oft harte Realität geben. „Unser Ziel ist, die Bevölkerung davon in Kenntnis zu setzen, wer wir sind, wie wir arbeiten und mit welchen Schwierigkeiten wir teilweise eben auch zu tun haben“, erklärt Edgar Hemmerich, Vorsitzender des polizeihistorischen Vereins und pensionierter Kriminalhauptkommissar.
Auch interessant
„Das Leben schreibt die besten Geschichten, und das ist natürlich auch bei der Polizei so“, sagt er, als es um die Zukunftsplanung des Museums geht. Auch die Polizeigeschichte schreibt sich weiter und es gibt viele Themen, denen der Verein gerne mehr Aufmerksamkeit schenken würde. Doch dafür mangelt es an Platz. Eine mögliche Lösung wäre es, bestehende Themeninseln aufzulösen, um neuen Kapiteln Raum zu schaffen.
„Das Leben schreibt die besten Geschichten und das ist natürlich auch bei der Polizei so."
Fälle wie jener von Yvan zeigen, wie wichtig Orte sind, an denen Polizeigeschichte bewahrt wird. Im Polizeimuseum bekommen solche Geschichten einen Platz, an dem sie nicht vergessen werden. Dabei geht es im Museum nicht darum, Sensationslust zu bedienen, sondern darum, Hintergründe verständlich zu machen und Polizeiarbeit nachvollziehbar einzuordnen. Auf diese Art informiere das Museum über Spuren der Ereignisse, die die Region geprägt haben. Wer die Ausstellung besucht, sieht nicht nur Beweisstücke, sondern ein Stück Stuttgarter Geschichte und die Facetten eines Berufs, der für viele unverständlich ist. „Zahlreiche Besuchende verlassen das Museum und sagen: Das hätte ich nie gedacht, dass die Polizei so arbeitet“, erinnert sich Edgar Hemmerich.
* Der Name der weiblichen Person wurde geändert.