Jugendgefängnis 6 Minuten

Jugend hinter Gittern

Justizvollzugsbeamter Ricardo Bopp unterhält sich mit einem Insassen.
Alltag in der JVA Adelsheim: Ein kurzer Blick in die Zelle. | Quelle: Jana Sajin
11. Nov. 2025

Wie fühlt es sich an, dort zu arbeiten, wo Freiheit endet? In der JVA Adelsheim habe ich einen Tag lang den Alltag eines Justizvollzugsbeamten im lockeren Vollzug begleitet.
 

6:45 Uhr. Die schweren Betonmauern der JVA Adelsheim öffnen sich vor mir. Ich habe keine Ahnung oder auch nur eine Vorstellung von dem, was mich dahinter erwarten wird. Die Justizvollzugsanstalt Adelsheim ist eine Jugendstrafanstalt in Baden-Württemberg. Insgesamt gibt es hier neun Häuser, in denen momentan ungefähr 300 Gefangene untergebracht sind. Die Justizvollzugsanstalt wurde 1974 eröffnet und dient seither als zentrale Einrichtung des Jugendstrafvollzugs in Baden-Württemberg. Das Besondere an der JVA Adelsheim ist das Konzept des gelockerten Vollzugs. Neben dem regulären Strafvollzug gibt es hier die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Vertrauen zu erhalten – in Haus G1. Genau hier verbringe ich einen Tag, um zu erleben, wie dieser Alltag aussieht und unter welchen Bedingungen die Gefangenen solche Lockerungen bekommen. Mein Begleiter ist Ricardo Bopp, Hausbeamter in Haus G1, dem gelockerten Vollzug. Er wartet bereits am Ende des Flurs. „Morgen. Bereit für eine kleine Tour?“ fragt Ricardo während er vorangeht. Sein Schritt ist ruhig, keine Spuren von Hektik. Wir betreten den Hof der Anstalt. Es riecht nach frisch gemähtem Rasen und das Gelände erinnert eher an einen Campus als an ein Gefängnis. Als wir über den Hof gehen, kommen uns die ersten Gefangenen entgegen. „Sie müssen jetzt zur Schule“, erklärt Ricardo beiläufig. Für ihn gehört das zum Alltag – für mich hingegen zeigt sich hier eine ganz neue Realität. 

Haus G1 – Freiheit auf Probe

Wir betreten Haus G1. Mehrere Gefangene stehen dort, lehnen an den Wänden, unterhalten sich in kleinen Gruppen. Für einen Moment wirkt alles beinahe alltäglich. Als Ricardo Bopp den Raum betritt, wird er freundlich begrüßt, einige der jungen Männer nicken auch mir zu. Die Stimmung im gelockerten Vollzug ist entspannt, beinahe familiär.

Wenn über Chancen gesprochen wird

Gegen neun Uhr versammeln sich die Beamten von Haus G1 zur täglichen Hausbesprechung. Hier wird geklärt, was im Haus ansteht. Heute geht es um einen jungen Häftling, der Lockerungen erhalten soll. Das bedeutet, dass er die Anstalt stundenweise verlassen darf – zunächst in Begleitung, später sogar allein. Kurze Zeit später betritt der junge Mann den Raum, er wirkt schüchtern. Ich sitze rechts neben Ricardo und beobachte die Szene. Direkt links von mir nimmt der Häftling Platz. Er kommt mir vor wie ein ganz normaler Junge – ungefähr in meinem Alter, vielleicht ein Jahr älter. „Du könntest versuchen, dich für diese Ausbildung zu bewerben, das liegt dir doch“, schlägt Ricardo vor. „Streng dich an, du kannst das“, sagt Sozialarbeiterin Nagl und lächelt. Während im Hintergrund leise Musik durch die verschlossene Tür dringt, wirkt die Besprechung fast wie ein Gespräch in einer Schulklasse. Er bekommt die Lockerungen und verlässt mit einem Grinsen im Gesicht den Raum. 

Eine Zelle in der JVA Adelsheim.
Einblick in eine Zelle der JVA Adelsheim.
Quelle: Jana Sajin

Nähe und Distanz

“Sicherheit und Ordnung – das ist das Wichtigste“, sagt Ricardo Bopp und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Dann schiebt er nach: „Aber genauso geht es um die Jungs selbst.“ Schnell wird klar, was er meint. In Haus G1 kennt er jeden beim Namen, weiß, wer eine Ausbildung sucht, wer Probleme hat, wer gerade auf einem guten Weg ist. Trotzdem erfordert der Beruf ständige Aufmerksamkeit. Es gibt auch die schwierigen Momente, in denen Gefangene einfach nicht erreichbar sind. Ständige Gewalt, Beleidigungen und Situationen, die man am liebsten nicht sehen würde, gehören zum Alltag. Es gibt durchaus Kollegen, die diesem Druck nicht standhalten. „Abschalten ist schwer“, gesteht er mit müdem Lächeln. Er erzählt, dass er als Ausgleich Kampfsport, Ninjutsu, betreibt. Und doch gibt es auch diese anderen Augenblicke. Wenn ein Gefangener Fortschritte macht, wenn er bei der Entlassung dankbar zurückblickt. Manche würden sogar weinen, weil sie draußen niemanden hätten, der sie empfängt. „In solchen Momenten macht der Job Spaß, wenn man merkt, dass man etwas bewegen kann“, sagt Ricardo.  

„In solchen Momenten macht der Job Spaß, wenn man merkt, dass man etwas bewegen kann.“

Justizvollzugsbeamter Ricardo Bopp

Ricardo und ich sprechen über einige der Straftaten der Gefangenen. Das Büro ist nur durch eine dicke Glastür vom Gang getrennt, und während er mir von ihren Delikten erzählt, sehe ich einige von ihnen draußen sitzen, miteinander reden und lachen. Doch Ricardos Worte führen mir vor Augen, dass sie nicht ohne Grund hier sind. Ein komisches Gefühl. Ich kann mir vorstellen, dass man vergisst, dass man es mit Straftätern zu tun hat, wenn man die Jungs jeden Tag sieht. Aber Riccardo erklärt mir das Vertrauen, die Basis sei, es aber strenge Regeln gebe. „Man darf nicht vergessen, wo man ist“, sagt er. Denn auch in Haus G1 gibt es Hierarchien, Tricksereien und Verstecke. 

Ziel: Resozialisierung und Erziehung

Als wir gerade die Akten durchgehen, klopft es an der Glastür. Ricardo steht auf und öffnet dem Häftling die Tür. Schnell kommen mehrere an die Tür, um mit Ricardo und mir zu sprechen. Sie zeigen ein auffälliges Interesse an mir: Fragen nach meinem Alter, meinem Studium, ob ich Beamtin werden möchte, sogar nach meinem Namen. Anfangs fühlt es sich komisch an, einfach so auf Augenhöhe mit jungen Männern zu sprechen, denen oftmals schlimme Taten zugeschrieben werden. Aber ich merke, dass die Häftlinge einfach nur ein wenig mit mir und Ricardo sprechen möchten. Die Gespräche verlaufen locker, bis einer der Jungs plötzlich meine Kamera bemerkt. „Ey, mach mal ein Foto von uns!“, ruft er und klopft grinsend seinem Kumpel auf die Schulter. Sofort rücken zwei andere näher, stellen sich in Pose und lachen in meine Richtung. Es komme häufig vor, dass Gefangene an die Tür klopfen, um zu reden und dass er dann da sei, um zuzuhören, erklärt Ricardo. Im Jugendvollzug seien Resozialisierung und Erziehung die zentralen Aufgaben, weshalb er die Jugendlichen anleite und ihnen ihre Möglichkeiten und Chancen deutlich mache.

Der Umgang mit Freiheit

Genau diese Freiheit der Sträflinge mochte Ricardo anfangs nicht. Er habe sich unwohl gefühlt, weil die Gefangenen hier einfach frei herumlaufen können. Ich kann dem nur zustimmen, denn auch ich empfinde die Situation befremdlich. Obwohl ich mittlerweile seit einigen Stunden hier bin, habe ich immernoch ein mulmiges Gefühl im Bauch. Herr Bopp erklärt: „Man hat auch einfach nicht über alles die Kontrolle wie im normalen Regelvollzug. Da weiß man immer genau, wo sich die Gefangenen befinden, hier können sie sich überall im Haus aufhalten, wie sie es wollen.“ Mittlerweile ist er jedoch sehr dankbar, hier arbeiten zu dürfen. Die Gefangenen seien kooperativer und zeigen Respekt gegenüber den Beamten, dass sei im Regelvollzug nicht so. 

Ricardo erzählt mir von den Auswahlkriterien für das Haus G1: „Wer hierher will, muss sich bewiesen haben. Wer sich nicht an Regeln hält, geht zurück in den Regelvollzug.“ Seine Stimme ist sachlich, aber ich merke, wie nah ihm seine Arbeit geht. Interessanterweise hängt die Aufnahme in dieses Haus nicht von der Schwere der Straftat ab, sondern von der Eignung der Jugendlichen. Sie müssen vor allem gemeinschaftsfähig sein und ein Suchtproblem aufweisen – also zeigen, dass Drogen während der Tat eine Rolle gespielt haben. Wer sich als teamfähig und verantwortungsbewusst erweist, bekommt die Chance auf diesen besonderen, gelockerten Vollzug. Gleichzeitig gilt: Zeigt jemand Fehlverhalten, muss er das Haus wieder verlassen.

Haus E3 - Zwischen Zellen und Regeln

Ganz anders als im Regelvollzug. Gegen Mittag will mir Ricardo noch das Haus E3 zeigen, das ist ein Haus, in dem normaler Regelvollzug herrscht. Hier ist der Alltag fest getaktet. Jeder Gang wird begleitet, jeder Ausgang genehmigt. „Es ist ein strenger Rhythmus. Sicherheit geht da vor allem anderen“, erklärt Ricardo. Als wir das Haus E3 betreten, fällt der Unterschied sofort auf: Die Flure sind leer und düster, jeder Schritt hallt von den kahlen Wänden wieder. Nur Einzelzellen säumen den Gang, die Türen geschlossen, die Insassen auf ihren Zimmern. Niemand ist im Flur, die Atmosphäre ist angespannt, ernst und spürbar streng. Am Ende des Gangs, im ersten Stock, befindet sich ein gläsernes Büro, von dem aus die Beamten sowohl die Gefangenen als auch die Zellen im Blick behalten. Ich erhalte die Gelegenheit, in das Zimmer eines Gefangenen zu schauen und kurz mit ihm zu sprechen. Man merkt sofort: Hier herrscht Distanz, weniger Nähe als im lockeren Vollzug von G1, die Strukturen sind härter, der Umgang sachlicher. Aus den Zellen ertönen Rufe der Gefangenen, während wir vorbeigehen. Ricardo erklärt, dass hier jeder Stock nur einmal täglich Hofgang habe und dass die Insassen streng voneinander getrennt werden müssten, um mögliche Konflikte zu vermeiden. Die Grundstimmung sei hier deutlich bedrohlicher, jeder Schritt erfordert Wachsamkeit – ein starker Kontrast zum gelockerten Vollzug in G1, wo die Jugendlichen mehr Freiheiten genießen. „Der gelockerte Vollzug ist kein Geschenk“, sagt Bopp zum Abschied. „Es ist eine Chance. Aber sie funktioniert nur, wenn man sie ernst nimmt.“

14:30 Uhr. Die schweren Betonmauern schließen sich hinter mir, als ich zusammen mit Ricardo die Anstalt verlasse. Für einen Moment bleibe ich stehen und blicke zurück auf die hohen Wände, die den Alltag der Gefangenen begrenzen. Zwischen drinnen und draußen liegt nur eine Tür. Doch dahinter verbirgt sich eine ganz andere Realität.