Demonstrationen

Die eingeschränkte Freiheit

20. Dez. 2020
Versammlungsfreiheit oder Infektionsschutz? Das ist seit Beginn der Corona-Pandemie eine schwierige Abwägung. Ist man auf Demonstrationen vor einer Ansteckung sicher und wie weit können Versammlungen eingeschränkt werden, um die Menschen zu schützen?

Einfluss auf die Politik nehmen, sich einbringen und die Meinung frei äußern: Demonstrationen sind wichtig für die Demokratie. Deshalb sichert Artikel 8 im Grundgesetz die Versammlungsfreiheit. Aber sie ist nicht unantastbar. So kann das Infektionsschutzgesetz das Grundrecht beschränken, wenn ein Krankheitsfall oder ein Verdachtsfall bei einer Demo teilnimmt. Seit der Änderung dieses Gesetzes im November dürfen Versammlungen nur dann eingeschränkt werden, wenn die bereits getroffenen Maßnahmen zum Infektionsschutz die Pandemie nicht eindämmen konnten.

Aktuell kann die Versammlungsfreiheit auch durch die Corona-Verordnungen der Bundesländer eingeschränkt werden. In Baden-Württemberg dürfen Versammlungen verboten werden, wenn der Infektionsschutz auch durch Auflagen nicht erreicht werden kann. Vorgaben, wie eine Maskenpflicht, werden von den örtlichen Behörden festgelegt.

Die wichtigsten Gesetze zu Demonstrationen und Corona

Laut Artikel 8 im Grundgesetz (GG) dürfen Versammlungen ohne Anmeldung oder Erlaubnis durchgeführt werden. Der Artikel gehört zu den Grundrechten und garantiert die Versammlungsfreiheit, die aber durch andere Gesetze eingeschränkt wird.

Das Versammlungsgesetz (VersammlG) gibt vor, dass öffentliche Versammlungen 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe angemeldet werden müssen. Eine Versammlung kann verboten werden, wenn sie nicht angemeldet ist, von den Angaben in der Anmeldung abweicht oder gegen gesetzte Auflagen verstößt.

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) besagt, dass eine Demonstration durch die zuständige Behörde eingeschränkt oder verboten werden kann, wenn ein oder mehrere Kranke oder Krankheitsverdächtige daran teilnehmen. Das galt bereits vor der Änderung im November.

Seit der Änderung des IfSG zum 18.11.2020 darf die Versammlungsfreiheit jetzt nur eingeschränkt werden, wenn trotz bereits getroffener Maßnahmen die Eindämmung der Pandemie weiterhin gefährdet ist. Solche Maßnahmen müssen gut begründet und vorerst auf vier Wochen begrenzt werden.

Die baden-württembergische Corona-Verordnung (CoronaVO) vom 01.12.2020 erlaubt weiterhin Versammlungen, wenn deren Leitung für die Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern sorgt. Zuständige Behörden können weitere Vorgaben festlegen. Eine Versammlung kann verboten werden, wenn der Infektionsschutz durch Auflagen nicht erreicht werden kann.

Die Auflagen der Stadt Stuttgart (Stand November) lauten: Pro 25 Teilnehmer muss ein Ordner eingesetzt werden, um die Umsetzung der Auflagen sicherzustellen. Der Versammlungsbereich muss berücksichtigt werden. Wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, gilt eine Maskenpflicht. Zu Passanten ist ein Sicherheitsabstand von zwei Metern zu halten.

In Stuttgart machte sich die Pandemie auch in der Anzahl der Demonstrationen bemerkbar. Im zweiten Quartal 2020, also von April bis Juni, wurden im Vergleich zum vorherigen Quartal mehr als doppelt so viele Demos abgesagt. Das kann an dem temporären Versammlungsverbot zu Beginn des ersten Lockdowns liegen. Trotzdem wurden in beiden Quartalen etwa gleich viele Demonstrationen durchgeführt.

Um den Inhalt anzuzeigen müssen Sie zuvor der Nutzung von Marketing Cookies zustimmen.
| Quelle: Amt für öffentliche Ordnung Stuttgart

Alternative Online-Demo

Als die Infektionszahlen im März stark angestiegen sind, beschloss Fridays for Future, ihre Aktionen ins Internet zu verlegen. In Deutschland gab es einen Livestream mit prominenten Gästen wie Lena Meyer-Landrut oder Eckart von Hirschhausen. Außerdem forderten die Aktivist*innen auf, in den sozialen Medien unter dem Hashtag #netzstreik Bilder von Protestschildern hochzuladen. Zusätzlich organisierte Fridays for Future Webinare, die rund um das Thema Klima informierten. Diese Webinare wurden im Vergleich zu den Protesten auf der Straße sehr wenig genutzt, wie Jonathan Heckert von Fridays for Future Stuttgart erklärt. Trotzdem ist er der Meinung, dass Webinare ihre Organisation bereichern, und sieht die Pandemie als Chance, neue Dinge auszuprobieren. Der geringe Organisationsaufwand im Vergleich zu einer Vor-Ort-Demo sei dabei der größte Vorteil. Für Jonathan ist es deshalb vorstellbar, dass solche digitalen Angebote auch weiterhin bestehen bleiben.

Wie sicher sind Demonstrationen?

Auch während der Pandemie fanden weltweit Demonstrationen statt, wie in den USA die Black-Lives-Matter-Proteste. US-Wissenschaftler*innen haben in einer Studie untersucht, inwiefern sich diese Demonstrationen auf die Gesamtinfektionszahl der US-Bevölkerung ausgewirkt haben. Sie konnten nach den Demos im Mai und Juni keinen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Proteste und den Infektionszahlen feststellen. Es gab keine signifikanten Anstiege der Infektionszahlen in Bezug auf die Gesamtbevölkerung. Die USA waren zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen der ersten und zweiten Infektionswelle.

Die Verantwortung für die Einhaltung der Versammlungsauflagen liegt bei den Veranstalter*innen. Als die Aktivist*innen von Fridays for Future Stuttgart den globalen Klimastreik im September auf der Straße organisierten, gab es Auflagen von der Stadt, wie mehr Aufsichts-Ordner einzusetzen und eine Maskenpflicht. Über die Vorgaben der Stadt hinaus wurden die Demonstrant*innen in Blöcke unterteilt, damit sich nicht so viele Menschen vermischen. So konnte der Mindestabstand eingehalten werden.

Anders war die Situation bei den Stuttgarter Black-Lives-Matter-Demos im Sommer. Die Demonstrantin Sohejla Sabzghabaei, die auf den Protesten dabei war, beschrieb diese als unorganisiert. Es seien sehr viele Menschen auf einem Haufen gewesen und nicht alle hätten eine Maske getragen.

Die Polizei sorgt bei Demonstrationen in Deutschland für die Einhaltung der geltenden Regelungen. Laut dem Pressesprecher der Polizei Stuttgart, Johannes-Michael Freiherr von Gillhaußen, kann es keine absolute Sicherheit vor einer Infektion geben. Schutzmaßnahmen würden aber das Infektionsrisiko abmildern. Hierbei gilt: „Je größer die Versammlung, desto schwerer ist es, die Einhaltung der Regeln vollständig zu gewährleisten.“ Um auch eine große Demonstration zu bewältigen, setzt die Polizei auf die Kooperation und Bereitschaft der Teilnehmer*innen, sich an die Vorgaben zu halten.

Trotz aller Maßnahmen bleibt weiterhin ein Restrisiko für eine Infektion auf Demos. Deshalb muss jeder selbst abwägen, ob man auf die Straße gehen möchte oder lieber an einer Online-Aktion teilnimmt. Möglich ist während der Corona-Pandemie beides.