Amateurfußball

Ausgepfiffen

Fußball-Schiedsrichter*innen fehlen in ganz Deutschland. Auf und neben dem Platz machen sie aber sehr wichtige Arbeit für den Sport. Gerade im Amateurfußball fehlen viele.
In den letzten fünf Jahren hat der DFB fast 9.000 seiner Schiedsrichter*innen verloren. Neue Maßnahmen sollen nun dem Negativ-Trend entgegenwirken
19. Jan. 2023
Fußball-Deutschland fehlen die Unparteiischen. Zwischen 2015 und 2020 verlor der DFB 14 Prozent seiner Schiedsrichter*innen. Mangelnde Wahrnehmung, fehlender Respekt und ein genereller Wandel in der Gesellschaft sind dabei wohl die größten Sorgen für den DFB.

Auf dem Platz nehmen Schiedsrichter*innen fließend verschiedene Rollen ein. Meist sind sie Richter und Vermittler, manchmal gar bester Freund. Als Kontrollinstanz und Durchsetzer der Regeln, nach denen man spielen möchte, sehen sie sich meist auch Situationen ausgesetzt, die für beide Seiten Frust und Wut, mindestens aber Druck und Anspannung aufbauen.

50.505 Schiedsrichter*innen haben in der Saison 2021/2022 Partien auf den deutschen Fußballplätzen geleitet, so der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Noch fünf Jahre zuvor waren es fast 9.000 Schiedsrichter*innen mehr. Währenddessen erholt sich der Spielbetrieb im Amateurfußball weiter von den Folgen der Saisonabbrüche aufgrund von Corona. Die Zahl der Spiele pro Saison ist in der Saison 2021/22 stark angestiegen.

Geht man von einer weiter steigenden Anzahl der Partien pro Saison aus, müsste dann eine geringere Anzahl an Schiedsrichter*innen eine höhere Anzahl an Spielen leiten. Diese Entwicklung besorgt Fußball-Landesverbände deutschlandweit und auch den DFB. 

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Die sogenannte Schiedsrichter-Einsatzstatistik erhebt jährlich die Anzahl an Schiedsrichter*innen, die für den DFB in der jeweiligen Saison mindestens einen Einsatz absolviert haben | Grafik: Louis Göllner | Quelle: Deutscher Fußball-Bund (DFB)

Warum hören so viele Schiedsrichter*innen auf?

Fragt man den Württembergischen Fußball-Verband (WFV) so heißt es, ein geändertes Freizeitverhalten der jungen Schiedsrichter*innen sei der wesentliche Grund für den Rückgang an Schiedsrichter*innen. Dadurch würden viele dem Schiedsrichterwesen nicht mehr über längere Zeit erhalten bleiben, so Heiner Baumeister, Leiter der Abteilung für Kommunikation des WFV.

Denkbar wäre diese Begründung auch für Moiken Wolk. Die ehemalige Schiedsrichterin der Frauen-Bundesliga ist heute Leiterin der Abteilung Schiedsrichter*innen beim DFB. „Es will sich niemand mehr wirklich lange und fest binden“, so Wolk. Richtig überprüfen lasse sich das aber nicht: Dem DFB und auch den Landesverbänden fehlen dafür aktuelle Studien. Zwar erhebt der DFB regelmäßig die Zahlen aktiver Schiedsrichter*innen, aber Studien, die die Beweggründe für einen Abgang untersuchen, werden nur selten durchgeführt. 

Eine Studie der Sportwissenschaftler Rullang, Emrich und Pierdzioch aus 2017 gibt an, dass die Länge einer Schiedsrichterkarriere davon abhängt, ob die sportliche Karriere selbst nach Plan verläuft, und wie erfolgreich Schiedsrichter*innen mit Beleidigungen, Drohungen und Gewalt umgehen können.

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DFB-Mitgliederstatistik 2021/2022 – Aufgrund von Corona konnten in den Saisons 2020/2021 und 2021/2022 Neulings-Lehrgänge zur Gewinnung von Schiedsrichter*innen nur eingeschränkt durchgeführt werden | Grafik: Louis Göllner | Quelle: Deutscher Fussball-Bund (DFB)

Fehlender Respekt auf und neben dem Platz

In der Vergangenheit herrschten viele negative Schlagzeilen rund um das Schiedsrichterwesen und das nicht ganz zu Unrecht: In einer Studie von 2013 geben 12 Prozent der befragten Schiedsrichter*innen an, auf dem Fußballplatz „oft“ beleidigt zu werden. Weitere 12 Prozent geben an in ihrer Laufbahn schon einmal Opfer einer Tätlichkeit geworden zu sein.

Zwar sind die offiziellen Zahlen von Gewaltfällen gegen Schiedsrichter*innen in den letzten Jahren leicht rückläufig, besonders Rudelbildungen gehören aber weiterhin zum Alltag auf den Amateurplätzen. In solchen Situationen stehen Schiedsrichter*innen besonders unter Druck.

Ein Schiedsrichter ist nicht am Ende der Blitzableiter, der dazu dient, die eigenen Aggressionen rauszulassen.

Moiken Wolk, Leiterin der Abteilung Schiedsrichter*innen des DFB

Auch der DFB bestätigt, ein Grund für den Rückgang der Schiedsrichter*innen in Deutschland könne der mangelnde Respekt auf dem Fußballplatz sein. Es fehle das Verständnis für die eigentliche Rolle der Spieloffiziellen: „Ein Schiedsrichter gehört zum Spiel dazu und ist nicht am Ende der Blitzableiter, der dazu dient, die eigenen Aggressionen rauszulassen, die sich über die Woche angestaut haben“, so Moiken Wolk im Interview mit edit.

Umkehr des eigenen Rollenbilds

Besonders im eigenen Verein ist es für Schiedsrichter*innen mitunter schwierig, überhaupt wahrgenommen zu werden. Nicht selten ist Vereinen im Amateurfußball sogar unbekannt, wie viele, oder gar ob sie überhaupt Schiedsrichter*innen in den eigenen Reihen haben. Das soll sich nun ändern. 

Das Abhalten von Regelvorträgen für die Jugendmannschaften des Heimatvereins sei nur eine Idee, wie Schiedsrichter*innen die Umkehr ihres Rollenbilds selbst angehen könnten. Denkbar wäre es auch, Profi-Schiedsrichter*innen aus den ersten und zweiten Fußball-Bundesligen zu engagieren, um mit prominenten Namen und Gesichtern für das Ehrenamt zu werben.

Die Schiedsrichter gehören auch zur Fußballfamilie, aber sie leben nicht im Haus, sondern unter der Treppe.

Moiken Wolk, ehemalige Schiedsrichterin in der Frauen-Bundesliga

Für Moiken Wolk haben Schiedsrichter*innen jedenfalls weiterhin zu wenig Anerkennung: „Das Schiedsrichterwesen ist so ein bisschen, wie bei Harry Potter: Die Schiedsrichter gehören auch zur Fußballfamilie, aber leben nicht im Haus, sondern unter der Treppe“, erklärt Moiken Wolk. Man müsse nun gemeinschaftlich daran arbeiten, dass die Schiedsrichter*innen von der Treppe ins Haus einziehen, so Wolk weiter.

Ein langfristiges Ziel des DFB sei es daher, eine positive Berichterstattung über Schiedsrichter*innen zu erreichen. Diese soll dann einen Image-Wandel des gesamten Schiedsrichterwesens bewirken, hofft der DFB.

Dafür haben Vereine schon seit 2021 die Möglichkeit, mithilfe der „Schiedsrichter-Toolbox“ des DFB ihren Teil zur Schiedsrichter*innen-Gewinnung beizutragen, so Moiken Wolk. Dabei ginge es sowohl um die aktive Bewerbung des Amtes der Schiedsrichter*innen in den sozialen Medien, als auch um die Zusammenarbeit mit der lokalen Presse, um den Unparteiischen des eigenen Vereins mehr Aufmerksamkeit zu geben. In den Medien solle zukünftig nicht mehr nur über die Schattenseiten, sondern auch über die positiven Ereignisse rund um das Schiedsrichterwesen berichtet werden.

Was ist die Schiedsrichter-Toolbox?

Seit 2021 haben Vereine die Möglichkeit, selbst aktiv für das Ehrenamt der Schiedsrichterei zu werben. Auf der eigens eingerichteten Website des DFB können Vereinsoffizielle Vorlagen für Social Media Posts, Werbeplakate, aber auch Bierdeckel, Postkarten und Sticker verwenden, um Inhalte für ihre präferierten Ausspielkanäle zu erstellen. Der Name dieses Angebots ist "Schiedsrichter-Toolbox".

Sollte ein Image-Wandel gelingen und das Schiedsrichterwesen in einem besseren Licht stehen, werden sich die Zahlen der aktiven Schiedsrichter*innen in Deutschland erholen. Denn: Mit mehr Anerkennung und einer besseren Wahrnehmung würden Schiedsrichter*innen in Deutschland länger dem Ehrenamt erhalten bleiben.