Queerfeindlichkeit

Wenn die Partynacht zum Albtraum wird

Emil erlebt zum ersten Mal selbst gewaltsame Queerfeindlichkeit.
14. Nov. 2022
Ein großer Schock für Emil und seine Freund*innen. Sie gehen tanzen, haben Spaß und werden auf einmal Opfer einer queerfeindlichen Attacke. Kein Einzelfall in Deutschland.

Es ist Samstagabend. Emil und seine sieben Freund*innen feiern bei einer 2000er Party in Darmstadt. Die Stimmung ist gut und sie tanzen viel. Eine Freundin aus Berlin ist zu Besuch. Sie wollen ihr die Stadt zeigen und haben noch viel vor. Emil ist 20 Jahre alt und eine warme, sympathische Person. Er hat hell gefärbte Haare und einen Nasenpiercing. Außerdem berichtet er auf seinem Instagram Account über seinen Weg und seine Gefühle als Transmann. Ich treffe ihn bei seiner Arbeit in einem Hofcafé, wo er mir offen von seinem Erlebnis erzählt.

Gegen 2 Uhr gehen er und seine Freundesgruppe vor dem Gebäude des Clubs frische Luft schnappen. Da laufen fünf Jungs an ihnen vorbei, rufen: „Wegen der Schwuchteln kommen wir nicht rein!“ Als Emils Freundesgruppe weiter weg laufen will, folgt wieder: „Schwuchtel, Transe!“ Dann gehen zwei der Freunde zu ihnen und fragen nach, was das soll. Weitere Beleidigungen folgen. Emil und sein bester Freund kommen dazu, wollen hinter ihren Freunden stehen. Sobald sie da sind, fängt die Jungsgruppe an die Freunde zu schupsen. Sie schlagen ihnen ins Gesicht. Emil wird auf die Lippe und die Brust geschlagen: „Du scheiß Transe!“. Bei einem seiner Freunde verletzen die Angreifer die Nase, bei einem anderen die Wange.

Queerfeindliche Angriffe wie dieser sind keine Seltenheit in Deutschland. Generell nimmt die Gewalt gegen die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität von Menschen zu. Durchschnittlich werden in Deutschland täglich drei Fälle von queerfeindlicher Hasskriminalität gemeldet. 2018 registrierte die Polizei in Deutschland 351 Straftaten gegen die sexuelle Orientierung, 2020 waren es schon 578 und in 2021 sogar 870. Die Dunkelziffer ist jedoch deutlich höher. Auf ganze 80 bis 90 Prozent schätzt sie Sebastian Stipp, eine Ansprechperson für queere Menschen von der Berliner Polizei. Oft werden die Fälle nicht angezeigt oder nur als Allgemeinkriminalität vermerkt. Da viele Fälle nicht als queerfeindlich gekennzeichnet werden, fordert der Lesben- und Schwulenverband eine Reform der polizeilichen Erfassungssysteme, um die hohe Hasskriminalität gegen queere Menschen der Gesellschaft sichtbar zu machen.

Emil und seine Freund*innen gehen schnell weg, müssen erstmal klarkommen: „Wir waren einfach nur verzweifelt.“ Eine halbe Stunde später ruft Emil dann die Polizei. Die Angreifer sind noch in der Nähe. Die Polizei antwortet, dass sie jetzt nicht mehr kommen können. Sie hätten direkt anrufen müssen. Emil bittet weiter um Hilfe. „Was können Sie sich denn vorstellen, was an einem Samstagabend alles los ist?“, so hat er die Antwort der Polizei in Erinnerung. Sie sollen selbst zur Polizeistation kommen. Dort angekommen, erzählen sie, was passiert ist. Sie fragen die Polizei, ob sie nicht hinfahren können, um die Täter noch zu erwischen. Erneut heißt es von der Polizei, dass sie zu viel zu tun haben und dass das nicht geht, erzählt Emil. Mit einem Formular für eine Onlineanzeige, verlassen sie also die Polizeistelle und gehen zur Notaufnahme, um sich die Verletzungen bescheinigen zu lassen.

„Es ist niemand dazwischen gegangen, was sehr schade ist.“

Viele Leute sind in der Nähe gewesen, erzählt Emil weiter und schaut mit seinen hellen Augen über das Hofgut vom Café. Die Leute standen vor dem Club, rauchen, können den Angriff sehen: „Es ist niemand dazwischen gegangen, was sehr schade ist.“ Die Sicherheitskräfte sind nur im Gebäude. Später sucht Emil mit einem viel geteilten Post auf Instagram nach Zeugen. Er bekommt über 300 Nachrichtenanfragen. Dabei fallen auch Worte, wie: „Ihr müsst euch nicht wundern, dass ihr angegriffen werdet, wenn ihr so rumlauft.“ oder „Du scheiß Transe sollst das Maul halten.“ Die Veranstalter entschuldigen sich auf Instagram bei Emil und distanzieren sich von dem Vorfall vor dem Club. Emil bekommt Nachrichten von Menschen, die den Vorfall gesehen haben und danach zu den Angreifern hingegangen sein sollen. Außerdem können sie Namen herausfinden. Nun läuft der Polizeiprozess. Emil und seine Freund*innen sind zuversichtlich.

Emil erzählt, dass Beleidigungen in seinem queeren Freundeskreis regelmäßig vorkommen. Ein Freund von ihm sei vor kurzem in einem anderen Darmstädter Club als Schwuchtel beleidigt und ins Gesicht gespuckt worden. Nach der Attacke und den Hassnachrichten hatte Emil Angst rauszugehen, Menschen zu treffen oder von Instagram erkannt zu werden. Er und seine Freund*innen gehen erstmal nicht mehr feiern. Da es für sie aber eigentlich Spaß und Normalität bedeutet, wollen sie sich zwar nicht unterkriegen lassen, nach ein paar Versuchen merken sie aber, dass sie nicht mehr ohne Angst feiern gehen können. Nur auf einer queeren Party konnten sie wieder unbeschwert tanzen, Spaß haben und sich sicher fühlen.

Für die Zukunft wünscht sich Emil, dass die Menschen, die Queerfeindlichkeit mitbekommen, etwas sagen oder die Polizei rufen. Auf Veranstaltungen sollte mehr auf Sicherheit geachtet werden. Auch Unterstützung von nicht-queeren Menschen auf den Demos der Christopher Street Days würde helfen. Und vor allem wünscht sich Emil, dass sich die Menschen mehr informieren, damit unwissentlich queerfeindliche Bemerkungen vermieden werden können.