Politisch rechts

Mit Migrationshintergrund in der AfD

Die AfD erreicht immer noch Menschen, die diverser als das Parteiprogramm zu sein scheinen.
03. Dez. 2021
Die AfD hat allein im Bundestag sechs Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Inwiefern können sie sich mit der rechtspopulistischen Partei identifizieren? Ein Aussteiger und ein Politiker geben Einblicke in ihre AfD-Mitgliedschaft.

Nicolai Boudaghi ist schon 2013, mit Anfang 20, unmittelbar nach der Gründung der Alternative für Deutschland beigetreten. Der Essener, dessen Vater aus dem Iran stammt, hat eine kritische Position zur Einwanderungspolitik vertreten. Da das restliche Parteiensystem aus seiner Sicht konservative Inhalte nicht mehr abgedeckt hat, kam mit der AfD eine neue Partei rechts von der CDU. Am Anfang habe man sich in der AfD auf die Europolitik fokussiert, wodurch Boudaghi selbst eher zum rechten Flügel der Partei gehört habe. „Dann habe ich gemerkt, wie die Mitglieder rechts an mir vorbeigezogen sind“, erzählt Boudaghi.

Boudaghi war unter anderem stellvertretender Bundesvertreter der „Jungen Alternativen“ (JA), der Jugendorganisation der AfD, und im Bezirksvorstand der AfD-Düsseldorf. Anfang 2019 hat er sich dann zurückgezogen und im September 2020 ist er aus der Partei ausgetreten. Als die Partei radikaler wurde, habe Boudaghi zum Beispiel Stimmzettel mit der Aufschrift: „Boudaghi ins Gulag“ erhalten. Außerdem habe er sich ein paar Mal kritisch geäußert, zum Beispiel als es um die Aufnahme rechtsextremer Burschenschaftler in die JA ging. „Da wars für mich gelaufen.“, äußert Boudaghi. Ein andermal habe er zwei Schwarze Mädchen zu einem AfD-Stammtisch mitgebracht. Daraufhin habe ihn ein Kreisvorsitzender angerufen mit Worten wie: „Die sollen nicht kommen. Die stinken und sitzen auf Bäumen.“

Boudaghi sagt, er unterscheide zwischen Kritik und Schubladendenken und er habe sich in der Partei nicht mehr zuhause gefühlt. Der Austritt sei ihm trotzdem schwergefallen, da er wusste, dass er keine politische Zukunft in anderen Parteien mehr haben könne. Mittlerweile hat er seinen Master in Sozialwissenschaften gemacht und mit dem Gleichgesinnten Alexander Leschik das Buch „Im Bann der AfD“ veröffentlicht. Darin legen sie Insider-Chats, Worte und Taten der radikalisierten Partei offen.

Von der SPD zur AfD

Meysam Ehtemai ist seit Anfang 2019 in der AfD. Er kam 1995 aus dem Iran nach Deutschland. Sein Vater war zweieinhalb Jahre lang in iranischer Gefangenschaft. Dadurch interessierte sich Ehtemai zuerst für die iranische Politik und das gesellschaftliche Geschehen. Als er das Wahlrecht hatte, ist er sehr schnell zur SPD gekommen. Da sein Vater selbst Arbeiter war, wollte Ehtemai sich für den kleinen Mann einsetzen. In der SPD sei er sehr glücklich gewesen. Er habe viele Freundschaften geschlossen und durfte viel lernen.

Alles, was Ehtemais Familie erreicht habe, verdanke er der deutschen Gesellschaft. Er war zum Beispiel Listenkanditat der SPD und später auch der AfD für den Bundestag. Daher will Ehtemai etwas zurückgeben, beziehungsweise für seine Kinder dieses System erhalten. Die Politik der SPD war nicht mehr kompatibel mit den Vorstellungen Ehtemais. Zum Beispiel offene Grenzen ohne Ordnung haben ihm zu denken gegeben. In der SPD habe es in den letzten zwei Jahren kein anderes Thema mehr gegeben als den Kampf gegen Rechts und die AfD. Dadurch hat er sich erst richtig mit dem Programm und den Personen der AfD auseinandergesetzt.

Ehtemai sagt, er habe eine starke Beziehung zu Deutschland entwickelt und versuche deshalb die Begeisterung für dieses Land zu stärken. Assimilierte Personen seien nicht mehr aus der Gesellschaft wegzudenken. Es bereite ihm jedoch Sorgen, wenn Gastarbeiterkinder aus der dritten oder vierten Generation immer noch nicht Teil der Gesellschaft seien. Kulturelle Eigenschaften, wie zum Beispiel die Esskultur anderer Länder, nehme man sowieso in die deutsche Gesellschaft auf, aber: „selbstgewählte kulturelle Separation stellt für mich eine Gefahr dar. In der Öffentlichkeit benehme ich mich wie ein Deutscher und nicht wie ein Iraner.“

Meysam Ehtemai ist seit Anfang 2019 Mitglied in der AfD.
Nicolai Boudaghi war von 2013 bis 2020 Mitglied in der AfD.
Andreas Zick ist Professor für Sozialisation und Konfliktforschung.

Wie ist es heute mit Migrationshintergrund in der AfD?

Ehtemai sagt, in der AfD habe er noch keine Diskriminierung erlebt. Er sei aber selbst sehr islamkritisch. Kritischer als viele andere AfDler. Sein Umfeld außerhalb der Partei reagiere zwiegespalten auf seine Mitgliedschaft. Für seine engeren Bekannten war sein Eintritt jedoch nicht überraschend. Auf Ablehnung sei er in vielen Vereinen gestoßen, in denen er in seiner SPD-Zeit noch sehr geschätzt worden sei. Er sagt, er sei dort nach seinem Eintritt in die AfD teilweise „hochkant rausgeflogen“.

Nicolai Boudaghi sieht die Mitgliedschaft mit Migrationshintergrund heute kritischer. Er bestätigt zwar, dass Migrant*innen innerhalb der AfD Karriere machen können, betont aber, dass man dafür dann einen hohen Preis zahle: Man müsse das Denken der Neuen Rechten entweder komplett wiedergeben oder es durch Schweigen akzeptieren. Das gehe dann bis zur Selbstverleugnung: „Ich fange doch nicht an, von der Minderwertigkeit von gewissen Menschengruppen zu faseln und werte mich damit selbst ab.“ Man würde gegen die fundamentale Ideologie nicht ankommen.

Sozialpsychologisch betrachtet

Die AfD bediene zum Teil menschenfeindliche Vorurteile, sagt Prof. Andreas Zick. Die Partei spricht Menschen an, die sich bedroht fühlen, von Zuwanderung oder dem Islam. Dabei akzeptiert sie nicht, dass Einwanderung auch Kulturen verändern kann. Sie will eine Abgrenzung von bestimmten Gruppen, wie beispielsweise von Angehörigen muslimischen Glaubens. Andererseits finden radikale Muslime und Musliminnen, die selbst im Islam eine Gefahr sehen, bei der AfD eine Heimat.

Dennoch bremse ihre ausgrenzende Politik die Partei. „Dieses Assimilationskonzept übt einen Druck aus, den Menschen nur schwer aushalten.“, berichtet Zick. Der Gewinn an Zugehörigkeit durch die Mitgliedschaft pralle gegen die Strukturen innerhalb der AfD. Es würden nicht die Menschen mit Einwanderungsgeschichte das Sagen haben, erklärt Zick. Sie bleiben Minderheiten in der Partei.

Die AfD liegt noch vor der FDP und der CDU mit 7,2 Prozent an Mitgliedern mit Migrationshintergrund.