Erwachsenwerden 4 Minuten

Tiefgekühlte Windbeutel

Mehrere Windbeutel nebeneinander.
Erfahrungsgemäß für ein "Na, klar bringe ich einen Kuchen zu deiner Party mit!" eher ungeeignet. | Quelle: Isabelle Vees
16. Febr. 2024

Das Erwachsenwerden ist wie ein Ticket in den Freizeitpark. Manchmal aufregend, manchmal überwältigend und manchmal einfach nur zum Kotzen. Der Unterschied: Dieses Ticket habe ich nicht selbst gekauft. Es war einfach da. Und nun hänge ich kopfüber im Looping und weiß nicht, ob ich es lieben oder hassen soll. Eine Kolumne.

Vor drei Jahren legte sich meine Schwester einen Thermomix zu. An diesem historischen Tag war sie 24 Jahre alt. So alt wie ich jetzt. Mit einem Unterschied: Sowas von erwachsen. Nichts schreit ja wohl mehr nach „Ich habe mein Leben im Griff“ als diese High-End-Küchenmaschine! Und mit diesem Erwachsenen-Gerät kocht sie seither Erwachsenen-Gerichte und backt Erwachsenen-Torten, nach dessen Rezept sich schon vor dem ersten Bissen erkundigt wird. Und diese Torten, die lachen hinterhältig unter ihrer Fondantdecke und schauen spöttisch herab, auf meine traurig blickenden, tiefgekühlten Windbeutel. Frisch aus dem Supermarkt. Eingekauft auf dem Weg zur Party.

Ciao Akne, hallo Krise!

Die 20er. Die beste Zeit des Lebens, sagt man. Der Körper ist (bestenfalls) in betrieblicher Höchstform, alle Teile sind (bestenfalls) original. Noch kommen die Rückenschmerzen vom Nächtigen auf dem WG-Sperrmülllsofa eines Kumpels, das nach einer durchzechten Partynacht Zuflucht bot. Nicht vom jahrelangen Abrackern. Der Körper hat sich von der Pubertätsmetarmorphose nun langsam erholt. Akne und jugendlicher Schweiß, endgültig verflogen. Doch sobald man denkt, das Schlimmste sei überstanden, die Ernüchterung. Denn Spoiler: Die Probleme werden mit dem Älterwerden nicht weniger, im Gegenteil. Sie verlagern sich und werden irgendwie… ernster. 

Plötzlich gibt es so viele Dinge zu entscheiden. Zum Beispiel, welcher Sache man sich die nächsten 45 Jahre acht Stunden täglich widmet. Beziehungen werden ernster oder gehen in die Brüche. Die einen heiraten und bekommen Kinder. Andere wohnen noch bei Hotel Mama oder work-and-traveln sich durch Australien und wiederum andere planen ihre eigene IKEA-Küche. Oder legen sich einen verdammten Thermomix zu.

Zwischen all den Lebensentwürfen muss man sich irgendwo wiederfinden. Vorausgesetzt, man hat sich selbst schon gefunden.

Kollektive Überforderung

Laut einer Studie von „smart insights“ sind etwa 47 Prozent der 20–29-Jährigen von der sogenannten Quarter-Life Crisis betroffen. Quasi die Analogie zur Midlife-Crisis. Fast jede zweite Person in diesem Alter fühlt sich überfordert. Eine krasse Zahl und gleichzeitig wundert sie mich nicht. Der Druck ist enorm. Plötzlich soll ich wissen, wie man Steuern macht und BHs richtig wäscht. Was der Unterschied zwischen Chardonnay und Grauburgunder ist und wie man verdammt noch mal Job, Studium, Beziehung, Freundschaften, Freizeit und all die anderen Verpflichtungen unter einen Hut bekommt. 

Vielleicht bin ich noch nicht so weit, vielleicht ist mir vieles auch einfach egal. Vielleicht wird es immer egal sein und es hat gar nichts mit dem Erwachsenwerden zu tun. Trotzdem nervt es. Es nervt, dass man Probleme nicht mehr lösen kann, indem man sich trotzig auf den Supermarktboden wirft und solange schreit, bis die Sache geregelt ist und man bekommt, was man will. 

Und ja, vielleicht bin ich auch ein bisschen neidisch. Auf die Menschen, die einen Thermomix besitzen, in denen Kuchen mit thematisch passenden Fondant-Figuren stecken. Neidisch auf die Leute, die auf den Weg zur Party keinen Zwischenstopp im Discounter einlegen müssen. Neidisch auf all die, die nicht nur die Tortenglocke, sondern ihr Leben schon fest im Griff haben.

Das ist der zweite Teil dieser Kolumne. Den ersten Teil "Das Egal-Barometer" findest du hier.