WG-Gespräche

Kesselnot im Kessel

10. Febr. 2022
Heute bestellt, morgen da: Egal ob Schaf, Ravioli oder LED-Wasserkocher. Was mein Mitbewohner Karl daran verachtet und wieso Vicky in einen griechischen Gott vernarrt ist.

Ein „Verdammter Mist!“, gefolgt von einem tief seufzendem „Och nööö“ lässt mich aufhorchen. Karl scheint in der Küche zu sein und irgendwas nicht zu stimmen. Neugierig linse ich um die Ecke. Dort steht er, 1,98 m zusammengesackt auf gute 1,70 m. Das ist immerhin so hoch, wie die vier aufeinandergestapelten Kartons vor Vickys Zimmer, an denen ich mich gerade vorbeigezwängt habe – die Frau bestellt so viel, man könnte meinen, sie sei Jeff Bezos Sugar Mommy. Als Karl mich bemerkt, schaut er mich traurig an: „Er hat den Geist aufgegeben, fürchte ich.“ „Du? Ja, das seh ich.“ „Ne, der hier!“ Karl verdreht die Augen und wirbelt mit unserem Wasserkocher vor meiner Nase herum. „Dabei wollte ich mir gerade einen Tee gegen den Stress machen.“ Der Arme.

Es rumpelt, kurz darauf kommt Vicky herein – sie balanciert drei Schüsseln und zwei Cappucinogläser auf einem Teller. Als sie Karl sieht, runzelt sie die Stirn: „Ist jemand gestorben oder so?“ „Unser Wasserkocher…“, sage ich. „Oh schade…wenn er gar nicht mehr geht, brauchen wir wohl einen Neuen“, versucht sie Karl zu trösten. Doch das will er nicht. Man brauche nicht immer alles neu kaufen, meint er. Ich bedeute den beiden kurz zu warten und zücke mein Handy. Vielleicht kann Ebay-Kleinanzeigen ja etwas für uns tun. Ich wähle die Kategorie Verschenken und einen Umkreis von fünf Kilometern. „Ihh, hier verschenkt jemand fünf Kilo abgelaufene Ravioli.. uuund hier kann man Schafe zum Rasenmähen leihen! Die Schwaben meinen’s echt ernst.“ „Ich will die Schafe!“, ruft Vicky mit strahlenden Augen aus. Ich habe sie abgesehen davon, wenn der Hermes-Bote klingelt, selten so begeistert gesehen. „Wir brauchen einen Wasserkocher“, ermahnt uns Karl. „Außerdem haben wir gar keinen Rasen“, gibt er zu bedenken. „Was soll denn das arme Vieh fressen? Deine vertrocknete Minze auf dem Balkon vielleicht?“ Ich schaue raus – die sieht durchaus knusprig aus. Also vorerst kein mähender WG-Zuwachs.

Qualitätsware kennt keinen Verschleiß

Ich setze meine Suche fort, aber außer „defekter Wasserkocher in top Zustand“, was an und für sich schon paradox ist, finde ich nichts. Vicky stöbert derweil in Amazonien. „Schaut mal, der hier ist cool! 1,7 Liter mit LED-Lichtern, für 'nen Zwanni! Mit Prime ist der morgen da.“ „Ja super“, bricht es aus Karl heraus. „Echt?“, Vicky ist überrascht. Sonst ist Karl doch mehr so der Typ, weniger ist mehr – Verfechter des festen Shampoos und der Bambuszahnbürste. „Nee! Nicht superSuper billig, ja. Aber der hält dann wahrscheinlich keine zwei Monate – von der Klimabilanz und Ausbeutung in der Produktion mal abgesehen...“, meint Karl. „Gib mal her das Ding“, sage ich und bete, dass irgendetwas von dem Tüftel-Gen meines Vaters auf mich übergegangen ist. Vielleicht ist der ja doch noch gut. Das scheint sich Karl auch zu denken – während ich mit einer Nagelfeile versuche, die Schrauben des Unterbodens unseres Sorgenkessels zu lockern, dippt er eine Karotte in meinen zwei Wochen alten Hummus. Dass der noch nicht vor ihm davonläuft, wundert mich. „Mein Papa hat noch einen im Keller rumstehen! Der ist bestimmt 20 Jahre alt, aber Qualitätsware kennt keinen Verschleiß“, erinnert Karl sich plötzlich. Sein Vater ist vor sechs Jahren nach Kenia ausgewandert – fragen kostet also nichts. Noch weniger als der neue LED-Hyper-Kocher bei Amazon. 

Als ich am nächsten Tag von der Uni nach Hause komme ist Karl nicht da – auf dem Küchentresen liegt ein Zettel in krakeliger Handschrift: „Wir können ihn haben! Schwinge mich aufs Rad, bis dann“. Zufrieden schiebe ich eine Schüssel mit dem Curry von gestern in unsere Mikrowelle, stelle den Timer auf zwei Minuten und klopfe bei Vicky. Wir quatschen über die Uni und darüber, dass ich eine Kolumne schreiben will, über unsere WG. Mitten im Satz unterbricht uns ein schrilles Kreischen. Es geht von unseren Rauchmeldern aus. Als wir in die Küche gerannt kommen, qualmt die Mikro wie eine alte Dampflok. „Och nööö“, entfährt es uns. Ob Karl im Keller auch noch eine Mikrowelle findet? 

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