Wahlrecht

Schluss mit der Renterdemokratie

Rentner im Wahllokal: Die konservative CDU/CSU bleibt weiter Spitzenreiter
20. Dez. 2020
Die deutsche Politik wird von den alten Menschen dominiert. Immer mehr junge Leute sind besorgt um ihre Zukunft und fordern mehr Mitspracherecht. Könnte eine Altersobergrenze bei den Wahlen dieses Problem lösen?

23. Juni 2016. Der EU-Austritt Großbritanniens – oder kurz: Brexit – ist beschlossene Sache. Viele junge Brit*innen sind fassungslos. Der Großteil von ihnen hatte sich klar gegen das Referendum ausgesprochen. Bei den älteren Generationen herrscht eine ganz andere Stimmung. Mehr als die Hälfte der über 65-jährigen Wähler*innen stimmten für den Ausstieg – mit Erfolg. Von vielen Seiten hagelte es heftige Kritik. Und auch ich frage mich: Warum sollten alte Menschen in solch maßgebenden Fragen entscheiden dürfen? Sie sind es nicht, die mit den langfristigen Konsequenzen leben müssen.

Auch in Deutschland konnte ich bei einigen jungen Wähler*innen bereits die wachsende Sorge vor einer Rentnerdemokratie beobachten. Bei einer Instagram-Umfrage mit über 250 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus meinem Umfeld gaben mehr als 65 Prozent der Befragten an, sich als junge Menschen bei den Wahlen unterrepräsentiert zu fühlen. Und das nicht zu Unrecht:

Am Beispiel der Europawahl 2019 wird schnell deutlich, wer in Deutschland den politischen Ton angibt: Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten sind bereits über 50 Jahre alt. Selbst bei 100 Prozent Wahlbeteiligung blieben die jungen Wähler*innen zahlenmäßig weit unterlegen. Es ist in Deutschland in der Folge ein Ungleichgewicht entstanden, das meiner Meinung nach einen ernstzunehmenden demokratischen Schwachpunkt darstellt.

Die Zahlen sprechen für sich: Junge Wähler*innen sind hierzulande deutlich in der Unterzahl.

Auch Ethiker Dieter Birnbacher sieht Handlungsbedarf. Ihm ist eine stärkere Beteiligung der Jüngeren sehr wichtig – und das auch in den Parlamenten. Die Politik sei in seinen Augen viel zu sehr auf die Zustimmung der älteren Wählerschaft fixiert und vernachlässige daher die langfristigen Belange – ganz besonders die Klimakrise. Aber wen wundert das? Es ist schließlich leicht, ein Problem zu ignorieren, solange man selbst nicht der Leidtragende ist.

Für mich ist klar: Etwas muss sich ändern. Es dürfen nicht die jungen Leute sein, die unter den Fehlern der Alten zu leiden haben. Warum, habe ich mich gefragt, sollte die Rentner-Generation also nicht einfach von zukünftigen Entscheidungen ausgeschlossen werden? Oder besser gesagt: Sollte es in Zukunft eine Altersobergrenze bei den Wahlen geben? Beinahe 40 Prozent der jungen Teilnehmer*innen meiner Online-Umfrage hielten das für eine gute Idee. So einfach ist das aber nicht.

Grundrechte haben kein Ablaufdatum

Ganz außer Frage steht: Eine solche Maßnahme wäre verfassungswidrig. Das Wahlrecht ist fest im deutschen Grundgesetz verankert und Grundrechte sollten meines Erachtens niemals verhandelbar sein. Auch Politikethiker Christian Polke rät von einer Obergrenze ab: „Politik in einer Demokratie ist abhängig von den Basic Rules und das sind bei uns nun einmal die Grundrechte. Alter darf kein Diskriminierungspunkt sein.“

Sieht man davon jedoch einmal ab, wird man mit einer grundethischen Frage konfrontiert: Dürfen wir den alten Menschen ihr Mitbestimmungsrecht nehmen, um jungen Wähler*innen mehr Einfluss auf die eigene Zukunft zu ermöglichen?

Eine Frage, die, wie ich finde, die in einer Sackgasse endet. Egal, wie die Antwort lautet: Eine*r kommt immer zu kurz. Eine solche Entscheidung zu treffen, würde bedeuten, Prioritäten zu setzen, und die sind, wie so vieles, subjektiv. Am Ende darf für mich niemand die Macht haben, zu entscheiden, wessen Rechte von größerer Bedeutung sind.

Davon ganz abgesehen sehe ich es kritisch, zu behaupten, nur junge Menschen wären von politischen Entscheidungen betroffen. Ganz im Gegenteil: Politik geht jede*n etwas an.

Gerade in Zeiten des Pflegenotstands sind es die alten Menschen, die ganz besonders von politischen Entscheidungen betroffen sind. Da sollten wir auf die Stimmen der Alten auf keinen Fall verzichten.

Prof. Dr. Dieter Birnbacher

Der nächste Schritt

Das bedeutet nun aber nicht zwangsläufig, dass sich junge Wähler*innen einfach mit ihrer Situation abfinden müssen. Eine Altersobergrenze ist zwar sicher der drastischste, jedoch nicht der einzige Weg, junge Menschen politisch mehr zu involvieren.

Eine Alternative wäre das umstrittene Wahlrecht ab 16 Jahren. Parteien wie die Linke, die FDP oder BÜNDNIS 90/Die Grünen haben sich in der Vergangenheit bereits für den Gesetzesentwurf ausgesprochen. Auch Dieter Birnbacher plädiert für eine bundesweite Herabsetzung des Wahlalters. Christian Polke rät an dieser Stelle hingegen zur Vorsicht und ruft stattdessen zum intergenerationalen Dialog auf. Für ihn sei es in erster Linie Aufgabe der Parteien, sich innerhalb des eigenen Milieus stärker mit den Interessen junger Menschen zu beschäftigen: „Die Parteien müssen begreifen, dass sie die Lebenswelt der jungen Menschen nicht einfach nur annehmen und für die Wahlen darauf schielen dürfen. […] Sie müssen sich wirklich auf die Entscheidungsprozeduren von jungen politisch Interessierten einlassen.“

Eine Aussage, der ich nur zustimmen kann. Politik ist heutzutage längst nicht mehr nur Sache der alten Anzugträger. Die Jugend will mitreden und kein*e Außenstehende*r, sondern Mitspieler*in sein. Das ist schließlich ihr gutes Recht. Gleichwohl ist es aber nicht die Schuld der alten Menschen, dass ihnen die jungen Wähler*innen zahlenmäßig unterlegen sind. Sie dürfen es nicht sein, die für die Versäumnisse der Politik bezahlen müssen. Ebenso wenig sollte es aber, so finde ich, an der Jugend hängenbleiben, sich ihren wohlverdienten Platz in den politischen Reihen erst erkämpfen zu müssen. Schlussendlich liegt es einzig und allein in der Verantwortung der Regierung, ihr diesen Platz endlich zuzugestehen.

Eines steht für mich jedenfalls fest: In einer Demokratie darf keine Stimme überhört werden. Egal ob alt oder jung.