Großbritannien

Demokratie geht anders!

In zwei Monaten wurden drei verschiedene Premierminister*innen in Großbritannien ernannt.
22. Nov. 2022
Dank seiner Frau ist Rishi Sunak einer der reichsten Männer Großbritanniens. Premierminister ist er dagegen ganz allein geworden. Im zweiten Anlauf und ohne Votum durch Bevölkerung oder Parteibasis. Dabei sollte es endlich Neuwahlen geben. Ein Kommentar.

Nach Boris Johnsons Party-Gate geht es in der Downing Street 10 hoch und runter. Zuerst setzt sich Liz Truss als neue Premierministerin durch. Wenige Wochen später kommt es zu Handgreiflichkeiten im Unterhaus und Truss tritt schneller zurück, als der berühmte Salat des Daily Stars vergammeln kann.

Seit dem 25. Oktober 2022 sitzt nun ein neuer Premierminister in London: Rishi Sunak. Der dritte Konservative in zwei Monaten, der fünfte in sechs Jahren. Wenn das mal kein Beweis dafür ist, dass die Tories nicht mehr fähig sind, Großbritannien zu führen. Sie krallen sich derart verzweifelt an ihre Macht, dass sie dafür sogar in Kauf nehmen einem Mann zu folgen, den die Parteibasis vor ein paar Wochen noch ablehnte und manche Tories sogar als Brutus, Königsmörder und Verräter verunglimpften.

Der Ex-Finanzminister hat mit seinem Rücktritt im Juli den Sturz von Johnson ausgelöst. Im Wahlkampf gegen Truss hat er deutlich verloren. Nun soll er seine Partei und ganz Großbritannien aus der Krise manövrieren, nachdem seine Konkurrentin die 100 nötigen Stimmen für eine neue Mitgliederbefragung nicht zusammenkratzen konnte.

Wie er das genau machen möchte, weiß er selbst noch nicht. Während seiner ersten Ansprache philosophiert er über ein besseres Gesundheitssystem, bessere Schulen, mehr Sicherheit. Es ist das, was wohl jede*r – auch ein*e Passant*in – herunterleiern würde. In der momentanen Krise besteht aber nicht die Frage nach dem „Was“, sondern nach dem „Wie“. Sein einiziges klares Ziel ist, die Wirtschaft zu stabilisieren. Daran sollte er als in Oxford studierter Finanzpolitiker besser nicht scheitern.

Reicher als der König

Aber in dieser Krise geht es eben nicht nur um konstante Märkte, sondern auch um Sozialpolitik. Bei Sunaks Feingefühl für die Schwachen der Gesellschaft kommen jedoch erhebliche Zweifel auf: Während seines Wahlkampfs gegen Truss plaudert er immer wieder darüber, wie nett es doch in seinem Haus in Kalifornien sei. Mit einem geschätzten Vermögen von 730 Millionen Pfund ist er reicher als der König. Klingt nicht nach Realitäts- oder Bürgernähe.

Das Richtige in dieser Situation wären sofortige Neuwahlen. Zuletzt sprachen sich 56 Prozent der Bevölkerung dafür aus. Der*Die Vorsitzende der stärksten Partei würde automatisch Premierminister*in werden und das ist mit doppelt so viel Zustimmung in den Umfragen die Labour-Partei und nicht die Tories.

In den letzten Wochen verzeichnete die Labour Partei einen Stimmzuwachs von 8,4 Prozentpunkten.

Die denken aber gar nicht daran, wie Truss gesagt hat, „mitten im Sturm“ das Schiff zu verlassen. Nach dem Willen des Volkes klingt das nicht. Aber wieso sollte man sich danach richten? Im herrschenden politischen System (King in Parliament) ist das Parlament der Souverän und nicht das Volk. Die Mehrheit des Parlaments hat entschieden, weiter zu ertrinken. Es läuft also alles richtig. Gut für das Land und damit für Parlament oder King ist es trotzdem nicht.

Dass Neuwahlen durchaus Erfolg bringen können, macht 2005 Gerhard Schröder vor. Man mag heute von ihm halten, was man will. Damals hat er erkannt, dass Deutschland seiner rot-grünen Regierung kein Vertrauen mehr entgegenbringt. Er entschied das einzig Richtige: Demokratisch per Wahl entscheiden zu lassen, was und wen das Volk will. Dass er danach herumpolterte und den eigentlichen Sieg für sich beanspruchte, ist wohl auf seine Überraschung über die doch nicht so deutliche SPD-Niederlage zurückzuführen. Trotzdem resultierten aus der Zickerei 16 Jahre erfolgreiche Merkel-Politik plus gut überstandene Wirtschaftskrise.

So wie in Deutschland die SPD nach acht Jahren das Steuer an die CDU abgeben musste, ist es an der Zeit, dass die britischen Konservativen nach einer Dekade der Schlamassel die Seeschlacht eine Zeitlang von Land aus beobachten. Eine andere Partei hat die Chance verdient, sich in dieser schwierigen Zeit Großbritannien und seiner Bevölkerung zu beweisen. Und vielleicht können die Tories dabei noch richtig was lernen.