Krieg

Journalismus an der Front

Journalistin Anastasia Magazova arbeitet im Kriegsgebiet.
06. Apr. 2022
Während Millionen von Ukrainer*innen vor dem Krieg flüchten, reist Journalistin Anastasia Magazova zurück in ihr Heimatland. Ein Interview über das journalistische Arbeiten im Kriegsgebiet.

Anastasia Magazova ist seit 2013 Autorin bei der taz, und seit 2015 Korrespondentin für die Deutsche Welle. Sie wurde 1989 auf der Krim geboren. 2014 wurde dieser Teil der Ukraine von Russland annektiert. Wegen ihrer journalistischen Arbeit wurde sie von den russischen Besatzern auf eine “schwarze Liste von unerwünschten Journalist*innen” gesetzt, was eine akute Gefahr bedeutete. Sie wurde zum Flüchtling im eigenen Land und landete schließlich in Kyiv. Acht Jahre lang berichtete sie unter anderem über die Separatistengebiete im Osten des Landes und den dort seit 2014 schwellenden Krieg. Als Russland im Februar 2022 den Angriff auf das gesamte Land startete, lebte Magazova gerade in Berlin, um dort ein Masterstudium abzuschließen. Um zu berichten, ging sie zurück in ihre Heimat.

Wie haben Sie vom Krieg erfahren?


Ich wurde morgens um vier oder fünf Uhr deutscher Zeit von einem Anruf einer Journalistenfreundin geweckt. Sie war in Kyiv und hat nur gesagt: „Der Krieg beginnt“. (Magazova schüttelt ihren Kopf und klemmt ihre Augen fest zu) Zuerst checkte ich mein Facebook. Ich sah dort eine Karte, die Orte unter Beschuss kennzeichnete. Ich sah das in der Nähe von unserer alten Wohnung in Kyiv Einschläge markiert waren.

Sie sind dann zwei Tage nachdem der Krieg ausgebrochen ist, mit ihrem Ehemann aus Berlin, nach Kyiv gereist. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?


Wir haben uns nicht die Frage gestellt, ob wir gehen sollten oder nicht. Ich wusste, dass mein Platz hier ist. Wir waren vorbereitet und haben uns nur Gedanken darüber gemacht, wie wir dahin kommen sollten.

 „Wir haben uns nicht die Frage gestellt, ob wir gehen sollten oder nicht.“

Anastasia Magazova

Wie war die Reise gegen den Flüchtlingsstrom?


Wir fuhren mit dem Bus zum Nachbarland Polen. Der Busfahrer hatte Angst, zu nah an die Grenze zu fahren, deshalb ließ er uns im Mitten von Nirgendwo raus und wir mussten den restlichen Weg Trampen und die Grenze zu Fuß überqueren. An der Grenze stand eine Masse an Menschen die das Land verlassen wollten. Es war echt komisch, weil uns alle mit fragenden Gesichtern angeschaut haben. Sie sagten: „Was macht ihr? Ist euch bewusst, wie gefährlich es dort ist?“.


Es gab keine Schlange. Es waren nur ich, mein Ehemann und vielleicht noch zehn Männer da, die sich entschlossen hatten, ihr Land zu schützen. Die Reise hat circa zwei Tage gedauert und ich nutzte die Zeit, damit mich darauf vorzubereiten, was ich in den nächsten Tagen, Wochen, hoffentlich nicht Monaten sehen werde.


Haben die Menschen in der Ukraine diesen Krieg erwartet? 


Ja, alle waren vorbereitet. Geheimdienste sagten, dass der Krieg kommen würde. Es war nur nicht bekannt, wann es anfangen sollte. Ich würde schätzen, dass Ende Januar die Menschen angefangen hatten, Rucksäcke zu packen. Sie packten ganz einfache Sachen wie Medikamente oder eine Flasche Wasser ein, um es bei sich zu haben, wenn der Krieg kommt. Es gab auch viele, die das Ganze nicht ernst genommen haben. Ich habe auch nicht geglaubt, dass es passieren könnte. Ich habe mich geirrt, aber ich konnte es einfach nicht glauben.

Kriegssituationen sind besonders auch für Journalist*innen gefährlich. Wie ist es, eine Journalistin in einem Land zu sein, in dem es Krieg gibt? 


In den letzten vier Wochen haben schon so viele Journalisten ihr Leben verloren, es ist unglaublich. Meine zwei Kollegen wurden entführt. (Sie wird von einer Benachrichtigung unterbrochen. Ihre Augen gehen sofort auf ihren Bildschirm) Tut mir leid, es war ein Luftangriffsalarm. Aber es ist alles okay. (Sie führt ihre Antwort fort) Zwei meiner persönlichen Kollegen wurden entführt und zehn andere wurden getötet. Es gibt zurzeit keinen sicheren Ort. Und das ist das größte Problem. (Eine weitere Benachrichtigung ertönt. Sie senkt kurz ihren Blick, spricht aber ununterbrochen weiter) Wir könnten uns die besten Helme aufziehen, diese würden uns aber leider nichts bringen. Außerdem gibt es auch sehr viele bürokratische Umstände, die die Arbeit nicht einfacher machen. Wenn ich beispielsweise in eine befreite Stadt reisen möchte, um dort mit den Soldaten zu sprechen, brauche ich Millionen von Dokumenten und werde zig Mal überprüft. Es ist nicht einfach, unter diesen Umständen.

„Man muss nicht an die Front gehen, um in Gefahr zu sein.“

Anastasia Magazova

Wir kennen den Spruch: „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges.“ Wie kommen Sie an wahrhaftige und zuverlässige Informationen für ihre Berichte?


Ich stimme diesem Spruch zu. In der ersten Woche des Krieges erhielt ich einen Kommentar von einer Frau. Sie meinte, ich sei zu involviert in dieses Thema und bräuchte eine zweite Meinung, um journalistische Standards einzuhalten. (Sie atmet kurz ein) Ich habe aus meinem eigenen Fenster gesehen, wie eine Fernsehstation bombardiert wurde. Fünf Menschen sind dabei gestorben. Ich weiß nicht, was für eine zweite Meinung ich in dieser Situation brauche.


Wenn wir zum Thema Ressourcen kommen, da habe ich Glück, denn ich spreche und kommuniziere mit den Menschen und verstehe auch die politische Situation. Für mich ist es einfacher einzuschätzen, ob ich einer Quelle vertrauen kann oder nicht. Als Journalisten bekommen wir auch zahlreiche Workshops zum Thema Fake News und wie man diese entlarvt. Wir Journalisten müssen doppelt und dreifach die Informationen checken. Und auch wenn wir dadurch nicht die ersten sind, die gepostet werden, ist es besser spät und geprüft Sachen zu veröffentlichen. 

Der ukrainische Präsident Selenskyj nutzt die sozialen Medien sehr aktiv, um mit den Bürger*innen zu kommunizieren. Auch Sie nutzen die sozialen Medien, um Informationen zu teilen und zu erhalten. Welche Bedeutung haben Ihrer Meinung nach die sozialen Medien in diesem Krieg?


Ich denke, da gibt es zwei Seiten. Einerseits ist es der erste Ort, an dem wir Informationen bekommen oder überprüfen. Die Benachrichtigung des Luftangriffs vorhin habe ich beispielsweise durch die Telegram-Kanäle bekommen. Ich nutze Telegram Kanäle, um nicht nur Informationen zu erhalten, sondern auch zu überprüfen. Aber man muss verstehen, dass man bei anonymen Kanälen nicht wissen kann, wer dahintersteckt. Da muss man sehr vorsichtig sein. Auch Beamten nutzen Telegram Kanäle, um mit den Bürgern zu kommunizieren. Zum Beispiel teilen sie Informationen zur Evakuierungen von Städten unter Beschuss. Sie informieren dort, wenn man um eine bestimmte Zeit und über eine bestimmte Straße den Ort einigermaßen sicher verlassen kann. Auf der anderen Seite sind die sozialen Medien eine Quelle für Desinformation und Manipulation. Deswegen muss man wirklich immer die Informationen checken.


Was ist das neue „Normal“ in Kyiv?


Das neue Normal, würde ich sagen, ist leider Kriegsnormal. Am Anfang war es sehr schwer, Wasser, Brot oder Nudeln zu kaufen. Jeder hat das gekauft, was sie in den Läden finden konnten. Jetzt ist es etwas besser. Die Versorgungssituation ist mehr der weniger normal geworden. Man findet keine 55 Nudelsorten, aber man findet zumindest eine und das ist okay. Denn es bedeutet, dass man nicht verhungern wird.

„Ich kann nicht sagen, dass die Stadt gestorben ist, aber es ist sehr ruhig und verlassen gerade.“

Anastasia Magazova

Anastasia Magazova beschreibt die Atmosphäre am 29. März 2022, im damals hart umkämpften Kyiv.

In Ihrem Artikel: „Brot fürs ganze Land“, haben Sie über Menschen in der Ukraine geschrieben, die freiwillig Brot backen, obwohl sie keine Bäcker sind. Wie würden Sie die aktuelle Solidarität im Land beschreiben?


Viele Menschen kaufen nicht nur für sich selbst und ihre Familie ein, sondern auch für die Soldaten und den Leuten, die das Land beschützen. Sie versuchen, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Wenn beispielsweise eine alte Babuschka im Sommer viele Gurken- oder Kartoffelkonserven gemacht hat, teilt sie diese mit der Armee, weil sie versteht, dass sie die Leute beschützen. Auch der Mann, der diese Brot Initiative organisiert hat, sagte, dass er nicht mit seinen Armen kämpfen kann und er Angst hat, aber er helfen möchte, indem er das tut, was er kann – backen.


Woher kommt Ihre Kraft, in diesen schwierigen Zeiten weiterzuarbeiten?


Eigentlich bin ich wirklich sehr müde. Physisch und moralisch. Es gibt Tage, an denen ich denke „Oh mein Gott. Ich weiß nicht, was morgen mit sich bringt.“ Nicht nur für mich persönlich, sondern auch für mein Land. Ich weiß aber auch, dass wenn diese Gedanken kommen, ich noch härter arbeiten muss. Ich muss noch mehr Leute finden, mit denen ich mich unterhalten kann, um ihre Geschichten zu teilen. Ich habe keine Zeit für Trauer.

„Ich versuche keine Heldin zu sein. Ich bin menschlich.“

Anastasia Magazova

Wir wissen, dass wir mit Geldspenden helfen können. Was können wir sonst noch tun, um den Menschen in der Ukraine zu helfen?


Von eurer Seite ist es besonders wichtig, uns informativ zu unterstützen. Ich weiß, dass es in Deutschland Leute gibt, die diese Invasion unterstützen. Und vielleicht könnt ihr mit ihnen sprechen und sie über diese Situation aufklären.

Dieses Interview fand 29.3.2022 im Rahmen der Gesprächsreihe: „Der russische Krieg in der Ukraine - Journalist*innen Gespräche“ statt. Studierende des Studienganges Crossmedia-Redaktion/Public Relations hatten die Gelegenheit, Fragen an den Gast zu stellen. Dieses Gespräch wurde aus dem Englischen übersetzt.