Machtergreifung

Hitlers helfende Hände

Rudolf Heß (rechts) saß gemeinsam mit Adolf Hitler (links) nach dem Hitlerputsch 1923 in Haft in Landsberg.
20. Nov. 2021
1932 war Deutschland ein demokratischer Staat, wenige Jahre später eine gewaltsame Diktatur. Diesen Weg ging Adolf Hitler nicht allein – an seiner Seite waren zahlreiche Unterstützer*innen. Ein Portrait dreier Personen, die ihm auf ihre ganz eigene Weise zur Macht verhalfen.

Im Jahr 1933 kam Adolf Hitler mit seiner Partei, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), an die Macht. Diese Machtübernahme war alles andere als friedlich, sie war geprägt von Propaganda und Gewalt. Doch wie gelang es Hitler, in so kurzer Zeit Diktator zu werden? Rainer Hering, Professor für deutsche Geschichte an der Universität Hamburg, ist der Ansicht, dass Hitler gerade durch seine charismatische Art und gezielte Masseninszenierungen viel Aufmerksamkeit erlangte.

Doch ohne Hilfe war das nicht möglich: Hitler hatte auf seinem Weg zur Macht Unterstützer*innen aus unterschiedlichen Bereichen, wie der Wirtschaft, der Politik oder dem Militär. Darunter gab es finanzielle Helfer*innen, wie Fritz Thyssen. Diese Personen spendeten entweder selbst große Geldsummen oder verschafften Spenden von großen Wirtschaftsorganisationen. Andere halfen indirekt durch die bloße Ausübung ihres Berufes oder direkt als Mitarbeiter*innen Hitlers. Auch das Vermitteln von Kontakten und die Einführung in gehobene Gesellschaftskreise waren wichtig für seinen Aufstieg.

Viele der Unterstützer*innen von Hitler waren Mitglieder der NSDAP. Laut Hering war die Partei unter anderem so erfolgreich, da sie auf moderne Medien wie Rundfunk und Film setzte und gezielt jungen Männern Aufstiegsmöglichkeiten bot. Zudem sprach das Parteiprogramm viele Menschen an, da es massentaugliche Elemente aus unterschiedlichen Bereichen beinhaltete, so der Professor. Aufgrund des verlorenen Ersten Weltkrieges und der schlechten wirtschaftlichen Situation Deutschlands schlossen sich viele der Ideologie Hitlers und seiner Partei an.

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Das Netzwerk beinhaltet lediglich die Beziehungen der Personen zur Hitler und zu den Organisationen, sowie die Verbindungen der Münchner Unterstützer*innen untereinander. (De-)Aktivierung einzelner Gruppen durch Anklicken in der Legende. | Quelle: Paulina Blech, Maike Diedrichs; Eigene Datenerhebung

Die frühen Jahre Hitlers: Münchner Szene

In Bayern begann Hitlers Vision: Hier verbrachte er viel Zeit und vertiefte seine Ideologie. Außerdem gewann er in München in den frühen 1920er Jahren die meisten Unterstützer*innen, die häufig Teil der gehobenen, einflussreichen Gesellschaft der bayerischen Hauptstadt waren. Auch seinen ersten Putschversuch im Jahr 1923 unternahm er dort. Insgesamt knüpfte Hitler 35 wichtige Kontakte in München. Einer davon war Rudolf Heß.

Hitlers treuester Unterstützer

Rudolf Heß ist bis heute als Hitlers Stellvertreter bekannt. Der Loyalste von Hitlers Gefolgsleuten begleitete ihn nahezu bedingungslos – bis in den selbstgewählten Tod. Mit 93 Jahren, nach 46 Jahren Haft, wurde er im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau tot aufgefunden. Bis zu seinem Selbstmord im Jahr 1987 wandte er sich nicht von Hitlers Ideologie ab. Doch wie traf er auf den Diktator?

Mit 14 Jahren emigrierte Heß aus Ägypten, wo er 1894 geboren wurde, nach Deutschland. Um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, begann er eine kaufmännische Ausbildung. Diese brach er zum Beginn des Ersten Weltkrieges ab, um sich freiwillig zum Dienst zu melden. Hier traf er erstmals auf nationalistische Kreise. Während des Studiums in München, welches er nach Kriegsende antrat, wurde er aktives Mitglied in mehreren Verbänden, wie der Eisernen Faust oder der rechtsextremen Thule-Gesellschaft.

Bei einer Versammlung der NSDAP im Mai 1920 traf er erstmals auf Adolf Hitler. Kurz darauf trat er der Partei bei, wo er die Ideologie leidenschaftlich unterstützte. Am Hitlerputsch 1923 beteiligte er sich aktiv, flüchtete nach dem gescheiterten Versuch aber für sechs Monate in die Schweiz. Nach seiner freiwilligen Rückkehr wurde er zu 15 Monaten Haft verurteilt, die er zusammen mit Adolf Hitler in Landsberg absaß. Dort begann seine Karriere als Hitlers Privatsekretär, was sich auch nach der Freilassung fortsetzte. Seine Aufgaben für die NSDAP: Die Schlichtung personeller Konflikte innerhalb der Partei und die Organisation von Hitlers Kontakten zu anderen Parteimitgliedern. Als Person zwischen Hitler und der Partei wurde er zu einem wichtigen Ansprechpartner, was seine zentrale Stellung im Unterstützungsnetzwerk erklärt. Auch im privaten Rahmen wurden der Diktator und sein Stellvertreter zu engen Vertrauten. Auf der Hochzeit von Heß war Hitler Trauzeuge, bei der Geburt seines Sohnes ernannte Heß ihn zum Taufpaten.

Heß blieb bis zum Ende an Adolf Hitlers Seite: vom Gegner der Weimarer Republik, zum Aufbau der Diktatur und auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg. Jedoch blieben nicht alle Unterstützer*innen Hitlers dem Führer so treu.

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Das frühe Netzwerk zeigt Hitlers Kontakte in München bis Ende des Jahres 1924. Die zweite Slide zeigt die Ego-Netzwerke der Portraitierten. | Quelle: Paulina Blech, Maike Diedrichs; Eigene Datenerhebung

Wie Hitlers Pianist zum Feind wurde

Er war Student der Harvard Universität und führte ein bekanntes Kunstatelier in den USA. Zu seinen Kund*innen zählten Charlie Chaplin und Henry Ford. Ernst Franz Sedgwick Hanfstaengl, der von Hitler „Putzi“ genannt wurde, war Teil der hochangesehenen Gesellschaft Amerikas. Er schien weltoffen. Bis zu dem Tag, an dem er Adolf Hitler begegnete.

Im Jahr 1923 trafen der Deutsch-Amerikaner und der Österreicher zum ersten Mal aufeinander. Hanfstaengl verfolgte eine Rede Hitlers in München und wurde von dessen Sprachgewalt in den Bann gezogen. Fortan suchte der Mittedreißigjährige systematisch die Nähe zu Hitler. Und seine Bemühungen zeigten Wirkung. Hitler wurde ein fast täglicher Gast seines Münchener Domizils, in dem Putzi gemeinsam mit seiner Frau Helene und Sohn Egon lebte. Im Hanfstaengl-Haushalt fand Hitler eine familiäre Geborgenheit, die er sonst vermisste. Vom Familienvater ließ er sich oft Klavierstücke vorspielen. Das soll ihn vor großen Auftritten beruhigt haben.

Doch der Pianist hatte einen noch viel wichtigeren Nutzen für Hitler. Denn er brachte ihn in die gehobenen Kreise Münchens, in denen Hitler zuvor nie Anschluss fand. Als Vermittlungsperson verhalf Hanfstaengl ihm, wichtige Kontakte mit späteren finanziellen Unterstützer*innen zu knüpfen. Mit dem Aufstieg Hitlers und der NSDAP veränderte sich Hanfstaengls Position. Im Jahr 1930 ernannte Hitler ihn zum Auslandspressechef der Partei. Damit trug Putzi fortan moralische Mitverantwortung für die Taten des Naziregimes.

Es ist unumstritten, dass Hanfstaengl Antisemit war und den Nationalsozialismus als einzige Rettung Deutschlands sah. Allerdings kamen ihm mit der fortschreitenden Radikalisierung der Partei Zweifel auf, die er laut äußerte. Die Freundschaft zwischen dem Führer und seinem Pianisten litt unter dessen aufmüpfiger Art. Letztlich verfeindeten sich Hitler und Hanfstaengl, der aus Angst vor dem Naziregime zurück nach Amerika fliehen musste. Wie Hering beschreibt, war das für die damalige Zeit nicht unüblich: „Andere innerparteiliche Auffassungen oder potenzielle Konkurrent*innen und Gegner*innen wurden brutal verfolgt”, so der Historiker. Während des Zweiten Weltkriegs stand Putzi der US-Regierung zur Seite, indem er psychologische Berichte über Hitler verfasste.

Hitler und seine Helferinnen

Doch es waren nicht nur Männer, die den Führer unterstützten. Hitler hatte auch zahlreiche weibliche Gehilfinnen, die ihm den Weg zur Macht ebneten. Die „deutsche Frau” sollte nach den Vorstellungen des NS-Regimes Gattin und Mutter sein. Eine Parteikarriere war ausgeschlossen. Dennoch faszinierte Hitler die Frauen – aber warum? Von der NSDAP wurden traditionelle Strukturen – auch in den Geschlechterbildern – vermittelt, die den Frauen Sicherheit in einer als krisenhaft empfundenen Zeit der intensiven Veränderungen versprachen”, erklärt Hering. Nach dem Ende der Monarchie habe gerade die Ausrichtung auf eine Führerpersönlichkeit dem Wunsch vieler nach einer hierarchischen politischen und gesellschaftlichen Ordnung versprochen.

Ein Beispiel für eine frühe Förderin Hitlers ist Elsa Bruckmann. Die 1865 in Österreich geborene Prinzessin Cantacuzène war die Ehefrau des Münchner Verlegers Hugo Bruckmann. Im Jahr 1899 eröffneten die Bruckmanns ihren Münchner Salon, in dem sich regelmäßig gesellschaftlich einflussreiche Personen trafen. Häufig wurde bei diesen Zusammenkünften aus deutschnationalen und antisemitischen Büchern gelesen.

1921 begegnete Elsa Bruckmann bei einer Parteiveranstaltung im Münchner Zirkus Krone zum ersten Mal Adolf Hitler. Fasziniert von seinem Auftreten suchte die deutlich ältere Elsa den direkten Kontakt zu ihm. Sie machte Hitler salonfähig. Es war Elsa Bruckmann, die Hitler schöne Kleidung kaufte, ihm Tischmanieren lehrte und ihm zeigte, wie man Auberginen und Hummer richtig aß.

Die frühe Gönnerin Hitlers nutzte ihre Kontakte, um Sympathisant*innen aus dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum für die NS-Bewegung zu gewinnen. Auch finanziell unterstützte sie die NSDAP mit Spenden. 1928 gründete sie den Kampfbund für deutsche Kultur” – ein Bund mit dem Zweck, die NS-Ideologie bei Kulturschaffenden zu verbreiten. Zwei Jahre später trat sie in die NSDAP ein. Ehrenhalber wurde ihre Mitgliedschaft auf 1925 zurückdatiert.

Die ausgeübte Gewalt während des Zweiten Weltkrieges lehnte Elsa Bruckmann zwar ab, sie distanzierte sich aber nicht von Hitler. 1946 starb Elsa Bruckmann im Alter von 80 Jahren als enttäuschte Hitler-Gläubige.

Im Rahmen unseres edit.-Beitrags führten wir ein Interview mit Rainer Hering.

Auch knapp 80 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs bleibt Adolf Hitlers Werdegang eine wichtige Lehre. Hätte er zu Beginn weniger Gefolgsleute für sich gewonnen, wäre ihm sein Aufstieg dann verwehrt gewesen? Hätten weniger Personen das NS-Regime unterstützt, hätte dann der Krieg, die Zerstörung und der millionenfache Massenmord nicht stattgefunden? Wäre Hitler ohne die Hilfe seiner Verehrer*innen nie vom brotlosen Künstler zum Nazi-Diktator geworden? Das sind Fragen, die sich heute kaum mehr beantworten lassen. Eins steht jedoch fest: Wären in den 1920er-Jahren weniger Menschen dem charismatischen Hitler verfallen, wäre ihm sein Weg an die Macht deutlich schwerer gefallen.

Dieser Artikel bezieht sich auf ein historisches, exploratives Netzwerk, welches die Unterstützer*innen Hitlers auf seinem Weg zur Machtergreifung in den Fokus legt. Dabei wurden die Jahre 1918 bis 1939 betrachtet, wobei ein besonderes Augenmerk auf die frühen 1920er Jahre gelegt wurde. Durch verschiedenste Biographien und Online-Archive wurden so über 100 Personen und Organisationen ausfindig gemacht und genauer analysiert.

Alle erhobenen Daten sind auf Github hinterlegt.

Unsere wichtigsten Quellen:

Longerich, P. (2015). Hitler Biographie. Siedler Verlag.

Thamer, H.(2018). Adolf Hitler: Biographie eines Diktators. C.H. Beck.

https://www.munzinger.de/search/publikationen/personen/az-liste.jsp

https://www.dhm.de/lemo/

https://www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/dauerausstellung/muenchner-biographien/

https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Startseite?title=Hauptseite