Generationenverhältnis

Andere Zeiten - andere Sitten?

Unabhängig der Zeit: In manchen Dingen ist man sich stets einig. Vater und Sohn feiern gemeinsam die Verlobung der Tochter.
29. Juni 2020

Von nützlichen Alltagsweisheiten bis zu Klassikern wie: „Als ich so alt war wie du, lief das noch anders.“ Die Lehren unserer Eltern begleiten uns ein Leben lang. Und nicht immer sind wir einer Meinung. Wie Erziehung unsere Identität beeinflusst und warum Generationenkonflikte wichtig sind.

„Hast du schon den kleinen Machiavelli gelesen?“, fragt er mich.
Ein Buch über Taktiken erfolgreicher Manager.
„Naja, zur Hälfte … Aber bisher ist es ein gutes Buch!“
„Ja. Ich wünschte, mein Papa hätte mir so etwas früher beigebracht."

Dieses Gespräch mit meinem Vater brachte mich zum Nachdenken.
Was lehren uns unsere Eltern? Welches kulturelle Verständnis geben sie uns mit auf den Weg?
Zeit für eine kleine Reflexion. 

„Normen und Werte“

Fangen wir also von vorne an. Bei meinem Großvater Rudolph Reichelt, kurz: Opa Rudi. Nach dem Abitur 1956, studierte er Sport und Germanistik an der Universität Frankfurt. Sehr zum Leidwesen seiner Eltern. Der Vater war nach dem Krieg als Malermeister tätig und der Meinung, dass sein jüngstes Kind mit 21 Jahren auch mal arbeiten gehen könne. Doch Rudi stellte sich dagegen. Er hatte nicht vor in der kleinen hessischen Gemeinde Lehnerz „bei den Bauern“ zu bleiben. Stattdessen wollte er ein bürgerliches Leben führen, in welcher Kultur und Bildung an erster Stelle stehen. Er strebte nach Höherem. Dieser Ehrgeiz war jedoch auch mit einer gewissen Arroganz verbunden. So tat er sich schwer mit Ansichten umzugehen, die nicht seinem Weltbild entsprachen. Mit dem Rock ‘n‘ Roll der Generation seines Sohnes, konnte er später so viel anfangen, wie mein Vater heute mit Deutschrap. Nämlich gar nichts.

Hoch hinaus - Rudolph Reichelt im Segelflieger.

Black Sabbath vs. Beethoven

Dass es Eltern teilweise schwerfällt, das Kulturverständnis ihrer Kinder nachzuvollziehen, ist eine sehr alte Tragödie. Bereits 350 Jahre vor Christus klagte der Philosoph Aristoteles: „Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen“ und sagte den Untergang der griechischen Zivilisation voraus. Doch sind junge Leute wirklich so respektlos und kulturfremd? Nicht unbedingt. Dem Ideal der älteren Generation streben sie trotzdem nicht nach. Was bei Erwachsenen hoch angesehen ist, verpönt die Jugend gewissermaßen von ganz allein. Denn sich von den Eltern abzugrenzen und sich ihnen zu widersetzen ist ein natürlicher Vorgang und entscheidend für die Entwicklung einer individuellen Identität. Es ist wichtig, seine eigenen Erfahrungen zu machen und sich dem Geist der Zeit anzupassen. Ein gewisser „Kulturclash“ ist unausweichlich.

„Ich hatte gehofft, dass du so etwas niemals hörst." Anfangs noch begeistert vom Musikgeschmack seines Sohnes, gefror Opa Rudi bald das Blut in den Adern. „Roll over Beethoven" – „Geh beiseite, Beethoven". | Quelle: Soundcloud

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Natürlich bleiben wir nicht immer jung. Irgendwann sind auch die heftigsten Konflikte mit unseren Eltern begraben. Dann hat man die Chance auf seine Erziehung zurückzublicken. Was war gut? Würde man es genauso machen? Viele derer, die eine glückliche Kindheit und Jugend erfahren durften, folgen dem Weg der Eltern. Wichtig ist es, die für sich selbst negativen Seiten der Erziehung zu erkennen und später zu optimieren. Denn nur wer die eigenen Ansichten und die seiner Eltern, immer wieder überprüft und hinterfragt, bleibt selbstständiger Akteur seines Lebens. Auch Opa Rudi, der so sehr auf „Normen und Werte“ besonnen war, verstand es, seine Kinder liebevoll zu erziehen und ihnen den nötigen Freiraum zu lassen. Dafür sind sie ihm heute noch dankbar. Wenn mein Vater also den Wunsch äußert, mehr von ihm gelernt haben zu wollen, ist das nicht negativ zu verstehen. Rudi hat sich sein Kulturverständnis, mithilfe seiner Frau, selbst erarbeitet und so gut er es konnte an seine Kinder weitergegeben. Genau wie mein Vater es heute mir beibringt.

Wenn ich nun also selbst ein wenig reflektiere, merke ich: Nicht wenig meines Verhaltens habe ich mir von meinem Vater abgeschaut. Das reicht von gesellschaftlichen Ansichten, bis hin zu einem „Pass auf, dass die Teller in der Spülmaschine sich nicht berühren!“ Und wenn meine Schwester seufzend sagt: „Oh man. Du klingst schon wie der Papa", ist das nicht unbedingt als Kompliment gemeint. Stolz macht es mich trotzdem irgendwie. Schließlich zeigt es, wo ich herkomme, wer ich bin und wer ich vielleicht einmal sein werde.