9,58 Sekunden

Ein Ausnahmesportler sorgt für Ausnahme-Momente.
Egal, ob Olympische Sommerspiele oder Leichtathletik-Weltmeisterschaften, das ganze Stadion fiebert von Anfang an dem einen großen Finale entgegen: dem 100-Meter-Sprint der Herren. Es ist fast schon gruselig, wie schnell sich ein Stadion mit nahezu 100.000 Menschen scheinbar auf einmal in ein Geisterstadion verwandeln kann, nur um die Finalist*innen vor dem Startschuss nicht bei ihrer Konzentration zu stören. Alle Augen sind auf einen Athleten gerichtet: Usain Bolt. Der Startschuss ertönt. Das Stadion jubelt und staunt zugleich, wie schnell die Sprinter*innen aus ihren Startblöcken schießen und der Ziellinie entgegenrennen. Spätestens ab der Hälfte der Strecke lässt ein Sprinter all seine Konkurrent*innen hinter sich und rennt in einer eigenen Liga: Usain Bolt – natürlich. Schon erreicht er die Ziellinie. Die Uhr zeigt 9,58 Sekunden an – Weltrekord.
Niemand prägte und dominierte eine Ära der Sprintsport-Königsdisziplin so sehr wie Usain Bolt. In seiner dreizehnjährigen Karriere als Profisportler holte sich Usain Bolt unter anderem acht Goldmedaillen bei Olympia. Er ist bisher der einzige Sprinter, der bei drei aufeinanderfolgenden Olympischen Sommerspielen Gold gewann – sowohl im 100-Meter- als auch im 200-Meter-Sprint. Allein das spricht Bände und macht Usain Bolt zweifellos zum erfolgreichsten Sprinter der Menschheitsgeschichte. Dank seiner zahlreichen Sponsoren und Werbeverträge ist der Jahrhundertsprinter auch der bestbezahlte Leichtathlet aller Zeiten. Ganze sechs Mal wurde er offiziell zum Welt-Leichtathlet des Jahres gekürt, viermal zum Weltsportler des Jahres.
Wenn der Blitz einschlägt, hat niemand eine Chance.
Durch seine beispiellosen Leistungen auf der Rennstrecke hat Usain Bolt seine Konkurrent*innen nicht selten in den Schatten gestellt. Dabei rannten diese die 100 Meter nur ein paar Zehntel langsamer als er, was immer noch Weltklasse ist. Trotzdem redet in ein paar Jahren wahrscheinlich niemand mehr über sie, dafür aber umso mehr über Usain Bolt. Am berühmtesten ist sein Weltrekord im 100-Meter-Sprint, der mit seinen 9,58 Sekunden fast schon übermenschlich wirkt. Dabei erreichte Bolt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 37,58 Kilometern pro Stunde sowie eine Spitzengeschwindigkeit von 44,72 Kilometern pro Stunde. Am Höhepunkt seines Weltrekord-Sprints legte Bolt also 12,42 Meter pro Sekunde zurück. Da ist es kaum verwunderlich, dass alle Welt den Jamaikaner auch unter dem Namen „Schnellster Mensch der Welt“ kennt. Dieser ist so schnell, dass er selbst einem Eisbären auf kurze Distanz entkommen würde. Das größte Landraubtier der Welt schafft nämlich nur respektable 40 Kilometer pro Stunde – vorausgesetzt, es ist nicht allzu fett.
Selbst sein Nachname ist ein Beweis dafür, dass dieser Mann für ein Leben des Sprints geboren wurde: Bolt heißt nämlich Blitz auf Englisch. Jedes Mal, wenn dieser Blitz zum Wettkampf angetreten ist, wusste er selbst sowie alle Zuschauer*innen bereits, dass er gewinnen wird. Jede Person, die also in die Tasche griff und den Inhalt dieser auf Bolt setzte, konnte sich schon auf eine gewonnene Wette freuen. Blickt man nämlich auf die Statistiken, könnte man eigentlich zurecht behaupten, ein Wettkampf hätte überhaupt nicht stattfinden müssen, wenn Bolt einer der Teilnehmer*innen war. Es war ohnehin klar, dass er den Sieg einfahren wird. Warum dem Sieger also nicht gleich die Goldmedaille überreichen?
Gut, dass all diese Wettkämpfe trotzdem stattgefunden haben. Nur so erlebte die Welt immer wieder ein Sprintspektakel, das jede Person für zehn Sekunden gebannt auf den Fernsehbildschirm schauen ließ – egal, ob in Europa, Südamerika, Australien oder sonst wo. Alles wurde für einen Moment stehen gelassen, wenn der 1,96 Meter große Athlet aus Jamaika an die Startlinie ging. Dabei war er stets die Coolness in Person und gestikulierte oft noch kurz scherzhaft, bevor der Wettkampf losging, wohingegen seine Kontrahent*innen sichtlich gestresst wirkten. Letztere wollten sie nämlich unbedingt: die Silbermedaille.
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Die 100-Meter-Strecke ist die Bühne des Unterhalters.
Kaum setzte Usain Bolt einen Fuß ins Stadion, gewann er die Zuschauer*innen für sich. Er verstand es wie kaum ein*e andere*r Sportler*in, die Menge zu unterhalten. Als er dann schließlich seinem Job nachging und im wahrsten Sinne des Wortes mal kurz seine 41 Schritte machte, hätte man meinen können, der Name Bolt sei ein Synonym für Sieg. Wenn man Usain Bolt also bewundert, dann meistens für seine Siegesgewissheit vor dem Wettkampf, für seinen eingefahrenen Sieg nach dem Wettkampf oder eben für beides.

Usain Bolt zu besiegen ist wertvoller als jede Goldmedaille.
Die Sprinter*innen, die Usain Bolt tatsächlich mal in einem Wettkampf geschlagen haben, kann man an einer Hand abzählen – viele sind es nämlich nicht. Einer von ihnen und gleichzeitig größter Bolt-Bezwinger ist der US-Amerikaner Justin Gatlin. Keiner stand so oft in einem bedeutenden 100-Meter-Finale gegen Bolt wie er (fünf Mal). Von allen Konkurrent*innen Bolts erreichte er die beste Durchschnittszeit (9,85 Sekunden) und den besten Durchschnittsrang (zweiter Platz), wenn er es mit Usain Bolt aufnahm. Den ersten Platz belegte aber immer der Blitz aus Jamaika. Nur beim letzten 100-Meter-Finale seiner Karriere musste sich Usain Bolt von Justin Gatlin geschlagen geben. Aus Respekt vor dem „GOAT“ („Greatest Of All Time“) verbeugte sich Gatlin aber trotzdem vor Usain Bolt, nachdem der Wettkampf vorbei war – ein Bild, das in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Bolts Anzahl an Goldmedaillen übertrifft nämlich bei Weitem die Anzahl der Athlet*innen, die ihn in einem Sprint besiegt haben. Das kann auch nicht jede*r Athlet*in von sich behaupten.
Ein kurzer Sprint, der ewig bleibt.
Eins steht fest: Usain Bolts Weltrekorde werden wohl noch ein ganzes Weilchen von niemandem gebrochen werden – allen voran die 9,58 Sekunden im 100-Meter-Sprint. Bolt hat den Sprintsport auf ein zuvor noch nie da gewesenes Level gebracht und durch sein Auftreten Millionen von Menschen inspiriert – oder wie es ein*e Digital Native wahrscheinlich formulieren würde: „Opa kennt Usain Bolt, weil er mal etwas über ihn in der Zeitung gelesen hat. Papa kennt Usain Bolt, weil er mal eines seiner 100-Meter-Finals im Fernsehen gesehen hat. Und ich, ich kenne Usain Bolt, weil ich mit seinem Avatar alle Rekorde in Temple Run geknackt habe. Danke Usain!“