Sportverletzungen

Wenn der 11. Mann fehlt

Raffael Korte hat beim SV Waldhof Mannheim seinen Platz gefunden.
20. Mai 2019

Verletzungen gehören zum Alltag eines Profifußballers. Auf einen Schlag können sie den normalen Ablauf auf den Kopf stellen. Doch was macht es mit ihm, so plötzlich aus seinem gewohnten Umfeld gerissen zu werden?

Es knackt im Knie, höllische Schmerzen schießen ein. Als Profisportler weiß man, dass einem das Kreuzband gerissen sein muss.

So ging es Raffael Korte zuletzt im August 2017, als er sich im Training für den damals Viertligist SV Waldhof Mannheim verletzt. Nach der Operation für den Kreuzband- und Meniskusriss fehlte er neun Monate. Zu der Zeit war er erst kurz im Verein und hatte bloß sechs Spiele bestritten.
Den ersten Kreuzbandriss zog er sich in seiner Zeit beim Zweitligisten 1. FC Union Berlin zu, ebenfalls im Training. Damals brauchte er acht Monate bis zur vollständigen Genesung. Raffael kann also von den Unterschieden der Ligen erzählen und von der Einsamkeit, die die Ferne zur Heimat mit sich bringt. Aufgewachsen in Speyer, spielte er in den letzten zehn Jahren in Braunschweig, Saarbrücken, Berlin und schließlich in Mannheim.

Die Verletzung verändert viel

Den Kontakt zur Mannheimer Mannschaft hatte er schon vor seinem Wechsel über seinen Zwillingsbruder Gianluca, der ein Jahr früher dorthin wechselte. Raffael freundete sich mit den Kollegen an. „Das ist von meinen Mannschaften eine von denen, in der man sich untereinander am besten versteht.“ Man merkt, wie wohl er sich dort fühlt, wenn er von seinen Mitspielern erzählt. Gemeinsames Training, immer wieder sind sie zusammen in der Stadt Mittagessen gegangen – man kennt sich auch außerhalb vom Platz. Nach der Verletzung ist das vorerst vorbei. „Natürlich bist du dann erst mal weg“, sagt Raffael.

Nach der Operation in Berlin folgt die Reha in Mainz. Ganz bewusst hat er sich für diesen Ort entschieden, weil dieser nah an seinem Zuhause ist. Den anstrengenden Reha-Alltag konnte er dadurch bei der Familie ausklingen lassen und manchmal die Kollegen treffen. Das sei in Berlin anders gewesen, erzählt er. Viele Spieler kamen aus anderen Regionen, waren auch hauptsächlich für den Job in der Stadt und nach dem Training oft mit der Freundin unterwegs, die als Spielerfrau mit dorthin gezogen ist. „Man ist schneller weiter weg von der Mannschaft. Wenn man bei den Spielen ist, merkt man zwar, dass man dazugehört, aber die Jungs untereinander reden anders.“ Darin liegt der Unterschied zu seinem Team beim SV Waldhof Mannheim. „Das hatte ich hier gar nicht, da war ich ein voller Teil der Gruppe, obwohl ich so lange verletzt war. Das sieht man auch daran, wie sich alle gefreut haben, als ich wieder zurückgekommen bin.“

„Hier war ich ein voller Teil der Mannschaft, obwohl ich verletzt war.“

Raffael Korte, Fußballspieler

Zwischen der Verletzung und dem Wiedereintritt ins Spiel können Wochen oder Monate liegen. Chirurgen, Physiotherapeuten, Mannschaftsärzte und schließlich die Trainer kümmern sich um den Verletzten. Alle wollen ihn wieder auf dem Platz sehen, dafür wird er bezahlt.

Nach der langen Pause ist die Freude über jedes Tor umso größer.

So viel hängt von dem Umfeld ab

Für viele steht Leistung und Ertrag im Profifußball in keinem Verhältnis, aber für die Spieler hängt davon ihre Existenz ab. So haben Fußballer – wenn ihre Karriere gut läuft – 15 Jahre, um Geld zu verdienen. Während der Karriere arbeiten sie eine Sieben-Tage-Woche, kennen kein Wochenende und frei haben sie zweimal im Jahr, insgesamt vier Wochen. Während denen arbeiten sie trotzdem weiter an ihrer Fitness. Danach ist ihr Körper kaputtgespielt. Eine Berufsausbildung haben die Wenigsten, viele fangen aber noch während der aktiven Spielzeit ein Studium an. Ein soziales Leben zu haben schaffen sie trotzdem. Ihre trainingsfreien Nachmittage nutzen sie, um Freunde und Familie zu treffen.

Dieses Netzwerk ist vor allem nach einer Verletzung wichtig. „Davon hängt viel ab“, so Psychotherapeutin Rosmarie Lipp. Sie kennt die Problematik, dass sich spontane Änderungen im sozialen Umfeld schwerwiegend auf die Psyche auswirken. Die gewohnte Umgebung aus Mitspielern und Trainer weicht für die abgekapselte Reha. „Dass die Leistung nach einer Verletzung nicht mehr erbracht werden kann, ist oft ganz schwer zu verarbeiten, weil man sich darüber sehr identifiziert. Man verliert seinen Platz, den man sich über eben diese Leistung erspielt hat.“ Die Frage, ob die Spieler psychologisch betreut werden sollten, bejaht sie. Vor allem, wenn eine Verletzung zum Karriereende führt oder bei jungen Spielern sei das hilfreich.

„Es kann traumatisch sein, wenn jemand seinen Platz, für den er viel Anerkennung bekommen hat, verliert.“

Rosmarie Lipp, Psychotherapeutin

Raffael Korte hatte diese Unterstützung von seinem Umfeld, sowohl mental als auch ganz praktisch. Einen extra Therapeuten brauchte er während der Verletzung nicht, sagt er. An einem schlechten Tag seien die Physiotherapeuten auch dafür da. Nach der Operation konnte er sein Knie nicht benutzen, nicht alleine das Bein anheben, geschweige denn laufen. Er war auf andere angewiesen.

Mental hat ihm in der Zeit sein Zwillingsbruder sehr geholfen. Dieser kennt die Situation von seinem eigenen Kreuzbandriss und nahm sich jeden Tag die Zeit, um zu telefonieren und nachzufragen, wie es Raffael geht. Dadurch war auch der Kontakt zu den Mitspielern leichter. Als er wieder mobiler war, ging Raffael zu den Heimspielen mit ins Stadion. „In der Verletzungszeit sieht man das Spiel anders. Ich bin wesentlich angespannter, wenn ich meinem Bruder zuschauen muss und fiebere bei jeder Aktion mit. Und ich hab‘ mich auch schon erwischt, dass ich daheim vor dem Fernseher rumbrüll‘, wenn er spielt und irgendetwas nicht funktioniert.“

Raffael Korte, 28 Jahre alt, SV Waldhof Mannheim. Neun Monate ausgefallen wegen einem Kreuzbandriss.

Wie anstrengend die Reha ist, erzählen alle drei Gesprächspartner. Man will etwas, das man nicht haben kann. Dass sie darunter leiden, sieht man ihnen an, sobald sie darüber sprechen. Es kribbelt ihnen förmlich in den Füßen. Sie wollen wieder an den Ball. 

Dann zurück zu sein sei ein unbeschreibliches Gefühl: „Das ist so ein Punkt, auf den man hinarbeitet. Einfach wieder dabei zu sein, im Training die kleinen Übungen mit dem Ball machen zu können. Da mit den Jungs wieder auf dem Platz zu stehen, das ist, wofür man das macht“, sagt Raffael. Das erste Mal wieder den Rasen des Stadions unter den Füßen zu spüren. Das erste Mal seit Langem ein Spiel mit der Mannschaft, die sich so auf seine Rückkehr gefreut hat. Die Anspannung sei dieselbe wie vor jedem Spiel, erzählt er. Nur seine Freude ist sichtbar größer, als er in der 83. Minute sein erstes Saisontor schießt. Er holt den Ausgleich im Spiel gegen Wormatia Worms. Der Kommentator jubelt, das Stadion bebt. Damit ist seine Rückkehr perfekt.