Corona-Maßnahmen

Wenn Corona vorbei ist

Die Maske hat durch die Corona-Pandemie einen Symbolcharakter erhalten.
14. Mai 2021
Wer träumt nicht vom Ende der Pandemie? Doch restlos verschwinden wird das Virus wohl nie. Eine Konfrontation mit der Realität.

Seit zwei Jahren habe ich viele meiner Verwandten, die im Ausland leben, nicht mehr gesehen. Wir schreiben oder telefonieren miteinander und immer wieder kommt dann die gleiche Frage. „Wann kommt ihr denn endlich wieder zu uns?“ Das fragt mich meine Cousine aus dem Kosovo. Auf einmal überkommen mich Traurigkeit und Fernweh. Während ich mein Handy in der Hand halte und die Stimmen meiner Verwandten höre, träume ich mich zurück in den letzten Urlaub bei ihnen. Auch wenn einen die Hähnen frühmorgens aus dem Schlaf krähten, startete man voller Energie in den Tag. Wenn ich aus dem Haus trat, sah ich schon meine Eltern, Großeltern, einige Tanten, Onkel sowie Cousinen und Cousins auf der Terrasse sitzen. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand und Keksen auf dem Tisch, unterhielten sie sich. Ich atmete tief ein, genoss die frische Luft, die stets in diesem kleinen albanischen Dorf herrschte, und fühlte die Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Ein Gefühl von Freiheit und Entspannung. Zum Essen saßen wir immer zu dreißigst zusammen an einem Tisch und freuten uns, wieder zusammen zu sein. Als meine Cousine erneut fragt: „Wann kommt ihr denn?“, holt mich ihre Stimme in die Realität zurück. Die traurige Realität, in der es illegal wäre, wenn ich so viele meiner Verwandten sehen würde. Dreißig Personen? Geht’s noch? Es sind maximal fünf erlaubt! Die traurige Realität, die von Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und einer Maskenpflicht bestimmt ist. Durch die ich ein weiteres Jahr in unserer kleinen Wohnung mitten in der Stadt bleiben darf, umgeben von hupenden Autos und schlechter Luft – anstatt mit meiner Großfamilie auf dem Balkan zu sein. „Wir kommen hoffentlich bald wieder. Wenn Corona endlich vorbei ist“, antworte ich schließlich auf die Frage meiner Cousine. Auch bei vielen anderen Bekannten habe ich diesen Satz schon oft gehört.

Ein kurzer Rückblick zum März 2020, als wir alle dachten, der Corona-Lockdown würde nur drei Wochen dauern. Und hier sind wir nun, über ein Jahr später, inmitten der dritten Welle. Wenn man die momentanen Maßnahmen sieht, vermisst man doch glatt den ersten Lockdown und die anfänglichen Maßnahmen. Zurecht sehnen wir uns nach unserem alten Leben und stellen uns vor, wie wir wieder Freunde treffen, auf Konzerte und in Restaurants gehen.

Man versucht, anderen Menschen Mut und Hoffnung zu machen, indem man über die Zukunft nachdenkt und Pläne schmiedet. In zwei Jahren blicken wir auf Corona zurück und lachen darüber. Schon einige Male hörte ich meine Freunde Dinge sagen wie: „Meinen Enkeln werde ich später erzählen: In meiner Jugend war es sogar illegal, andere Menschen zu umarmen. Es gab auch eine Zeit, in der man sich um Klopapier gestritten und geschlagen hat.“ So amüsant das jetzt klingen mag, es zeigt doch eigentlich die Frustration und Angst, die in unserer Gesellschaft herrscht. Indem man andere Menschen ermutigt, versucht man sich selbst die Angst zu nehmen. Die Angst vor dem, was mit unserer Gesellschaft geschieht. Die Angst davor, was noch auf uns zukommt. Eine derartige Veränderung ist für die meisten Leute eine große Umstellung und unvorstellbar. Aus diesem Grund wünscht man sich ein baldiges Ende dieser Pandemie und eine Rückkehr zur Normalität. Doch hier muss ich leider eure Hoffnung zerstören. Dass Corona komplett weg sein wird, ist eher eine Wunschvorstellung.

Auch der Wirtschaftswissenschaftler Bary Pradelski meint, dass das Virus nicht einfach verschwinden wird. Gegenüber der New York Times sagte er, dass man eher eine „lokale Eliminierung“ erreichen wolle. Denn wenn die Zahl der Neuinfektionen sehr gering ist, können die Fälle leichter nachverfolgt werden. So könne man einen stärkeren Ausbruch verhindern. Außerdem würde der Wunsch nach einer Herdenimmunität immer weiter in die Ferne rücken, wie der Corona-Experte Anthony Fauci gegenüber der New York Times erklärte. Denn durch die immer rasantere Verbreitung, Impfskepsis und neu auftretende Mutationen, werde es immer unwahrscheinlicher, dass ein großer Teil der Bevölkerung bald komplett immun sein wird. Man geht eher davon aus, dass das Virus mit der Zeit saisonabhängig werden könnte (ähnlich wie eine Grippe), sollte die Zahl der Geimpften weiter ansteigen. Es könnte zwar noch immer zu Todesfällen kommen, doch die Bedrohung wäre viel geringer. Wie viel geringer das sein würde, hängt unter anderem davon ab, wie viele Menschen innerhalb der Länder und weltweit geimpft werden und wie sich das Virus entwickelt.

Aber glücklicherweise gibt es noch unsere herzallerliebsten Masken. Sie sind schon in Nullkommanix zum Symbol dieser Pandemie geworden, denn durch diese schützen wir uns vor dem bösen Corona-Virus. Als Bund und Länder die Maskenpflicht im Januar 2021 verschärften, reichte eine einfache Mund-Nasen-Bedeckung nicht mehr. In öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften müssen seitdem medizinische Gesichtsmasken getragen werden.

Doch was bringen Masken eigentlich? Um ihre Funktion zu verstehen, muss man zunächst wissen, wie man sich überhaupt mit dem Virus anstecken kann. Am häufigsten erfolgt eine Ansteckung über eine Tröpfcheninfektion oder durch Aerosole. Letztere sind deutlich kleiner sowie länger in der Luft. Sie fliegen sogar beim Sprechen oder Atmen durch die Luft, wodurch man diese leicht einatmen kann – sogar aus mehreren Metern Entfernung. In der Lunge können diese dann das Corona-Virus auslösen. Wenn man also im Bus sitzt und die vielen Menschen einem geradezu auf die Pelle rücken, helfen Masken, diese Tröpfchen und Aerosole abzuhalten. So senkt man das Risiko, andere Menschen zu infizieren. Umso größer der Abstand zwischen den Menschen ist, desto effektiver sind auch die Masken. Denn so müssten die Teilchen einen weiteren Weg zurücklegen, um in die Lunge zu gelangen. Deshalb wird beim Einkaufen oder an Warteschlangen auch stets darauf bestanden, den Abstand einzuhalten.

Gut, dann scheinen die Masken also doch ganz nützlich zu sein. Allerdings sind sie gleichzeitig auch eine ständige Erinnerung, dass wir von unserem normalen Leben noch unendlich weit entfernt sind. Das Virus hingegen ist noch immer da. Aus diesem Grund sehnen sich alle danach, die Masken endlich nicht mehr tragen zu müssen. Genauso wie High-School-Absolventen in den USA darauf warten, ihren Abschluss zu erhalten. Mit ihren Roben stehen sie voller Freude bereit und warten darauf, ihre Absolventenhüte in die Luft zu werfen und das Ende dieses Lebensabschnittes zu feiern. So warten die Menschen auch auf die Ankündigung, dass die Corona-Pandemie vorbei ist, die Masken nicht mehr benötigt werden und man diese endlich in die Luft schmeißen kann.

Für alle, die genug von den Masken haben: Hier muss ich euch leider wieder mit der Realität konfrontieren. Der Strömungsphysiker Christian Kähler vermutete gegenüber dem ZDF, dass wir die Masken sicherlich noch dieses und kommende Jahr tragen müssten. Denn auch, wenn sich viele Menschen impfen lassen, würden noch nicht alle Bevölkerungsgruppen versorgt werden. Außerdem mutiert das Virus stetig weiter. Deshalb sind die Masken weiterhin von großer Bedeutung, denn die Pandemie sei noch längst nicht vorbei.

Neben den ganzen Beschwerden über die Corona-Maßnahmen und die Maskenpflicht hätten wir aber fast übersehen, dass diese auch etwas Gutes haben. In der letzten Grippesaison gab es im Vergleich zu vorherigen Jahren kaum Menschen, die sich angesteckt haben. Laut der Tagesschau waren es gerade mal 500 Fälle – was es seit dreißig Jahren noch nie gab. Susanne Johna, Vorsitzende des Ärzteverbands Marburger Bund, betonte gegenüber dem ZDF, dass Masken nicht nur vor Corona-Viren schützen, sondern auch vor Viren, die Erkältungen oder Grippeerkrankungen verursachen.

So wäre es doch ganz sinnvoll, diese Maßnahme auch nach dem Ende der Pandemie beizubehalten, besonders in den Wintermonaten. Die asiatischen Länder machen uns das nämlich schon seit langem vor. Während die meisten europäischen Länder von einem in den nächsten Lockdown übergehen, sieht das in vielen Teilen Asiens ganz anders aus. Denn das Tragen einer Maske ist dort schon längst etabliert. Viele tragen auch in Nicht-Pandemie-Zeiten eine, besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln. So kann man andere Menschen vor einer Ansteckung bewahren, wenn man selbst krank ist. Ein anderer Grund ist die hohe Luftverschmutzung. Sie haben aber auch aus früheren Erfahrungen gelernt. Durch bereits erlebte Epidemien waren ihnen die Situation und die verbundenen Maßnahmen schon bewusst. Während sie schon zu Beginn 2020 zusätzliche Masken produzierten und einlagerten, wurde in Deutschland noch über den Nutzen von Mund-Nasen-Bedeckungen gestritten.

Auch wenn die Bundesländer momentan keine Verlängerung der Maskenpflicht über diese Pandemie hinaus planen, könnten wir sie dennoch nutzen – auf freiwilliger Basis. Denn die Corona-Krise hat ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass man rücksichtsvoll mit anderen Menschen umgehen und auch auf diese achten soll. Beispielsweise, dass Leute mit Grippesymptomen eine Maske tragen. Dadurch kann man zum Schutz anderer Personen beitragen.

So schlimm diese Zeit auch sein mag, sie hat unser Verständnis in vielerlei Hinsicht positiv geprägt. Anstatt mit Angst auf die Zukunft zu blicken, sollten wir erkennen, dass eine Veränderung auch ihre Vorteile mit sich bringen und die Gesellschaft weiterentwickeln kann. Wer weiß, vielleicht sitze ich in einem Jahr wieder mit meinen dreißig Verwandten im Kosovo am Tisch. Werden wir dann über Corona lachen? Keineswegs. Aber wir werden daran gewachsen sein. Und wenn einer von uns ein leichtes Kratzen im Hals haben wird, setzen wir sofort eine Maske auf – als wäre es die normalste Sache der Welt.