Literatur
Kreative Auszeit oder Monate im Krisenmodus?

22 Dec 2020
Die Pandemie hat die Kultur stark getroffen, doch nicht nur Künstler*innen und Musiker*innen beklagen sich über ausgefallene Veranstaltungen, auch die Literaturbranche ist betroffen. Sechs Autor*innen sprechen über ihre Erfahrungen und Herausforderungen während der Pandemie.Für den einen oder anderen bedeutet die Zeit des Lockdowns, dass nun häufiger zu einem Buch gegriffen wird. Denn Geschichten helfen uns gerade jetzt, den Alltag hinter uns zu lassen und in neue Welten einzutauchen. Doch nur die wenigsten von uns werden sich fragen, wie die Pandemie den*die Autor*in des Buches, welches wir gerade lesen, betrifft.
Bei einem Ausfall von rund drei Viertel seiner Lesungen muss der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm dieses Jahr auf viele Reisen verzichten. Er ist normalerweise sehr gerne unterwegs und lebt als Autor davon, dass Dinge in seinem Leben geschehen, die ihn zum Schreiben anregen. So ist es nicht verwunderlich, dass digitale Alternativen ihn nicht sonderlich ansprechen. „In eine Computer-Kamera rein zu lesen macht einfach nicht gleich viel Spaß, das ist nicht dieselbe Konzentration. Ich habe es auch nicht oft gemacht, nur zwei, drei Mal. Das ist eine Notlösung.“
Stattdessen schrieb Stamm ein Corona-Tagebuch auf Einladung des Aargauer Literaturhauses Lenzburg, in welchem er seinen Alltag und seine Gedanken während der Pandemie festhält. Dort erzählt er auch, wie die Zeit, in der ein Buch entsteht, immer Einfluss auf den Text hat. Das hat Peter Stamm auch direkt zu Beginn des Lockdowns gemerkt, als er mit dem Schreiben seines nächsten Romans anfing. „Am Anfang war die Pandemie sogar real drin, im Text. Die hat sich da so eingeschlichen, sie hat den Text infiziert. Das habe ich dann wieder herausgestrichen, aber in der Stimmung des Buches ist es ganz bestimmt noch da.“
Neben diesem Roman hat der Schriftsteller während der Pandemie auch ein Kinderbuchprojekt angefangen. Dafür, sagt er, hätte er ohne die Pandemie vielleicht keine Zeit gehabt. Dass Peter Stamm sich seine Projekte selbst aussuchen und Texte schreiben kann, auf die er Lust hat, war ihm immer wichtig. Deshalb bildete er Reserven, die ihm jetzt helfen, da die vielen Lesungsausfälle auch finanzielle Auswirkungen haben.
Eliza Mintcheva und Alicia Wenzel sind Jungautorinnen des Literaturhauses Stuttgart. Momentan ist das Schreiben nur ein Hobby, denn zurzeit sind sie noch damit beschäftigt, an ihren Debütromanen zu schreiben. Eine erste kleine Veröffentlichung in einer Anthologie war dieses Jahr dennoch zum Greifen nah, musste jedoch coronabedingt ausfallen.
Für ihr Schreiben hatte der Lockdown jedoch auch Gutes, denn so hatten sie teilweise mehr Zeit und Ruhe um sich auf ihre literarischen Werke zu konzentrieren.
Der neue Roman „Eines Menschen Flügel“ von Bestsellerautor Andreas Eschbach erschien Ende September – direkt vor dem zweiten Lockdown und vor seinem geplanten Besuch auf der Buchmesse mit anschließender Lesereise. Beides fiel nun aus, doch für den in der Bretagne lebenden Schriftsteller war das nicht so schlimm. Denn selbst wenn ihm der Kontakt und die Kommunikation mit den Leser*innen fehlen, das Reisen vermisst er nicht.
Seinen Arbeitsalltag hat die Pandemie nicht verändert, mit seinen Lektoren kommuniziert er bereits seit 20 Jahren per Mail. Inhaltlich könnte die Corona-Pandemie jedoch eine Rolle spielen. Da viele seiner Bücher in der Zukunft handeln, wird er sich Gedanken machen, wie er in seinen nächsten Büchern den Alltag der Menschen beschreiben wird.
Auch bei Kirsten Boie, einer der erfolgreichsten Kinderbuchautorinnen Deutschlands, warf die Pandemie zunächst einmal die Jahresplanung durcheinander. Wie bei ihren Kolleg*innen wurden Veranstaltungen schlagartig abgesagt – was einen finanziellen Einbruch bedeutete. Denn gerade im Kinderbuchbereich können nur die wenigsten Autor*innen von den Einnahmen der Buchverkäufe leben. Da von Kirsten Boie bereits über 100 Bücher veröffentlicht wurden gehört sie zu den wenigen Privilegierten, weshalb für sie die Einbußen nicht bedrohlich waren. Neben dem finanziellen Aspekt vermisst die Schriftstellerin jedoch am meisten den Austausch und den Kontakt mit den Kindern, denn dieser gibt ihr den Ansporn, weiter zu schreiben.
Allerdings sieht die Schriftstellerin auch Chancen in der Corona-Krise. Um Kindern neben dem Homeschooling eine Abwechslung zu bieten, suchte sie bereits im März nach digitalen Lösungen und bot Lesungen über die verschiedensten Kanäle an. Nach einer Weile kamen jedoch Bedenken auf. „Wir haben dann ja alle viele solche Lesungen angeboten. Das hat aber auch dazu geführt, dass nun im Internet ganz viele digitale Lesungen abrufbar waren, ohne dass irgendwer dafür zahlen muss“. Um zu verhindern, dass Autor*innen genau wie anderen Kulturschaffenden dadurch ihre Existenzgrundlage entzogen wird, gibt es einen Aufruf Kulturschaffender, auch im Internet nichts mehr ohne Honorar anzubieten. Dem schließt sich auch Kirsten Boie an, die sich digitale Angebote so auch nach der Pandemie als Ergänzung vorstellen kann.
Auch Larissa Schleher ist Teil des Schreibzirkels des Literaturhauses Stuttgart. Im Gegensatz zu vielen anderen Jungautor*innen wurden ihre Texte bereits in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Doch damit lässt sich kein Lebensunterhalt bestreiten und so verdient die junge Schriftstellerin neben ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft ihr Einkommen durch Wettbewerbe, Lesungen und insbesondere Stipendien. Ihre Stipendien konnte sie zum Teil digital zu Ende führen und musste so weder auf die Erfahrung noch auf das Honorar verzichten. Digitalen Alternativen steht sie dennoch kritisch gegenüber.
Für diese sechs Autor*innen hat die Pandemie ganz unterschiedliche Auswirkungen. Manche nutzen sie als Auszeit für das Schreiben, einigen fehlt jedoch auch ein großer Teil des Einkommens. Neben diesen Einzelsituationen ist jedoch auch die gesamte Literaturbranche betroffen. Laut Nina George, Präsidentin des European Writers‘Council Buchläden hatten Buchläden während des ersten Lockdowns einen Umsatzverlust von bis zu 85 Prozent und allein von März bis Mai fielen Schätzungsweise rund 4.000 Lesungen in Deutschland aus. Deshalb hofft nun die gesamte Branche, dass sich die Situation 2021 verbessert.