Kultur in der Krise

Wenn das Publikum zuhause bleibt

Konzerte auf dem Sofa genießen - eigentlich schön, für Künstler*innen und Konzerthäuser aber problematisch.
26. Juni 2020

Die Corona-Krise trifft die Kulturbranche hart. Konzerte werden abgesagt, proben geht nur mit Abstand oder allein im eigenen Wohnzimmer und fehlende Einnahmen bedrohen die Existenz vieler Künstler*innen. Das Festspielhaus Baden-Baden und die Berliner Philharmonie zeigen, wie Kultur auch in der Krise funktioniert. Eine dauerhafte Lösung ist der digitale Weg aber nicht.

„Unser Intendant kam zur Probe und musste den Künstler*innen sagen: ‚Wir müssen abbrechen.‘ Da gingen wir noch von einer Unterbrechung aus. Dass uns die Schutzmaßnahmen so überrollen würden, damit haben wir nicht gerechnet“, erinnert sich Rüdiger Beermann vom Festspielhaus Baden-Baden. Er spricht von der Absage der Osterfestspiele, ein Highlight im Jahresprogramm des Konzerthauses. Erst wenige Wochen vor Festivalauftakt wurde klar, dass zwei Jahre Planung und acht Wochen Probearbeit umsonst waren. Mittlerweile musste das Festspielhaus seine Saison 2019/20 frühzeitig beenden. Ob und wie es im September weiter geht, weiß niemand.

Kurzfristige Absagen wie diese sind kein Einzelfall, vielmehr bestimmen sie den Alltag von Kulturinstitutionen und Konzertveranstalter*innen in ganz Deutschland. Die Corona-Pandemie und die Kontaktbeschränkungen machen es unmöglich, den normalen Betrieb weiterzuführen. Für die Kunst- und Kreativwirtschaft könnte das laut Bundesregierung hohe Verluste bedeuten.

Loading...

Loading...

Um den Inhalt anzuzeigen müssen Sie zuvor der Nutzung von Marketing Cookies zustimmen.
Vor allem selbstständige Künstler müssen mit Einbußen rechnen. | Quelle: Maren Krämer | Quellen siehe Grafik

Die Krise trifft auch Künstler*innen wie Raphael Haeger, Schlagzeuger bei den Berliner Philharmonikern. Eigentlich hätte er an den Osterfestspielen in Baden-Baden mitgewirkt, seit 2013 kooperiert sein Orchester dafür mit dem Festspielhaus. Stattdessen veranstalteten die Berliner ein kostenloses Osterfestival in der „Digital Concert Hall“. Das normalerweise kostenpflichtige Angebot wurde 2008 für internationale Fans geschaffen, die Konzerte nicht vor Ort erleben können. Seit der Schließung der Philharmonie im März wird die Plattform zusätzlich zu Archivaufnahmen und Interviews auch mit eigens dafür produzierten Kammermusikkonzerten bespielt. Möglich ist das nur unter Einhaltung der Abstandsregeln und mithilfe eines Strategiepapiers, das mehrere Berliner Orchester mit der Berliner Charité entwickelt haben.

Konzerte ohne Publikum - für die Berliner Philharmoniker eine seltsame Situation.

Die Digital Concert Hall ist eine Seltenheit. Viele Konzerthäuser haben nicht die technischen Möglichkeiten, um qualitativ hochwertige Aufnahmen anbieten zu können. Im Fall des Festspielhauses komme hinzu, dass die Lizenzen für Archivaufnahmen meistens bei externen Produzenten wie dem SWR oder arte liegen, erklärt Beermann. Außerdem habe man kein eigenes Ensemble und arbeite für jede Veranstaltung mit auswärtigen Künstler*innen zusammen, die eigene Medienpartner besitzen.

Digitale Alternativen müssen erst gefunden werden

Eine Kooperation mit der Klassik-Streaming-Plattform takt1 ermöglicht es, in Absprache mit den Produzenten dennoch eine digitale Alternative anzubieten, die auch die Künstler*innen finanziell ein wenig unterstützt - wenn auch nur symbolisch. „Uns war es wichtig zu zeigen, dass Kunst nicht immer überall kostenlos verfügbar sein kann“, betont Beermann. Das Festspielhaus generiere damit aber keine Einnahmen. Zudem verweise man auf die Angebote der Partner-Ensembles und leiste auch ein Stück weit digitale Aufklärungsarbeit: „Unsere Zielgruppe ist hauptsächlich Ü-50. Da gibt es ein großes Spektrum an digitalem Nutzungsverhalten - von Anfänger*innen bis zum smarten „Silver-Surfer“, der oder die uns erklärt, wie es digital zuzugehen hat."

Das echte Konzerterlebnis könne man laut Philharmoniker Haeger aber nicht digital ersetzen. Neben der Akustik und der Atmosphäre im Saal fehlt ihm als Musiker vor allem die Interaktion mit dem Publikum, das gemeinsame Erleben der Musik.

„Ich bin Musiker, ich möchte für die Leute spielen! Und es geht relativ schnell, dass mir das alles fehlt.“ 

Raphael Haeger, Schlagzeuger der Berliner Phiharmoniker
Raphael Haeger von den Berliner Philharmonikern (links) und Rüdiger Beermann vom Festspielhaus Baden-Baden (rechts).

Die digitale Alternative kommt dennoch sehr gut an - wahrscheinlich, weil der Konzertbetrieb insgesamt ruht. Auch Beermann stellt fest: „Wir bekommen sehr positives Feedback. Es muss nicht immer die Drei-Stunden-Oper in 4K sein. Vielen reicht auch nur ein kleiner Gruß aus Baden-Baden.“ Gemeint ist der Video-Blog des Intendanten Benedikt Stampa, der durch musikalische Orte in Baden-Baden führt und so den Kontakt zum Publikum aufrechterhält. Viele Kund*innen hätten laut Beermann zudem Eintrittskarten gespendet, anstatt ihr Geld zurückzuverlangen. Eine dritte Möglichkeit ist der neue Corona-Gutschein.

Corona-Gutschein - was ist das ?

Eine rechtliche Grundlage für den Umgang mit abgesagten Veranstaltungen bietet der am 19. Mai von der Bundesregierung verabschiedete Corona-Wertgutschein. Veranstalter*innen, die durch die Rückzahlung von Eintrittsgeldern in ihrer Existenz bedroht werden, dürfen demnach einen Gutschein für den Nachholtermin oder gleichwertige Veranstaltungen ausstellen. Wird der Gutschein bis Ende 2021 nicht eingelöst, müssen die Veranstalter*innen die Kosten erstatten. Ist ein Gutschein aufgrund der persönlichen Situation nicht zumutbar, können die Kund*innen wie bisher eine Erstattung verlangen.

Das Festspielhaus ist im Betrieb privat finanziert und deckt seine Kosten durch Spenden- und Eintrittsgelder. Selbst wenn das Haus seine Ausgaben minimiert, Publikum und private Fördernde helfen und viele der 90 festangestellten Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit sind, bleibt durch die fehlenden Einnahmen ein großes finanzielles Loch. Deshalb habe man staatliche Hilfe beantragt und hoffe sehr auf die Unterstützung des Landes. Baden-Württemberg hat am 19. Mai das zweite Corona-Hilfspaket verabschiedet und darin auch Kulturschaffende bedacht. Unter dem „Masterplan Kultur BW - Kunst trotz Abstand“ stehen insgesamt 40 Millionen Euro bereit. Am 17. Juni folgte das lang geforderte Hilfspaket der Bundesregierung in Höhe von einer Milliarde Euro. 

Staatliche Hilfe kommt nicht bei allen an

Gerade selbstständigen Künstler*innen bricht durch die Krise die Lebensgrundlage weg. Die Musikerin Vera Klima schreibt auf Facebook: „Mein Freund ist auch Musiker. Unser Einkommen reduziert sich binnen weniger Tage von 100 auf 25 Prozent." Ausfallhonorare, Soforthilfen für Selbstständige oder Sonderförderungsmaßnahmen für Kulturschaffende könnten kaum ihre Lebenshaltungskosten decken und seien nur „heiße Luft“. Die Maßnahmen würden zeigen, „was Kunst für unsere Politik wirklich wert ist: NICHTS." Ihr Post ging viral, vielen der rund 500.000 freischaffenden Künstler*innen in Deutschland geht es wohl ähnlich. 

„Das große, drängende Problem sind die freischaffenden Künstler*innen; sie dürfen nicht allein gelassen werden“, meint auch Haeger. Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien oder den USA, wo selbst festangestellte Profimusiker*innen momentan nicht bezahlt werden, sei die staatliche Unterstützung der Kulturbranche in Deutschland aber „vorbildlich“. Hinzu kommt, dass man die gesundheitlichen Anforderungen beachten müsse: „Als Musiker sind wir da schlecht dran. Je mehr Publikum, desto größer die Ansteckungsgefahr."

Die Berliner Philharmoniker proben zurzeit in kleinen Besetzungen. „Das Wichtigste ist, sich musikalisch fit zu halten“, erklärt Haeger. Andere Projekte wie seine Kammermusikgruppe Bolero Berlin oder seine Arbeit als Dirigent sind aber bis auf Weiteres auf Eis gelegt. Die ständige Unsicherheit und die vielen Absagen seien sehr frustrierend. „Ich weiß nicht, ob es allen so geht, aber viele wünschen sich den Moment herbei, wo wir wieder den alten Stress haben."

Auf Konzerte im ehrwürdigen Ambiente des Festspielhauses muss das Publikum noch eine Weile verzichten.

Die Zukunft bleibt ungewiss

„Die Künstler*innen würden am liebsten Tag und Nacht spielen und es gibt auch viele Besucher*innen, die große Sehnsucht nach Musik haben“, bestätigt Beermann. Mit 2.500 Sitzplätzen fällt das Festspielhaus unter die Kategorie „Großveranstaltung“, die bis mindestens Ende August verboten sind. Für die neue Saison wird ein Hygiene-Konzept erarbeitet und je nach Bundesland können einige der Ensembles, die im Herbst in Baden-Baden spielen sollen, wieder proben. Die Planung bleibt wegen der sich täglich verändernden Bedingungen aber weiterhin schwierig.