Sport und Musik

Kraftvoll am Klavier

Für eine Pianistin wirken ihre zarten Finger schon fast klischeehaft. Aber eignen sie sich auch fürs Hanteltraining?
31. Jan. 2019

Aufrechte Haltung, zierliche Figur, ein ruhiges Erscheinungsbild. Kimiko Ishizaka Douglass glaubt man sofort, dass sie eine professionelle Pianistin ist. Womit viele allerdings nicht rechnen, ist ihre Leidenschaft für eine ganz bestimmte Sportart. Denn über die Behauptung, dass Pianisten nicht mal einen Koffer hochheben können, kann sie nur lachen.

Schon fast ihr ganzes Leben lang ist Kimiko Ishizaka Douglass Pianistin. Angefangen hat sie mit vier, mit fünf folgten die ersten Konzerte. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester wuchs sie in Bonn auf. Für ihre Mutter, gebürtige Deutsche, und ihren Vater, der aus Tokio stammt, war es selbstverständlich, dass die drei von klein auf musizieren. In ihrer Kindheit lernte die heute 42-Jährige neben dem Klavier außerdem noch Bratsche und Geige. Die Liebe zum großen Tasteninstrument setzte sich allerdings erst später durch. Schon damals stand es bei ihr an erster Stelle und den Gedanken, dass sie mal keine Lust hatte zu üben und stattdessen ihre Freizeit mit Freunden verbringt, hatte die junge Musikerin nie. Im Gegenteil: Kimiko und ihre beiden Geschwister übten viel. Mit diversen Auftritten sorgte das Trio schon früh für einen großen Teil des Familieneinkommens und somit war das Musizieren nicht nur ein „Kann“, sondern ein „Muss“.

Was zunächst die Idee der Eltern war, wurde nach und nach auch immer mehr zu Kimikos Vorstellung. Ob im Trio mit ihren Geschwistern, im Orchester oder beim Studium an der Musikhochschule Köln: Das Klavier blieb ihr stetiger Begleiter. Sie unterrichtete sogar selber 16 Jahre lang Kinder und Erwachsene. Auch ich habe unter anderem bei ihr gelernt. Heute ist sie erfolgreich. Viele große Konzerte und eigene Kompositionen brachten die Bonnerin sogar nach Amerika. Mit den Auftritten in der Carnegie Hall in New York und der Elbphilharmonie in Hamburg letztes Jahr, erfüllte sie sich zwei große Ziele. Da sie schon im jungen Alter erste Erfahrungen sammeln konnte, ist Nervosität vor den Auftritten kein Problem für sie. „Natürlich, je wichtiger das Konzert ist, desto aufgeregter ist man. Aber wenn man gar nicht aufgeregt ist, dann fehlt die Energie. Etwas Adrenalin braucht man.“ Aber nicht nur ihre Gelassenheit vor einem Konzert ist ein Vorteil des frühen Musizieren. Kimiko besitzt die seltene Gabe des absoluten Gehörs. Dieses muss sie sich schon als kleines Kind angeeignet haben.

Das absolute Gehör: Bezeichnet die Fähigkeit, einen Ton nur anhand des Hörens zu erkennen. Es tritt meist bei Menschen auf, die schon von klein an musizieren. Trotzdem ist es sehr selten und nur wenige Musiker besitzen diese Eigenschaft. Ganze Musikstücke können sie so auf ihrem Instrument spielen, ohne nur ein einziges Notenblatt gesehen zu haben. 

Trotz dieses Vorteils, übt sie dennoch täglich. Schafft sie es an einem Tag nicht ans Klavier, so wird am nächsten Tag doppelt so viel Zeit investiert. Auch eigene Stücke komponiert sie und fand sogar für Bachs unvollständiges letztes Werk „Die Kunst der Fuge“ ein Ende. Ein richtiges Erfolgsrezept hat sie nicht. Ihr einziger Tipp für angehende Musiker ist es am Ball zu bleiben.

Vom Proberaum ins Fitnessstudio

Neben den klassischen Tönen ihres Instrumentes hat Kimiko aber noch eine ganz andere Leidenschaft: das Gewichtheben. Schon seit 20 Jahren trainiert die Pianistin intensiv. Inspiriert wurde sie von den professionellen asiatischen Sportlern, die sie im Fernsehen bewunderte. Sie begann mit dem Kraftdreikampf, nahm Unterricht und hatte schon bald ihre ersten Wettkämpfe. 2005, kurz nachdem sich ihre neue Leidenschaft entfacht hatte, hob sie bei der Deutschen Meisterschaft für den Athleten Club Köln und gewann den zweiten Platz. Das war ihr größter Erfolg. Zumindest auf dem Papier. Denn für sie war ein Wettkampf im professionellen Gewichtheben in Holland ihr persönlich größtes Erlebnis. Dort hebt sie zwar weniger Gewicht, war aber auch wesentlich leichter. Zu ihren vorherigen Ergebnissen, hatte sie es hier geschafft sich deutlich zu verbessern. Eine persönliche Leistungssteigerung war für sie von großer Bedeutung und machte sie stolz. 

„Was zählt ist die Leistung und nicht das Equipment.“

Obwohl die beiden Sportarten doch sehr ähnlich erscheinen, gibt es für Kimiko einen entscheidenden Unterschied. Während man im Kraftdreikampf spezielle Ausrüstung trägt, „hautenge Hosen“, wie sie es beschreibt und dadurch mehr heben kann, kommt es im Gewichtheben nur auf die tatsächliche Stärke an. „Mir gefiel nicht, dass man im Kraftdreikampf im Vorteil war, wenn man bessere Kleidung hatte. Da kann man schon mal über einen gewinnen, der eigentlich stärker ist. Das finde ich nicht fair. Im Gewichtheben gibt es sowas nicht.“ Da sie letzteres wegen des technischen Unterschiedes bevorzugt, richtet sie mit 29 Jahren ihre sportliche Laufbahn aufs professionelle Gewichtheben aus. Ihr Tagesablauf war zu dieser Zeit straff getaktet. Morgens nach dem Frühstück ging es ins Fitnessstudio, nachmittags verschwand sie dann für einige Stunden im wohnungseigenen Schallschutzraum, bis sie sich abends meist wieder aufmachte, um noch ein bisschen trainieren zu gehen. Drei Mal die Woche fuhr sie dazu noch in die nahgelegene Musikschule, um Kindern das Klavierspiel zu lehren.  

Gefühlvoll spielt Kimiko bei ihren Konzerten das Klavier.

Heute trainiert sie zwar immer noch täglich mit den Hanteln, allerdings sieht sie den Sport nur noch als Hobby und nicht mehr als Wettkampf. Ein Teil ihrer Familie ist darüber sehr froh, denn nicht alle haben die Sportlerin auf ihrem Weg so unterstützt, wie ihr Mann es tat.

Trotz all der Kritik hat sie sich nie gewünscht etwas Anderes zu machen. „Ich stehe hinter beidem. Für mich war es toll als ich für den Kraftdreikampf mit 82 Kilogramm echt schwer war und 170 Kilogramm vom Boden heben konnte. Aber genauso toll war es als ich im Gewichtheben viel weniger gehoben habe aber dafür auch wesentlich leichter war.“ Kimiko Ishizaka Douglass bereut nichts. Sowohl in ihrer sportlichen Laufbahn als auch in ihrer Berufswahl. Obwohl beides viel Zeit in Anspruch nimmt, kann sie auf keines verzichten. Sie sieht ihren Beruf und ihr Hobby sogar als Ergänzung an und braucht das Eine für das Andere. Über die häufig gestellte Frage, ob ihre Klavierhände nicht vom Kraftsport beeinträchtigt werden, kann sie nur schmunzeln.

Sollte sie jemals vor die Wahl zwischen Musik oder Sport gestellt werden, würde ihr die Entscheidung sehr schwer fallen. Immer wieder betont sie, dass gerade der Ausgleich von beidem wichtig ist. „Das eine ist mein Körper und das andere meine Seele. Meinen Körper brauche ich dafür, um die Ansprüche meiner Seele zu erfüllen. Ich mache weiter Hanteltraining, damit ich fit fürs Klavier bin.“ Sollte Kimiko allerdings vor ein Ultimatum gestellt werden, würde schon die Liebe zum Klavier überwiegen.